Auch ein Thema, um das oft gestritten wird: Ist es besser, wenn nur der Angreifer einen Wurf machen muss oder sollte es zusätzlich einen Verteidigungswurf geben? Wenn ich hier von Angriff und Verteidigung schreibe, so ist natürlich in erster Linie tatsächlich Kampf gemeint. Aber man kann diese Begriffe in vielen Spielen auch auf andere Konflikte übertragen: Der Held greift die Mauer an, indem er sie überklettern will und die Mauer wehrt sich mit ihrer Steilheit, Rutschigkeit und Höhe ;-)
Aber nun zu Argumenten: Zunächstmal hält ein Verteidigungswurf auf. Es müssen zwei Seiten würfeln, die Werte müssen miteinander verglichen werden. Je nach System muss der Verteidiger warten, ob er überhaupt würfeln braucht. Damit dauern im Spiel Proben mit Verteidigungswurf länger als ohne. Besonders deutlich wird das, wenn der SL für eine Horde NSCs Verteidigungswürfe machen muss, obwohl der Spieler nur einen Angriffswurf brauchte.
Dann gibt der Verteidigungswürfel aber dem verteidigenden Spieler das Gefühl, er könnte aktiv etwas verhindern. Jetzt denkt sich vielleicht der eine oder andere: So ein Quatsch, ob ich jetzt würfele oder nicht, ist doch für die Wahrscheinlichkeit egal. Das spielt für dieses Argument aber keine Rolle, denn es kommt auf das Gefühl an. Und ich habe schon so einige Leute gelesen, die sich auf dieses Gefühl berufen.
Letztendlich sind diese beiden Argumente aber nur subjektiv, d.h. wenn jemandem das Gefühl der Verteidigung wichtiger ist als Geschwindigkeit, so wird er sich für Verteidigungswürfel entscheiden; im umgekehrten Fall ist es, wie sollte es anders sein, umgekehrt. Ich will nun versuchen, mit etwas Wahrscheinlichkeitsrechnung "harte" Fakten aufzuzeigen: Ist es mathematisch tatsächlich egal, ob ich Verteidigungswürfe habe oder nicht? Wenn nein: Wo liegen die Unterschiede?
Dafür muss man sich zunächst mal auf das System einigen. Beliebt sind zwei: Überwürfeln von W20+Schwellwert und Unterwürfeln einer Schwelle mit W20. Sind beide Systeme bei einfachen Proben von den Wahrscheinlichkeiten her gleich, so ergeben sich hier jedoch deutliche Unterschiede. In allen Fällen gehe ich zur Vereinfachung davon aus, dass es nicht auf irgendwelche Qualitäten ankommt, sondern der Schaden unabhängig davon ausgewürfelt wird (ein Schwert macht W+4 Trefferpunkte). Es kommt also lediglich auf die Wahrscheinlichkeit an, mit der der Angriff gelingt.
Die Wahrscheinlichkeit ist eine Zahl zwischen 0 und 1, wobei die Zahlen 0 und 1 Sicherheit bedeuten und alle Zahlen dazwischen Unsicherheit. 0 bedeutet "Das Ereignis tritt nie ein" (=das Experiment misslingt immer) und 1 heißt "Das Ereignis tritt immer ein" (=das Experiment gelingt immer). Alle Zahlen dazwischen geben eine Tendenz wieder. Genauer: Es ist der Anteil der gelungenen Experimente, der sich bei unendlich langen Versuchsreihen einstellt. Weil Zahlen zwischen 0 und 1 "normalen Leuten" blöd erscheinen, drücken viele die Wahrscheinlichkeit lieber in Prozent aus. Dabei bedeutet z.B. eine Wahrscheinlichkeit von 0.34 dasselbe wie eine Wahrscheinlichkeit von 34 % und das heißt einfach nur, dass man, wenn man unendlich viele Versuche macht, 34 % der Versuche gelingen werden. Weil aber die Prozentzahlen blöd zum Rechnen sind, benutzen Mathematiker lieber die Werte zwischen 0 und 1.
ÜberwürfelnFangen wir mit Überwürfeln-Proben an. Der Angreifer wirft mit W20+Angriff, der Verteidiger mit W20+Verteidigung, die höhere Zahl gewinnt. Bei Gleichstand gewinnt der Angreifer. Dagegen steht, dass der Verteidiger nicht würfelt, sondern einfach 10+Verteidigung bekommt. Diese Zahl muss der Angreifer mit W20+Angriff mindestens erreichen. Letzteres ist im Wesentlichen das D&D-System, das mit der vierten Edition auf die Spitze getrieben wurde. Damit das Ganze nicht ausartet, sollen der Angriffs- und der Verteidigungswert weniger als 10 Punkte auseinander sein.
Im zweiten Fall gelingt der Angriff nur dann, wenn W20+Angriff>Verteidigung+9 ist, d.h. W20>9+Verteidigung–Angriff. Im ersten Fall gelingt der Angriff, wenn W20+Angriff>W20+Verteidigung-1 ist. Somit muss 2W20>20+Verteidigung–Angriff sein. Wie man leicht sieht, sind die Wahrscheinlichkeiten nicht gleich. Insbesondere, wenn Angriff und Verteidigung eine große Differenz haben, wird derjenige mit dem niedrigeren Wert gegenüber der Variante ohne Verteidigungswurf bevorzugt.
Konkretes Beispiel: Der Verteidigungswert ist 18, der Angriffswert 8. Damit der Angriff gelingt, muss also (ohne Verteidigungswurf) W20 > 19 sein, macht eine Wahrscheinlichkeit von 5 %. Mit Verteidigungswurf muss 2W20 > 30 sein, das macht eine Wahrscheinlichkeit von 13,75 %. Damit ist die Erfolgswahrscheinlichkeit - und damit der ausgeteilte Schaden - im Falle eines Verteidigungswurfes fast dreimal so hoch.
