Autor Thema: Vom Charme idiotischer Welten  (Gelesen 2055 mal)

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wjassula

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Vom Charme idiotischer Welten
« am: 30.12.2009 | 12:22 »
Okay, "idiotisch" ist vielleicht ein bisschen hart.

Aber wenn ich zurück denke, welche Settings mich als Jugendlicher am meisten fasziniert haben und mich noch heute nostalgisch aufseufzen lassen, waren das eigentlich immer wild zusammengestückelte, an die die Autoren sichtlich nach und nach angebaut haben, wie sie´s gerade brauchten. Erklärungen wurden hinterher geliefert.

Die besten Beispiele sind da Aventurien und die Fighting-Fantasy-Welt Titan. Je nach Anforderungen des Moduls/des Spielbuchs wurden da ein Zauberwald, ein Evil Overlord, seltsame Monster, haarsträubende Dungeonwettläufe und Ninjas zusammengekloppt, und erst im Nachhinein wurde eine Welt draus. An den Rändern hat man jeweils nur angedeutet: die Stadt mit dem geheimnisvollen Namen, hinter dem Wald sind die Ruinen von Sowieso, der Hammer aus Abschnitt 341 gehörte einst dem Helden Dingsbums. So entstand für mich leicht zu beeindruckenden Brillenträger die Illusion von Tiefe und Weite - da gibt´s hinter jeder Ecke mehr, aber gerade, dass man´s nicht genau weiß, macht es so spannend. In letzter Zeit erlebe ich das in abgeschwächter Form bei Online-Spielen, wo ja auch mit jedem AddOn angekleistert wird und Früheres eingepasst werden muss. Diablo, WoW, sowas.

Angesichts der zeitgenössischen Diskussionen um Weltenbau und Settingwettbewerbe frage ich mich, warum mich so wildwüchsige Quatschsettings eigentlich immer mehr begeistert haben, als die mit de thematisch passenden Konfliktlinien. Man sollte ja annehmen, dass die sorgfältig abgefeilten mehr Spielspaß liefern, war aber durchaus nicht immer so. Liegt es nur an

- der Illusion geheimnisvoller Weite durch Namedropping und Andeutung unendlicher Fernen, die nur aus Namen bestehen- Fanatsieanregung?
 - und dem Zwang, früher Hingekliertes irgendwie noch in einen Zusammenhang zu bringen, was zu tollen Erklärungen führt?
- dem hemmungslosen Zusammenschmeißen unterschiedlichster Versatzstücke (Ninjas, Raumschiffe, Katzenmenschen, Speerfallen +3), von denen man sich auch erst später überlegt, wie das eigentlich alles zusammen geht?

Oder ist da noch mehr? Und, sagt mal, führen Quatschwelten eigentlich zwangsläufig auch zu einem anderen Spiel?

Offline Hector

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #1 am: 30.12.2009 | 13:12 »
Ich finde beispielsweise die (völlig idiotische) Welt von WOW sehr charmant. Die strotzen vor absurden Details (gnomische Robter-Reitvögel, Fantasy mit Hangranaten und Dynamit, die komischen Aliens mit ihrem abgestürzten Raumschiff auf der Fantasy Welt), und das ganze mit reichlich Augenzwinkern und Selbstironie erzählt. Hat irgendwie etwas heiter-unbeschwertes, fast Unschuldiges im Vergleich mit sich selbst zu ernst nehmenden Spielwelten, die äußerst würdevoll und gestelzt daherkommen. Ein bisschen bizarr muss für meinen Geschmack an jeder ordentlichen Fantasywelt dran sein, der Wunder-Faktor eben. Damit man, wie ein kleines Kind vorm Christbaum, an manchen Stellen einfach nur ungläubig staunend dasteht, um im nächsten Moment in lautes Gelächter auszubrechen.
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Offline Falcon

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #2 am: 30.12.2009 | 13:19 »
Ich habe mich nie für Quatschwelten interessiert, fand sie von Anfang an schwachsinnig und fand nur konsistente Spielwelten aus einem Guß faszinierend.
Merke: Konsistent heisst nicht "phantasielos".

