Autor Thema: [Rant] "Die Welt spielen" ist nicht alles!  (Gelesen 6548 mal)

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Offline Joerg.D

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Re: [Rant] "Die Welt spielen" ist nicht alles!
« Antwort #25 am: 10.02.2009 | 16:09 »
Plausibilität entspring aus dem Auge des Betrachters und ist deshalb immer schwer für alle zu erreichen.

Die eigenen Vorstellungen kollidieren all zu oft mit denen des Spielleiters oder Spielers (ein Beispiel dafür ist die Anzweiflung des Alters eines gewissen Kapitäns in meiner Freeport Runde von Lord Verminard).

Ich arbeite beim erstellen meiner Kampagnen immer mit 3 Timelines, die sich um die Gruppe drehen. Als erstes schreibe mal eine Timeline, welche auf den Meta  Plot der Kampagne betrifft. Diese Ereignisse treffen am Anfang auf jeden Fall weil die Gruppe nicht die nötige Macht besitzt um auf sie Einfluss zu nehmen. Sie gibt das Szenario vor, in dem gespielt wird und zeigt was die Großen Machtblöcke machen.

Ich nenne diese Timeline:  Meta Timeline

Dann arbeite ich eine Timeline aus, welche das grobe Umfeld der Gruppe betrifft und welche durch das Verhalten und die Taten der Gruppe schon direkt oder indirekt beeinflusst wird. hier geht es um Abenteuer-Aufhänger,  die meine Gruppe interessieren könnten. Falls die Gruppe sich nicht um die Punkte kümmert, laufen die Ereignisse aber trotzdem ab. Wichtig ist dabei, das diese Punkte in der Zeitlinie konstant sind. Die Schlacht findet von bis statt, die Informationen über den Dungeon werden zugänglich. Der Dungeon mit dem wichtigen Schwert könnte auch schon geplündert sein, wenn die Gruppe nicht schnell genug reagiert, die Prinzessin kann schon von anderen Helden befreit worden oder gegen Lösegeld frei gelassen worden sein. Vielleicht ist die Prinzessin auch tot, weil die Gruppe nicht schnell genug reagiert oder sich zu lange anderem Kram aufgehalten hat. Diese zeitlich festgelegten Ereignisse geschehen also weiteren Umfeld der Gruppe und bieten Anreize für Abenteuer.

Ich nenne diese Timeline: Periphere Timeline

Dann gibt es die Timeline, die direkt mit der Gruppe oder besser gesagt mit ihren Mitgliedern verwoben ist. In diese Timeline trage ich ein, wann welcher Charakter mit Punkten aus seinem Hintergrund konfrontiert wird und wie stark er im Fokus der Geschichte steht. Es geht um so eine Art Screen Presence.

Diese Timeline wird von mir nach oder zum Teil auch vor jedem Spiele Abend ergänzt, weil die Handlungen der Spieler immer Einfluss auf den Ablauf der Kampagne und Folgeabenteuer haben. Trotzdem gibt sie mir den groben Handlungsfaden vor, der es mir ermöglicht, jedem Spieler der Gruppe seine Heldenreise zu ermöglichen und die Kampagne auf ihr Ziel zulaufen zu lassen. Anhand der kommenden Punkte der Timeline kann ich rechtzeitig Informationen streuen, welche auf die kommenden Ereignisse hindeuten. Von diesem System erhoffe ich mir, dass die Spieler meinen Ideen folgen ohne das ich sie manipulieren muss.

Ich nenne diese Timeline: Gruppentimeline

Die Handlungen der Gruppe erzeugen nach meinem Verständnis eine Wechselwirkung mit der Umwelt. Da sich die Umwelt der Gruppe aber auch ohne die Gruppe entwickelt,  kann ich trotz des Eingehens auf die Spieler weiter dem Plot folgen. Ich mache ein paar Company Rolls und sehe, wie sich die jeweiligen Geschichten entwickeln um die Auswirkungen auf die Gruppe und Welt zu bestimmen.
Die Gruppe soll sich der Auswirkungen ihrer Handlungen bewusst werden und auch gerne mal sehen, wie ihre Taten sich auf das Umfeld oder den Meta Plott auswirken und umgekehrt. Trotzdem ist die Gruppe nicht der Dreh und Angelpunkt der Welt.