Zwischenfazit: Beim Überwürfeln macht es tatsächlich einen Unterschied, ob man mit oder ohne Verteidigungswurf spielt. Eine große Überlegenheit im Angriff oder der Verteidigung wirkt sich mit Verteidigungswurf nicht so stark aus wie ohne. Sind Angreifer und Verteidiger nicht so weit auseinander, so ist es mathematisch praktisch egal, ob man mit oder ohne Verteidigungswurf spielt.
UnterwürfelnHierbei muss einem klar werden, dass Verteidigungswürfe üblicherweise völlig anders funktionieren. Zunächst wirft der Angreifer seinen Angriff. Gelingt diese, wirft der Verteidiger seine Parade. (Anmerkung: das QVAT ist eher ein geschicktes Übertragung der Überwürfel-Proben auf DSA denn ein klassisches Unterwürfel-System). Ich gehe davon aus, dass ein Angriff oder eine Verteidigung gelingt, wenn man mit dem W20 nichts größeres wirft, als der Angriffs- bzw. Verteidigungswert angibt. Dagegen steht ein System, bei dem der Angriffs-Wurf entsprechend dem Verteidigungs-Wurf erschwert wird. Vielleicht nicht 1:1 sondern 2:1 oder "jeder Verteidigungs-Punkt über 10". Aber irgendwie so ähnlich, d.h. wenn der Verteidiungswert um einen Punkt steigt, so sinkt die Angriffs-Wahrscheinlichkeit um
x Punkte.
Damit ein Angriff gelingt, muss also (ohne Verteidigungswurf) der W20 eine Zahl zeigen, die höchstens Angriffswert–Verteidigungswert×
x; die Wahrscheinlichkeit beträgt also (Angriffswert–Verteidigungswert×
x)/20. Mit Verteidigungswurf dagegen beträgt die Wahrscheinlichkeit Angriffswert/20×(20-Verteidigungswert)/20. Das sind von der Art her zwei völlig unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten, die sich nur schwer vergleichen lassen. Daher ein paar Beispiele. Dabei bin ich davon ausgegangen, dass pro zwei Punkte Verteidigung der Angriff um einen Punkt erschwert wird.
Angriff: 5, Verteidigung: 4. Ohne Verteidigung: 15 %. Mit Verteidigung: 20 %
Angriff: 5, Verteidigung: 10. Ohne Verteidigung: 0 %. Mit Verteidigung: 12,5 %
Angriff: 5, Verteidigung: 18. Ohne Verteidigung: 0 %. Mit Verteidigung: 2,5 %
Angriff: 10, Verteidigung: 4. Ohne Verteidigung: 40 %. Mit Verteidigung: 40 %
Angriff: 10, Verteidigung: 10. Ohne Verteidigung: 25 %. Mit Verteidigung: 25 %
Angriff: 10, Verteidigung: 18. Ohne Verteidigung: 5 %. Mit Verteidigung: 5 %
Angriff: 15, Verteidigung: 4. Ohne Verteidigung: 65 %. Mit Verteidigung: 60 %
Angriff: 15, Verteidigung: 10. Ohne Verteidigung: 50 %. Mit Verteidigung: 37,5 %
Angriff: 15, Verteidigung: 18. Ohne Verteidigung: 30 %. Mit Verteidigung: 7,5 %
Die Regel für den Angriff ohne Verteidigungswurf wurde, wie man sieht, so abgestimmt, dass sich die Wahrscheinlichkeiten bei einem mittleren Angriffswert von 10 bei beiden Systemen entsprechen. Ansonsten sieht man, dass die Wahrscheinlichkeiten für einen gelungenen Angriff sehr weit auseinander liegen können; ein Vergleich ist praktisch unmöglich. Vor allem, da die Regel für den weggelassenen Verteidigungswurf nicht so auf der Hand liegt, wie beim Überwürfeln.
FazitWie so oft ist die Sache schwieriger, als sie zunächst scheint. Ob drüber- oder drunterwürfeln, ob mit oder ohne Verteidigungswurf: Jedes Mal kommen mathematisch sehr unterschiedliche Systeme raus, die sich nur schwer miteinander vergleichen lassen. Im Spiel wird man das hingegen wohl kaum merken, da man dafür viel zu selten würfelt. Nur Extremwerte, wie 0 % oder 100 % fallen auf. Bei allen anderen Wahrscheinlichkeiten überwiegt das einzelne Experiment: Ist mein Angriff gelungen oder nicht?
Ganz anders stellt sich die Sache dar, wenn man noch die Qualität des Angriffs (und der Verteidigung) mit einbezieht. Dann spielen auf einmal auch Varianzen eine Rolle, und die sind bei zwei Zwanzigseitern im Normalfall höher als bei nur einem. Hier sollte ein Designer genau schauen, wie er die Qualität mit einbezieht, um den Whiff-Faktor nicht zu groß werden zu lassen.
Die Frage, ob ein Verteidigungswurf toll ist, kann also mathematisch nicht beantwortet werden. Leider kann man die Wahrscheinlichkeiten auch im (einfachsten) Fall des Überwürfelns nicht einfach wegdiskutieren. Als Autor sollte man beides im Blick haben: Was will ich für ein Spielgefühl erreichen? Wie sind die Wahrscheinlichkeiten?
PS: Wie man hier auch leicht sieht, braucht man nicht mal eine Mechanik wie das 3W20-DSA-Talentsystem, um komplizierte und unübersichtliche Wahrscheinlichkeiten zu erzeugen. Vergleichende Proben reichen da schon