Darin schliesse ich auch alle ein, die ich aus reinem Unwissen dafür hielt: Aventurien z.b.
Für mich damals eine große Leistung der Mittelaltersimulation ;D
heute weiss ich es besser, aber die Ansprüche sind immer dieselben geblieben.

aber naja, ich war wohl auch der einzige, der mit 10gerne in Museen gegangen ist.
« Letzte Änderung: 30.12.2009 | 13:21 von Falcon »
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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #3 am: 30.12.2009 | 13:23 »
Ich weiß nicht, ob die wirklich mehr faszinieren. Ein solches Konzept kann gut funktionieren. Macht D&D ja auch grade wieder.

Damit das funktioniert, muss es für den Benutzer dann aber relativ leicht sein, selbst Dinge einfügen können, am besten indem es bewusste Lücken gibt. Bei Nobilis z.B. hab ich das Problem, dass alles sehr vage ist und nicht ganz klar, in welche Richtung man das am besten vervollständigt. Ein paar feste Angaben wären da von Vorteil. (Etwa: Es gibt gegenwärtig x Götter auf der Welt. Die nächsten anderen Welten sind... Usw.)

Dann kann der Nutzer relativ leicht solche Leerstellen ausfüllen und das ist dann auch interessant. D&D macht das grade besser: "Vor 100 Jahren ist das letzte große Imperium, das Reich Nerath, untergegangen." Aha. Es hat schon mal einen Namen. Das ist gut. Selber Namen ausdenken ist nämlich für den Allerwertesten. Aber man fragt sich sofort: Warum ist es untergangen?

Der Trick ist den Leser dazu zu provozieren, bestimmte Antworten selbst zu geben. Eine mögliche Taktik ist sogar solche Fragen explizit hinzuschreiben. Hab ich das erste mal bei Ganakagok gesehen. Da muss man als Spielleiter drei Fragen zur Funktionsweise der Welt beantworten.

Egal ob man sowas aber explizit oder implizit macht, funktionieren gute Welten an sich immer so. Selbst wenn sie relativ vollständig sind. Ich bin mir auch nicht sicher, dass dieses Anregen des Lesers mit so vereinzelten Informationen unbedingt leichter ist, als wenn man mehr schreibt.

Offline Falcon

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #4 am: 30.12.2009 | 13:29 »
du sagst es gilt immer, weil es auch bei vollständig beschriebenen Welt so ist? (gut, du hast "relativ vollständig" geschrieben)
liest sich aber sehr zurecht gelegt.

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killedcat

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #5 am: 30.12.2009 | 15:30 »
Der Charme der idiotischen Welten ist ganz simpel: alles geht. Wenn der Verstand nicht im Weg steht, was soll einen dann hindern? Eisberge in der Wüste? Kein Problem. Fliegende Wale? Stimmungsvoll. Funktionierender Kommunismus? ... naja, wir wollen die Fantasie vielleicht nicht gar zu sehr strapazieren.

Star Trek hat eine riesige Fangemeinde, obwohl die Welt zusammengeflickt und hundert Male verändert wurde und in sich so wenig schlüssig ist wie eine jameikanische Rodelgruppe (war da nicht was?). Aus einem simplen Grund: man bedient gerade das, was man bedienen will. Und es funktioniert.

Für mich ist nur eine Welt idiotisch: die, in der ich nicht spielen mag. Wenn mir eine Welt zu abgedreht oder zu verwirrend ist, dann ist das eine Sache des Geschmacks.