Meine Absicht bei diesem System ist es, den Spielern durch die Zeitlich festgelegten Ereignisse Schlüsselreize zu bieten auf welche sie reagieren. Gleichzeitig kann ich langfristig planen und Informationen zielgerichtet streuen ohne die Spieler zu bestimmten Handlungen zu zwingen.

Mit wachsender Macht der Gruppe fließen die 3 Timelines allerdings wieder zusammen, wenn die Leute erst einmal Könige sind, dann bestimmen sie den Verlauf der Welt.
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Offline Dr.Boomslang

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Re: [Rant] "Die Welt spielen" ist nicht alles!
« Antwort #26 am: 10.02.2009 | 16:46 »
So ist es. - Die Vergangenheit steht fest. Das sind die Fakten, die geschaffen wurden. Die Gegenwart ist der aktuelle Zustand der Spielwelt. Und die Zukunft ist OFFEN.
Man kann einen solchen Grundsatz natürlich als SL-Paradigma benutzen, aber es muss dabei klar sein, dass dies nur ein Ideal (von vielen) darstellt welches durch die reale Spielsituation nicht allgemein gegeben ist. Der "Zustand der Spielwelt" ist nicht definiert, höchstens in Teilen, ebenso die Vergangenheit aus der sich irgendwas ergeben soll. In der Tat sind für Zwecke des Spiels Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft innerhalb der Spielwelt überhaupt nicht unterschiedlich. Die zeitliche Kausalität ist etwas das die Spieler (und der SL) selbst herstellen können (und wahrscheinlich in vielen Fällen auch wollen), nicht etwas was irgendwie zwingend vorausgesetzt ist.

Es gibt also keine natürlichen Disposition oder eine objektive Maßgabe was denn "die Welt spielen" eigentlich bedeutet.
Man kann natürlich z.B. versuchen auf Seiten der Spieler das kausale Empfinden der Spielfiguren innerhalb der Spielwelt mittels bestimmter Techniken auf das Spielverhalten der Spieler zu übertragen. Beispielsweise kennt jeder das Paradigma, ein Spieler solle nur die Informationen über die Spielwelt zur Verfügung haben (oder zumindest nur diese verwenden), die auch seine Spielfigur in dem Moment haben könnte.
Für den SL ist z.B. aber ein analoges Paradigma kaum aufzustellen. Der SL spielt die Welt, aber was ist die Information der Welt? Die Vergangenheit steht nicht fest der Großteil der Orte steht nicht fest, ebenso wie die meisten Wesen innerhalb der Spielwelt. Das ist alles letztlich Willkür.

Man kann den SL hier wieder versuchen zu "bändigen" und ihm harte Mechanismen vorgeben mit denen er Lücken zu füllen hat, oder zumindest Regeln die seine Willkür bewertbar machen. Man kann den SL dazu zwingen zwischen einem Vorher und einem Nachher zu unterscheiden indem man verlangt er solle Gegebenheiten (Orte, Ereignisse, NSC) unabhängig von den Aktionen der Spieler vorbereiten und sich dann daran halten (abgesehen davon wer das letztlich überprüft).
Das sind letztlich aber alles Mechanismen, die zum Ziel führen können oder auch nicht, die man mögen kann oder auch nicht. Niemand kann behaupten so geht "die Welt spielen" richtig, es ist, wie meistens, eine Frage der konkreten Techniken, Absichten, Vorlieben und Fähigkeiten.

Offline Lord Verminaard

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Re: [Rant] "Die Welt spielen" ist nicht alles!
« Antwort #27 am: 10.02.2009 | 17:20 »
Zitat
Die Vergangenheit steht fest.

Nun, die erspielte Vergangenheit steht fest. Die vom SL vorbereitete Vergangenheit/Ausgangssituation ist zunächst mal auch gesetzt, wobei ich aber teilweise z.B. auch schon spontan entschieden habe, einen bestimmten NSC oder ein bestimmtes Problem rauszukürzen, weil die Situation zwischenzeitlich durch Spieler-Aktionen auch so schon genug Feuer bekommen hatte. Ferner ist meine Vorbereitung meist eher rudimentär, sodass ich ihr den Feinschliff ohnehin erst während des laufenden Spiels verpasse.

