Autor Thema: Identifikation mit Charakteren im Büchern  (Gelesen 3198 mal)

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Offline Bitpicker

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Identifikation mit Charakteren im Büchern
« am: 18.08.2008 | 09:20 »
Im Faden über homo- und bisexuelle Charaktere gibt es einige Ansätze zur Diskussion über das weitläufigere Thema der Identifikation mit Charakteren. Ich finde das recht spannend, weil es offensichtlich sehr unterschiedliche Wahrnehmungen auf diesem Gebiet gibt. Da es in jenem Faden aber Off-Topic ist und außerdem etwas untergeht, eröffne ich hier einen neuen Faden zum Thema.

Also: inwieweit identifiziert ihr euch mit Charakteren in Büchern? Inwieweit werdet ihr Teil der Handlung? Welche Wahrnehmungen habt ihr beim Lesen?

Ich selbst komme über eine Stufe des Mitempfindens nicht hinaus. Ich werde in keinem Fall zu einem der Charaktere, egal, wie sympathisch ich den Charakter auch finde. Ich kann zwar mit-leiden, aber das sehe ich nicht als Identifikation an. Was in Büchern passiert, passiert immer anderen. Ich-Erzählungen sind für mich eben Berichte von Personen, die mir erzählen, was ihnen passiert ist. Romane in zweiter Person gibt es nicht genug, als dass ich sagen könnte, ob mir das mehr Identifikation gibt...

Im Gegensatz dazu kann meine Frau z.B. mit Ich-Erzählungen gar nichts anfangen, weil sie sich ebenfalls nicht identifiziert, sich aber durch das Personalpronomen dazu aufgefordert fühlt. Ein weiterer interessanter Effekt, von dem sie berichtet: wenn die Charaktere einen geschlossenen Raum betreten und wieder verlassen, dann kommt sie aus dem Raum nicht mehr heraus. Sie schleppt ihn sozusagen weiter mit sich rum. (Klingt für mich auch komisch, aber eine bessere Beschreibung kann ich nicht geben.) Sie findet Romane, in denen es ständig rein und raus geht, unlesbar.

Jetzt seid ihr dran.

Robin
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Offline Crimson King

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #1 am: 18.08.2008 | 09:48 »
Wenn ich lese, bleibe ich immer Beobachter des Erzählten. Bei Filmen funktioniert das bei mir wesentlich besser als bei Büchern. Aber das, was ich im Rollenspiel als Immersion bezeichne, habe ich da auch nicht.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

J.W. von Goethe

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #2 am: 18.08.2008 | 09:50 »
Ich identifiziere mich schon teilweise mit den Charakteren. Allerdings WERDE ich auch NICHT zu einem der Charaktere. Aber bei den meisten Charakteren finde ich etwas, das für mich soetwas wie "Für die Zeit, die du dieses Buch liest, sitzt du im Körper dieses Charakters und erlebst sein handeln direkt mit". Quasi so eine Art "Kino im Kopf des fiktiven Charakters". Ist schwierig zu erklären. Es kann aber auch sein, dass ich mich beim Lesen plötzlich nicht "Zuschauer" fühle, sondern mich selbst als stummer Nebencharakter fühle, der mit den Hauptpersonen alles erlebt. Das haben bisher aber nur wenige Bücher geschafft. Spontan fallen mir da nur Stephen King's Es, Der Herr der Ringe und "Die Zwerge Trilogie" von Markus Heitz ein. Diesen Zustand finde ich persönlich am besten, weil es dann wirklich ein sehr intensives Erlebnis ist. Besonders bei Es war das ziemlich heftig, weil ich mich mit dem "Club der Verlierer" ziemlich verbunden fühlte, weil auch in in meiner Kindheit so einige Probleme mit meinen Mitschülern hatte. Ich weiß noch, dass ich am Ende des Buches richtig TRAURIG war, dass die Geschichte vorbei war.