Offline Edwin

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #6 am: 30.12.2009 | 16:38 »
Vielleicht waren diese Welten auch früher so faszinierend, weil eben alles ging, von Hofintrigen über Weltentdeckung bis Epische Schlachten.
Heute hat man Systeme und auch Welten, die auf ein Thema zugeschnitten sind, weil der Hobbyist ja in den meisten Fällen auf viele verschiedene Quellen Zugriff hat.
Guten Tag! Ja, ich bin ein sprechendes Pferd mit einer Kerze auf dem Kopf, aber kommunizieren Sie doch bitte mit mir so unbefangen wie mit bipedalen vernunftsbegabten Lebewesen auch!

Offline WeepingElf

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #7 am: 30.12.2009 | 17:02 »
Ich fand früher auch Sachen cool, die ich heute nur noch daneben finde.  Als Shadowrun rauskam, klappte mir die Kinnlade runter.  Cyberpunk mit EDO-Fantasy gekreuzt, das fand ich oberklasse, nur fand ich in Braunschweig damals niemanden, der das spielen wollte.  (Als dann der Shadowrun-Boom losging und jeder anfing, das zu spielen (nur nicht in meiner Stammrunde), war ich aber schon wieder von dem Trip runter.)  Überhaupt konnten die Crossovers für mich nicht bunt genug sein, und das sah man meinem selbstgestrickten, aber nie bespielten Space-Opera-Setting auch an.  Da gab es auch Elben, Zwerge und Magie, da kannte ich kein Pardon.

Heute sehe ich das alles wesentlich kritischer, und bin der Meinung, dass eine Welt nicht überladen sein, sondern mit wenigen Grundideen auskommen sollte.  Genres mischen macht in der Regel mehr Probleme als Sinn, da muss man vorsichtig sein.  Es kann gut gehen - meistens tut es das nicht.
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Offline Grubentroll

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #8 am: 30.12.2009 | 17:45 »
Ich verweise da gerne auf die "Known World", das erste D&D-Stammsetting. Da gabs soweit ich mich erinnern kann ne Wikingerkultur neben einer Wüste, wenn ich mich nach 22 Jahren noch recht erinnere.


Das schlägt selbst DSA nicht..  ;D


Spaß hats trotzdem gemacht... Vielleicht eben genau deswegen.

Offline dunklerschatten

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #9 am: 30.12.2009 | 17:48 »
Zitat
Angesichts der zeitgenössischen Diskussionen um Weltenbau und Settingwettbewerbe frage ich mich, warum mich so wildwüchsige Quatschsettings eigentlich immer mehr begeistert haben, als die mit de thematisch passenden Konfliktlinien. Man sollte ja annehmen, dass die sorgfältig abgefeilten mehr Spielspaß liefern, war aber durchaus nicht immer so.

Ich habe da ja eine extrem ketzerische Antwort ;)

Früher hat man eben nur Rollenspiel gespielt, hatte seinen Spass, hat Phantasie genutzt und 5 Grade sein lassen.

Nun mittlerweile sind die "Ansprüche" aber "gewachsen" oder man könnte auch sagen "mutiert", da mischt nun auf einmal mehr mit als nur die Freude am Spiel, hier ne Theorie, da ein Prediger, eine Priese Selbstdarstellung und ein Quentchen überschäumende Kritik.....

Und zack schon kommen ganz viele nicht mehr mit den Quatschsettings klar ;)

Das hat so ein bisschen was von der Schöpfungsgeschichte und dem Rauswurf aus dem Paradies.  >;D
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Offline Grubentroll

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #10 am: 30.12.2009 | 18:00 »
Vielleicht gibts ja sowas wie Hartwurst auch im Weltenbau.

Ist dann "Hartweltwurst".  ;D

Ja, stimmt schon, man kanns mit dem Realismus auch übertreiben. Das ist wie übertriebener Realismus bei der Malerei, wo ich mir jedesmal denke, da hätte er auch gleich ein Foto machen können, der Gute.