Und natürlich kommt es auch immer wieder vor, dass ich als SL ad hoc über irgendwelche Dinge entscheiden muss, die in der Vergangenheit passiert sind, über die ich mir aber bis dahin noch überhaupt keine Gedanken gemacht hatte. Auch hier gilt: Die Konsistenz der Spielwelt muss gewahrt bleiben, aber in diesem Rahmen entscheide ich nach SL-Instinkt.

Zitat
Plausibilität entspring aus dem Auge des Betrachters und ist deshalb immer schwer für alle zu erreichen.

Das bestreite ich auch nicht, trotzdem strebe ich sie an. Oft klappt es gut, manchmal läuft was schief, niemand ist vollkommen. :)
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alexandro

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Re: [Rant] "Die Welt spielen" ist nicht alles!
« Antwort #28 am: 11.02.2009 | 03:29 »
Der Spielleiter hat KEINE "konsistente Welt" dargeboten, die in irgendeiner Weise stimmig oder plausibel gewesen wäre. - Der Spielleiter hat seine Welt STÄNDIG GEGEN die SCs "nachgeregelt"!
Hat er nicht. Lies meinen Post nochmal.
Zitat
Aber was soll das mit der Vorliebe eher die Welt stimmig zu spielen, statt einen engen Plot-Kahn durch den Kanal staken zu lassen, zu tun haben?
Der SL hat KEINEN Plot und KEINE "tolle Geschichte" gehabt, sondern nur NSC & ihre Motivationen, die Welt folgt plausibel auf Spielerhandlungen. Leider kam es soweit gar nicht (aus den bereits erwähnten Gründen). Spielerhandlungen fanden zwar statt, aber ohne "Sicht" waren sie ähnlich erfolgsversprechend, wie ein Dungeon bei dem die Türen nicht eingezeichnet sind und die Charaktere nur durch methodisches Gegen-die-Wand-laufen diese entdecken können.
Nochmal: es wurde gar nichts "zürückgestellt" (das wäre im o.g. Beispiel eher ein Oh, du hast eine Tür gefunden. Tja, die ist verschlossen." - das fand in der Runde NICHT statt).

Abgesehen davon scheinen wir einer Meinung zu sein, was Plausibilität angeht, auch wenn du mich wieder einmal mißverstehst: ich hatte gesagt, dass es nichts bringt, wenn die Spieler sich die BASIS-Informationen "erspielen" müssen, weil sie keine Ansatzpunkte hätten und diese nur erraten müssen (etwas, was du offensichtlich selber kennst und am Beispiel des "Annoying NPC und der Weg zum Tempel" auch illustriert hast). Sobald diese BASIS-Infos da sind, kann das Abenteuer los gehen und die Spieler können sich näher mit KONKRETEN Aspekten der Spielwelt (Was sind das für Männer mit den Geigenkästen? etc.) befassen. Habe ich auch im Beispiel AUSFÜHRLICHST dargelegt, welche Nachforschungswege wir hätten einschlagen können, wäre die GRUNDVORAUSSETZUNG gegeben gewesen.

Das du aus dieser SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT ein Horrorszenario zu konstruieren versuchst, und behauptest, jemand der seine Spielwelt GEZIELT danach ausrichtet, dass bestimmte Informationen frei zugänglich sind, um MEHR Optionen für die Spieler "freizuschalten" (wie Jörg das im Nachbarthread angedeutet hat), die wiederum zu vollkommen freien und unvorhersehbaren Ergebnissen führen, dass dieses "Herschenken" von Wissen (welches letztlich nicht wesentlicher Spielinhalt dient, sondern lediglich "Aufhänger" für das ist, was die Spieler MACHEN, sobald sie die Infos haben, weshalb (wie du ja selbst oben angeführt hast) ein "Erspielen" Zeitverschwendung wäre), in dem die Handlungen der Spieler komplett entwertet werden, das spricht nicht gerade für dich, genausowenig wie deine kleinkariertes Herumkritteln an der Verwendung des Wörtchens "plot" (= "sequence of events" (=Ereignisverlauf) , also KEIN vorbestimmtes Ende), aber das ist ein anderes Thema.