Offline Camouflage

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #3 am: 18.08.2008 | 10:12 »
Wenn ich eine Geschichte lese, identifiziere ich mich mich schon mit dem Hauptcharakter, allerdings nicht in der Form, daß ich zu dem Charakter werde, sondern daß ich die Handlung aus der Sichtweise betrachte, wie ich an Stelle des Charakters und mit dem selben Wissen handeln würde.
« Letzte Änderung: 18.08.2008 | 15:16 von Camouflage »
Zitat
12. To beat your enemy, you must know him. 13. Your enemy is the highest authority on the topic of himself. 14. So listen when your enemy speaks, but do not credit his words. 15. Listening is a real bargain. 16. Credit is way overpriced.
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Offline Bad Horse

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #4 am: 18.08.2008 | 11:04 »
Ich identifiziere mich nur selten mit dem Hauptcharakter (mal ehrlich, der ist häufig ein ziemlich langweiliger Bursche), sondern lieber mit einem der Nebencharaktere. Aber - wie meine Vorredner schon - eben nur als Zuschauer.

Ähnliches mache ich bei Chars in Indie-Spielen: Ich schaue ihnen zu, lenke sie vielleicht, aber wirklich in der Rolle aufgehen tue ich nicht. Das passiert mir nur, wenn ich mich rein auf den Char konzentrieren kann und mich nicht noch um Plotgestaltung kümmern muss.  ;)

Aber wenn einer der Hauptcharaktere irgendwelches Zeug treibt, dass ich eklig finde, dann verdirbt mir das schon den Spass. Es sei denn, ich finde den ohnehin so eklig, dass das nur meine Meinung von ihm bestätigt.  ;) Bücher, in denen ich die Hauptcharaktere blöd finde, lese ich meistens sowieso nicht fertig - es sei denn, es gibt einen Nebencharakter, der super-cool ist. Leider ist das dann aber meistens der Bösewicht, und er kriegt eins auf die Fresse.  :-\
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Offline der.hobbit

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #5 am: 18.08.2008 | 13:42 »
Ich fiebere gerne mit den Hauptcharakteren mit. Das ist ein Zustand, den ich vielleicht als "identifiziere mit" beschreiben würde. Wenn ich ein Buch lese, dann stelle ich mir also nicht vor, dass ich dieser Charakter wäre, sondern fühle mit ihm mit. Das ist für mich bereits Identifikation.
Gerade mal bei Wikipedia vorbeigeschaut, und die sieht das wohl genauso.

Demnach identifiziere ich mich nicht, empathiere aber fröhlich vor mich hin :)
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Offline Bitpicker

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #6 am: 18.08.2008 | 14:42 »
Das mit der Empathie kann ich auch besser nachvollziehen, aber anscheinend gibt es doch einige Leute, die tatsächlich in einen der Protagonisten hineinschlüpfen.

Robin
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Offline Finarfin

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #7 am: 18.08.2008 | 16:13 »
Ich erlebe die beschriebene Szene immer aus der Perspektive einer beteiligten Person, so als wäre ich Gast in ihrem Körper. Leider ist es für mich nicht steuerbar, wer das sein wird.
Meistens der Hauptcharakter, aber manchmal auch die aktivste Figur der Szene.
Kann ich nicht in eine Person schlüpfen, dann stellt sich bei mir auch kein Vergnügen ein.
Allerdings kann auch das von meiner Bezugsperson Erlebte das Vergnügen mindern.

killedcat

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #8 am: 18.08.2008 | 17:26 »
Das meiste wurde ja schonmal gesagt. Dennoch meine Position:

Zunächst einmal braucht jede Geschichte für mich einen "Sympathen". Also eine Person, mit der ich mitempfinden kann. Die ich ein Stück weit mag. Manchmal sind es sogar mehrere Personen.

Stellen sich die Hauptcharaktere oft dämlich an, dann "fliege ich wieder raus", merke, dass ich ein Buch lese. Die "Immersion" verschwindet ein Stück weit.