Allerdings, wenn ich da an manche DSA-Abenteuer zurückdenke, die wir im zarten Alter von 11 Jahren uns ausgedacht hatten, kann man ich schon gut kichern. Da hat man sich echt einfach noch keine großen Köppe gemacht. Man wollte halt in einer Welt spielen, wo man alles was sich in der explodierenden frühkindlichen Kreativität tummelte spielen konnte, und sich dann groß auf die Grenzen einlassen, die die Welt einem aufzwingen wollte, ging garnicht.

Man hat in dem frühen Alter halt auch extrem viel verarbeitet, was man zwei Tage vorher im Fernsehen gesehen hatte, und das war dann natürlich im Kontext von Aventurien (damals noch nicht so ausgearbeitet gewesen, aber immerhin), doch relativ fragwürdig.

Als Beispiel meiner Kindheit sei hier eine Art Shaolin-Tempel genannt, wo die Priester sich alle als Echsenmenschen mit Menschenmasken herausstellten, die die Helden essen wollten (da hab ich am Vortag "V - Die Besucher" und "Kung Fu" mit David Carradine geschaut gehabt).

Weiss nicht, wie gut das ins heutige Aventurien passen täte...  ;D

ErikErikson

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #11 am: 31.12.2009 | 14:11 »
Ich fand immer die Erklärungen schön, die man entwickelt hat, um die alten DSA Bände zu rechtfertigen. Was bsp. an krativität kam, als man im Nachhinein die Orklandtriologie angepasst hat.

Offline Grubentroll

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #12 am: 31.12.2009 | 18:42 »
Oder bei "Borbarads Fluch", hab mal was gelesen von "Das war der Fiebertraum eines aventurischen Helden, und ist so sicher nie passiert".  ;D

Schade eigentlich, fand das Abenteuer sehr originell und stimmungsvoll damals.

Aber da kommt mir DSA vor wie so eine berühmte Schauspielerin die früher in Pornos mitgespielt hat. Man schämt sich halt für die früheren Werke, aber ohne wäre man nicht da wo man jetzt ist.

Callisto

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #13 am: 31.12.2009 | 18:49 »
Michaela Schaffrath ist DSA? Das erklärt einiges  ;D

Offline GustavGuns

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #14 am: 31.12.2009 | 19:05 »
Mir fallen eigentlich kaum Abenteuerwelten ein, die nicht irgendwo idiotisch wären, es sei denn man verankert sie in der Geschichte unserer Welt. Und selbst dann ist halt alles was man hinzufügt eigentlich Schwachsinn (Vampire, Cthulhu, Aliens usw.). Die ganzen SciFi (Star Wars Laser machen Piu Piu im Weltall) und Fantasy Settings (das genderkorrekte DSA mit der demokratischen Ordnungmacht Wikinger, oh Junge!) sind eh jenseits von gut und böse.
Peng! Du bist tot!

Achamanian

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #15 am: 3.01.2010 | 11:36 »
Die idiotische Fighting-Fantasy-Welt Titan war klasse, das stimmt, vor allem wegen der ungeheuren Fülle abgedrehtester Monster aus allen Kulturkreisen und Zombiefilmen. Und das alte DSA hatte in der Beziehung auch was - ich wüsste immer noch gerne, was rausgekommen wäre, wenn die damals den Sword, Sorcery & Starships-Kurs aus Durch das Tor der Welten, Borbarads Fluch usw. weitergeführt hätten.
Ich will ja eh schon länger mal in einem vage definierten Fantasy-Setting drauflosspielen und seen, ob man selbst beim Improvisieren ähnlich charmantes hinkriegt. Wäre doch mal ein Post-Simyala-Projekt, oder, Jasper?

wjassula

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Re: Vom Charme idiotischer Welten
« Antwort #16 am: 3.01.2010 | 12:30 »
Absolut! Nachdem wir im Laufe von Simyala Aventurien eh schon mit grenzdebilen Gräfinnen, pestverseuchten Großstädten, dem Volksaufstand von Gareth und einem völlig uninteressanten Humusschlüssel ausgestattet haben  :D.