Zunächst mal ist festzuhalten, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen den HPL-Geschichten und den Rollenspielszenarien besteht, was den Mythos angeht:
Charaktere in Lovecraft-Geschichten sind häufig leichtsinnig und erkennen die Warnzeichen nicht (der Leser möchte ihnen zurufen: Tu das nicht!), dadurch kommen sie mit Mythoswesen in Kontakt. Selten kämpfen sie gegen einzelne Zauberer mit Mythoskenntnissen („Der Fall Charles Dexter Ward“), noch seltener kommen Mythos-Kulte zum Einsatz („Cthulhus Ruf“).
Im CoC-Rollenspiel ist diese Ausnahme die Regel: Die Spielercharaktere sind eher vorsichtig, geraten aber mit Kultisten in Kontakt, die in ihrem Wahn die Mythoswesen zu beherrschen suchen, herbeirufen oder auf die SCs hetzen. Es ist also kein Zufall, dass das RPG im Original ausgerechnet „Call of Cthulhu“ heißt. Denn der Inhalt dieser für Lovecraft eher untypischen Geschichte (Good Guys versus Kultisten) bildet das Rückgrat für die meisten guten Mythos-Abenteuer, besonders für die Kampagnen. Für Kurzabenteuer bieten sich dagegen eher die „Einzelzauberer“ als Gegner an.
Warum ist das so? Nun, zunächst sind die Spieler (und damit die SC )„leider“ nicht so unvorsichtig wie die Charaktere in Lovecrafts Geschichten. Damit würde die Handlung nie in Gang kommen. Zum zweiten bilden die Spieler eine Gruppe; es ist also reizvoll, ihnen in einer längeren Kampagne auch eine Gruppe von Gegnern entgegenzustellen. Und letztendlich sind die Götter und Großen Alten viel zu mächtig, um sie direkt auf die Spielercharaktere loszulassen. In einer guten CoC-Kampagne ist es ein Erfolg, das Erscheinen eines Gottes oder Großen Alten zu verhindern. Damit vorher überhaupt vernünftige Gegner zur Hand sind, wird auf Kultisten und niedere Dienerrassen zurückgegriffen. Danach müssen die SCs die Informationen und Zauber über den Mythos sammeln, die ihnen erlauben, das Vorhaben der Kultisten zu vereiteln (womit der eine oder andere SC seiner geistigen Stabi verlustig geht).
Wenn ein Gott oder Großer Alter überhaupt erscheint, dann nur an Höhepunkten einer Kampagne und dann ist meistens schon ziemlicher Pfusch seitens der Spieler passiert. Ich kenne kein offizielles Abenteuer, indem ein Gott oder Großer Alter zwingend erscheint (wobei bei den meisten die Wahrscheinlichkeit schon recht hoch ist). In einem Kurzabenteuer kommt bestenfalls der Vertreter einer höheren unabhängigen Rasse vor (z.B. Lloigor) oder der Vetreter einer Dienerrasse, der von einem Verrückten beschworen wird (z.B. Dunkeldürre oder Byakhees).
Das vorausgeschickt erklärt sich, dass sich das ganze Grauen des Mythos am Besten in einer Kampagne ausloten lässt. Hier treffen die Spieler auf Mythoswesen und Kultisten, müssen Mythostexte beschaffen und lesen um zum Schluss das Kommen eines Großen Alten oder Gottes zu verhindern – oder bei diesem Versuch draufzugehen. In Einzelabenteuern kann man als SL zwar gerne ein Mythoswesen einstreuen; häufig fehlt den SCs dann aber das Wissen, um die wahre Schrecklichkeit dieser Begegnung einordnen zu können.
Die beiden von Pegasus erhältlichen Kampagnen (In Nyarlathoteps Schatten und Horror im Orient-Express) sind beide extrem gut, auch wenn sie viel Arbeit vom SL verlangen (gerade beim Orient-Express muss die stellenweise sehr lineare Handlung aufgebrochen werden). Leider nehmen beide Kampagnen eine Gesamtspielzeit von 40-60 Stunden in Anspruch; die durchschnittliche Spielrunde dürfte damit rund ein halbes Jahr ausgelastet sein.
Das beste typische Mythos-Einzelabenteuer, das ich kenne, ist „The Yorkshire Horrors“ im alten, amerikanischen „Cthulhu-by-Gaslight“-Erweiterungsband von Chaosium(leider vergriffen). Es lässt sich in etwa 10-12 Stunden spielen (2-3 Sitzungen). „Adventures in Arkham Country“ (noch erhältlich) enthält sechs Kurzabenteuer (jeweils ca. 3-4 Stunden), die alle recht brauchbar sind, auch wenn der Mythoshintergrund nicht überall gleich stark ausgeprägt ist.