Wirklich identifizieren kann ich mich mit keiner Figur. Aber ich fühle mit und teile ein Stück weit ihre Perspektive. Schau aus ihren Augen, höre mit ihren Ohren, etc. Diese Perspektive aus subjektiver Protagonisten-Sicht macht für mich einen großen Anteil des Reizes am Lesen aus, wenn ich kein Sachbuch lese ;)

Offline Fat Duck

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #9 am: 18.08.2008 | 18:17 »
Wenn ich ein Buch lese, bin ich meisens der geistige Kameramann, der um die beschriebene Szene herumschwirrt.
Ich fiebere mit, aber das muss nicht heißen, dass ich mit einer einzelnen Person mitfiebere. Ich brauche nichtmal jemanden in der Geschichte, der mir sympathisch sein muss.
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Offline crazymonkeymon

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #10 am: 19.08.2008 | 01:02 »
Ich bin immer Objektiver Beobachter beim lesen. Verbinde eigentlich wenig mit einer (Haupt-)Person sondern betrachte das Ganze und fühle nicht mit. Bilde mir ehr über auftrettende Personen ein eigenes Bild was auf meine Meinung zurückgeht nicht aber auf die Meinungen der Hauptperson, so habe ich auch schon mal in einem Buch der Hauptperson den Tod gekönnt.
Gegen Wahnsinn gefeit, wer den Affen befreit!

Offline Finarfin

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #11 am: 19.08.2008 | 07:04 »
Zitat
so habe ich auch schon mal in einem Buch der Hauptperson den Tod gekönnt.
Ich auch, da ich die Szenerie meist aus der Perspektive einer Nebenperson betrachtet habe.

Offline Das Grauen

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #12 am: 19.08.2008 | 07:10 »
Wenn ich ein Buch lese, dann sehe ich die Geschichte meist wie ein mitfliegender Geist! Wenn Bücher aus der Ich-Perspektive geschrieben sind, dann erfahre ich die Geschichte als jemand, der beim Charakter sozusagen mit im Kopf sitzt.

Ich bin also auch immer der stille umherfliegende Beobachter! Klingt vielleicht etwas komisch, aber das erklärt es ganz gut!
Humor und Humus – beide sind fruchtbar.
~ Hermann Lahm

ChristophDolge

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #13 am: 19.08.2008 | 19:39 »
Also ich kann das irgendwie willentlich beeinflussen. Bei sehr intensiven Szenen versuche ich in der Regel, mich in die Charaktere hineinzuversetzen, was je nach Schreibe mehr oder weniger gut funktioniert. In der Regel lande ich nur auf der Ebene der Empathie - gute Bücher erkenne ich unter anderem, dass ich es gut schaffe, mit dem Charakter zu fühlen bzw. mich z.T. auch als dieser fühlen kann.

Offline der.hobbit

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #14 am: 19.08.2008 | 19:48 »
Wie entscheidest du denn, ob du empathieren oder identifizieren willst? Was sind für dich die Trigger, die dich zur Identifikation bringen? Welche Art von Schreibe unterstützt das?
Also, willentliche Beeinflussung des Immersionsgrades finde ich spannend :)
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ChristophDolge

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Re: Identifikation mit Charakteren im Büchern
« Antwort #15 am: 19.08.2008 | 20:18 »
Wenn der Autor den Charakter bedrängt, ihn große Gefühle durchleben lassen möchte (positiv oder negativ) - nicht unbedingt, wenn er direkt beschreibt, was der Charakter fühlt, sondern vielmehr, wenn man das zwischen den Zeilen ablesen muss. Dann macht es richtig Spaß, tiefer einzutauchen und nachzuspüren, wie es dem Protagonisten ergeht. Aber "wie" genau ich das tue, kann ich schlecht erklären, ich habe einfach Lust, mehr zu erleben und tue es dann einfach.  ~;D