Zur Zeit bin ich dabei, mir das Grundregelwerk von Degenesis durchzulesen. Vom Spiel an sich bin ich wirklich entzückt, aber ich habe ein Problem mit dem Konzept der Kulte, zu dem ich gerne mal Eure Meinung gehört hätte. (Disclaimer: Ich habe das Regelwerk noch längst nicht komplett gelesen und womöglich hab ich etwas übersehen oder falsch verstanden. In dem Fall bitte ich schon im Voraus um Verzeihung und ersuche freundlichst um Aufklärung.)
Zu meinem Problem: Konkurrenz und Intrigen zwischen den einzelnen Kulten sind anscheinend ein ziemlich zentrales Plotelement. (Siehe das Beispielabenteuer "Gesucht, gefunden, getötet".) Das finde ich soweit auch ziemlich cool. Andererseits sind die Kulte gleichzeitig die Charakterklassen der Spielercharaktere, wobei sich die Abenteurergruppe wohl wie üblich aus Vertretern verschiedener Charakterklassen zusammensetzt. Und da fangen die Probleme an.
So wie die Kulte beschrieben sind, sollte man ja annehmen, dass sie bestenfalls gegeneinander intrigieren (wie im Beispielabenteuer) und sich schlechtestenfalls blutig-feindselig gegenüberstehen (z.B. Jehammedaner und Wiedertäufer). Und selbst da wo sie kooperieren (z.B. Neolybier und Geissler) seh ich nur eine Zweckgemeinschaft und keinen Ausgangspunkt für ne frei herumziehende Abenteurergruppe. Im Allgemeinen scheinen (wiederum siehe Beispielabenteuer) Kultmitglieder eben relativ eng in die Hierarchie ihres Kultes eingebunden zu sein und eben nicht auf eigene Rechnung zu handeln.
Die Macher des Spieles scheinen das genauso zu sehen, denn die Beispielcharaktere in
http://www.degenesis.de/download/DEGENESIS_Sichelschlag.pdf sind meistens ausgestoßene (z.B. die Richterin), abgefallene oder einfach geographisch von ihrem Kult getrennt (z.B. der Geissler). Im letzteren Fall ist wohl anzunehmen, dass der Charakter alles dransetzen würde, wieder in seine Heimat zurückzukommen. Nicht gerade ein Ansatz für eine längere Kampagne, oder? Ich frage mich, warum zum Teufel die Charakterklassen ausgerechnet mit einander tendenziell feindseligen politischen Gruppen identisch sein müssen.
Zugegeben, bei Vampire klappt es auch. Aber bei Vampire gehört ein Vampir halt
per definitionam zu einem Clan und die Loyalität gilt nicht nur diesem sondern auch dem Prinzen, der Sekte, und so weiter. Die Tatsache, dass man sich als Vampir seinen Clan niemals aussucht, macht es dazu noch wahrscheinlicher, dass man sich nicht unbedingt nur diesem verpflichtet fühlt. Bei Degenesis hingegen erschiene es mir hingegen wahrscheinlicher, dass der Krieger der Gruppe sein Handwerk halt nicht bei den Hellvetiern gelernt hat und der Arzt nie bei den Spitalern war, als dass die ganze Gruppe nur aus den schwarzen Schafen Ihrer jeweiligen Kulte besteht.
Sehr seltsam finde ich in diesem Zusammenhang auch die Ränge innerhalb der Kulte, die mir ein wenig wie Prestigeklassen erscheinen. Mit welchem Recht darf sich denn ein Richter in einer marodierenden Abenteurergruppe noch Konsultant nennen, wenn er doch sowieso nicht mehr innerhalb der Kulthierarchie steht? Und dass sich der Rang allein nach den Fähigkeiten des Charakters bemisst, ist wohl auch zu schön um wahr zu sein. In der harten Realität dürfte doch eher der mit den besseren Connections in der Hierarchie nach oben rutschen.
Insgesamt erscheint mir das Charakterklassensystem also ein Bisschen zu unüberlegt von der WoD abgeschaut. In meiner Gruppe werde ich wohl auf die Ränge verzichten und zur Einführung ein Low-Level-Abenteuer spielen bei dem die Charaktere nur eine Kultur und ein Konzept aber keinen Kult haben (und dementsprechend wesentlich schwächer sind). Auf lange Sicht werde ich mir überlegen müssen, ob ich den Spielern zusätzliche Charakterklassen anbiete oder mir eine andere Lösung einfallen lasse. Was ich von Euch gerne hören würde: Sieht das irgendjemand von Euch genauso? Hattet Ihr im Spiel schon Probleme mit den Kulten? Hat jemand schonmal versucht, die Regeln wie von mir vorgeschlagen zu ändern? Und mit welchen Erfahrungen? Bin dankbar für jedes Feedback!