Ich gehe davon aus, daß der Charakter dem Spieler unähnlich sein können soll, das heißt aber notwendigerweise, daß der Mensch des Spielers weitgehend ausgeblendet werden muß. Wenn Du es gern so haben willst: Alles wird sitzend ausgewürfelt und anschließend via verbalem Ausspielen in die Fiktion eingebracht. Das hat keinen Übergang zum LARP: praktisch keine Bewegung, keine besondere Kleidung, keine besondere Einrichtung des Raums oder der Umgebung, keine Einschränkung auf die eigenen Fähigkeiten und Beschränktheiten.
Ja, das wäre 100% Pen&Paper.
Aber in so einer Reinkultur habe ich es noch nie erlebt:
Was ist, wenn der Spieler es nicht auswürfeln möchte, sondern ausspielen? Dann haben wir schon den ersten Übergang zum LARP.
Was ist, wenn der SL im Hintergrund Tavernengeräusche einspielt, wenn die SCs ingame in der Taverne sitzen?
Was ist, wenn der Spieler sich ein mittelalterliches Gewand angezogen hat, weil er meint, dass ihm das hilft, in seine Rolle zu kommen?
Und so verschwimmt dann nach und nach die Grenze zum LARP.
Nein, wie sollten sich auch? Wenn ich mich bewege, ist das etwas völlig anderes als wenn ich stillsitze und mir die Bewegung denke. Wenn ich mir irgendwas anziehe und damit in irgendwelchen gestalteten Räumen herumhänge und das 1:1 in die Fiktion übertrage, ist das etwas anderes, als wenn ich in bequemer Alltagskleidung in normalen Räumen herumhänge und mir anders gekleidete Wesen in anders gestalteten Räumen denke.
Natürlich ist das etwas anderes.
Aber darum geht es ja: Jede Aktion, die dazu führt, dass der Spieler dem SC ähnlicherw ird, fördertd ie Immersion:
- Wenn du herumsitzt, musst du dir vorstellen, wie dein SC völlig erschöpft entlanggelaufen ist. Wenn du selber herumrennst, musst du dir das nicht vorstellen, sondern erlebst es hautnah.
- Wenn dir der bärtige Typ neben dir erzählt, dass er eine wunderschöne Elfe ist, brauchstd ud afür eine ganze Menge Vorstellungskraft.
Wenn neben dir aber eine wunderschöne Frau sitzt, brauchst du dafür weniger Vorstellungskraft.
Und wenn sie aufgeklebte Ohren hat, noch weniger.
Und wenn sie elfische Kleidung trägt noch weniger.
- Wenn der Barde sagt, dass er ein Lied singt, dann brauchst du dafür Vorstellungskraft. Wenn der Kerl aber wirklich eine Laute herausholt und etwas vorspielt, dann erlebst du das quasi life.
- Wenn du einfach nur erzählst, dass dein SC einen kühlen Humpen Bier trinkt, dann brauchst du dafür Vorstellungskraft. Wenn du jedoch auch als Spieler einen kühlen Humpen Bier trinkst, dann erlebst du es direkt.
- Wenn der SL erzählt, wie ihr durch die Arktis marschiert, müsst ihr euch das frieren eurer SCs vorstellen. Wenn der SL dagegen die Heizung runterdreht, erlebt man das Frieren der SCs life.
- Wenn der SL sagt, dass die SCs unter Zeitdruck stehen, dann benötigt man Vorstellungskraft. Wenn man jedoch auch als Spieler unter Zeitdruck steht, dann benötigt man diese nicht.
Wenn man sich alles selber vorstellen muss und nichts direkt erlebt, dann ist das 100% Pen&Paper.
Wenn man dagegen alles life erlebt und nichts der Vorstellung überlassen muss, ist das 100% LARP.
Und die meisten Rollenspielgruppen, die ich kenne, befinden sich halt irgendwo dazwischen. (100% P&P oder 100% LARP habe ich noch nie erlebt.)
Aber jeder einzelne Punkt sorgt dafür, dass man sich weniger vorstellen muss und etwas mehr selber erlebt.
Unter den Umständen gehe ich wohl von einer Situation aus, in der man beim Kochen kontinuierlich ißt und beim Essen weiterkocht, so daß man ständig am Geschmack noch etwas verändern, verbessern oder, wenn man Pech hat, auch verschlechtern kann. So wie beim Grillen oder bei Fondue, bei denen man um Kochstellen sitzt und gemeinsam oder jeder für sich nimmt und zubereitet, was man im nächsten Moment essen möchte und auch mit den anderen teilt, wenn man einen exquisiten Geschmack erreicht hat: Es nimmt ständig das eine Einfluß auf das andere, bis beides im Grunde nicht mehr zu trennen ist.
Nein. Auch beim Fondue ist es zu trennen:
"Ich nehme das Stück Fleisch und Stecke es in die Brühe" --> kochen.
"Ich nehme das Stück Fleisch aus der Brühe und stecke es in meinen Mund" --> essen
Und auch hier gibt es Techniken, die das essen, aber nicht das kochen erleichtern: z.B. das heiße Fleischstück erstmal anpusten, damit es etwas kälter wird --> erleichtert essen.
Oder aber: "Das Stück mehrmals rausnehmen und begutachten, um sicherzustellen, dass es nicht anbrennt. --> verbessert das kochen.
Und um das ganze jetzt mal aufs RPG zurück zu übertragen:
"Pusten schadet dem essen, weil wenn du pustest, kannst du nicht auf das restliche Fleisch in der Brühe achten und es könnte verkohlen."
würde zurückübersetzt ins RPG bedeuten:
"Zeitdruck schadet der Immersion, weil, wenn du unter Zeitdruck stehst, dann hast du nicht mehr genügend Zeit, den anderen Spielern etwas vorzuschauspielern."
Und ebenso bei der Immersion: Beides fließt zusammen, bis es untrennbar wird. Was meine Immersion fördert, fördert zugleich die der anderen;
Nein. Kennst du paranoide oder schizophrene Leute? Diese haben eine extrem hohe Immersion, aber sie fördern damit sicherlich nicht deine Immersion.
Oder stelle dir einen querschnittsgelähmten und stummen Mitspieler vor: Er kann sicherlich Immersion haben. Aber wie soll er deine Immersion dadurch fördern? Du weißt ja nichtmal, ob er gerade immersiv ist oder nicht.
Andererseits stelle dir einen guten Schauspieler vor: Er ist theoretisch so gut, dass du ihm glaubst, dass er immersiv ist. Aber in Wirklichkeit hat er dir nur etwas vorgespielt.
wenn irgendwo einer die Immersion verliert, ist die ganze Gruppe betroffen
Wieso?
Erst in dem Augenblick, wo er aufhört zu schauspielern, ist die ganze Gruppe betroffen.