Midgard hat sicher mehr Detailtiefe als Savage Worlds
Detailtiefe - hmm, dieser Punkt wird oft erwähnt, aber WAS GENAU ist damit gemeint?
Wenn ich mir Midgard-Fertigkeiten von Midgard 1 (wo sie für den Abenteurer nur von Interesse waren) anschaue bis heute, dann hat es nur ein gewisses Aufblähen von Fertigkeiten gegeben, auf die man bestenfalls jede zehnte Spielsitzung mal würfelt bzw. die auch nach längerem Spiel NICHT EIN EINZIGES MAL an irgendeiner Stelle zum Einsatz kamen, wo es um etwas ging, wo es interessant war, wo es wichtig war. - Diese Art Details nennt man auch "Ballast". Reines Füllmaterial, das man sich, statt mit EP zu erwerben, auch einfach so auf den Charakterbogen im Rahmen des Charakterkonzepts aufschreiben könnte.
Wenn ich mir das haarkleine Aufdröseln der Kampffertigkeiten anschaue, wo zwischen Waffen ein Unterschied gemacht wird, der NUR zum Verbraten von EP gedacht ist, der aber weder plausibel, noch "realistisch" ist, so kommt mir das weniger wie "stimmungsvolle Details" vor, sondern das riecht nach Hartwurst, abgelagert.
Midgard 1 war ein wirklich AUF DEN PUNKT entworfenes Regelsystem - das Aufblähen hat Midgard regelseitig nicht gut getan. - Eine Trapping-Idee auf Midgard 1 aufgesetzt und Midgard wäre heute nicht das Fossil, das es leider ist.
Wenn ich mir die "Detail-Diskussionen" anschaue, dann geht es nur um REGEL-Details. Setting-Details kann man nämlich in Savage Settings in einem Maße finden, wie man sie auch in Midgard über JAHRZEHNTE nicht ausführlicher zur Verfügung hatte. Ich habe von Midgard 1 bis Midgard 3 durchgängig gespielt. Und was da an Settinginformationen vorhanden war, war SEHR MAGER - kein Vergleich zu RuneQuest oder AD&D!
Wenn es also um Details geht, dann habe ich den Eindruck, daß manche Rollenspieler einfach nur MEHR REGELN haben wollen. Mehr Regeln für viele, garnicht einmal unterschiedliche Dinge.
Und mehr (scheinbare) Auswahl.
Midgard bietet eine enorme Fülle an Möglichkeiten seine EP in Fertigkeiten zu stecken oder auch bei magiebegabten SCs in Zauber. - Und wenn man sich anschaut, was WIRKLICH eingesetzt wird, worauf WIRKLICH mal gewürfelt wird, was WIRKLICH mal gezaubert wird, dann bleibt kaum mehr übrig, als das, was SW im Grundregelwerk bietet.
Es ist eine SCHEINBARE Auswahl. - Man trifft die "Unterscheidung" etwas zu lernen und dafür EP (und jede Menge Gold!) einzusetzen, doch was man wirklich macht, ist sich nur ein TRAPPING für dasselbe, was man eigentlich schon kann, zuzulegen!
Rollenspiele SIND natürlich nur Schein, kein Sein. - Aber wenn ich eben ellenlange Fertigkeitenlisten sehe und Zauber, die sich kaum wirklich unterscheiden, bzw. die eigentlich nur unterschiedliche Ausprägungen desselben sind, dann kommt mir inzwischen der Eindruck auf, daß es eine Art "Mogelpackung" ist. - Da SIEHT nach mehr aus, als es wirklich ist. Und manche Rollenspieler scheinen das so zu mögen, treffen Schein-Auswahlen, und sind's zufrieden. Kein Makel.
Was ich nur nicht verstehe: Man KANN mit guter Begründung SW an manchen Stellen vorwerfen zu grobgranular, zu umfassend, zu breit angelegt zu sein, daß es regeltechnische Unterscheidungen böte, die man gerne eben auf regeltechnischer Ebene hätte.
Aber was viel öfter kommt, ist das Argument der AUSWAHLMÖGLICHKEIT.
Bei Midgard wird der Stufenanstieg nach oben hin eh langsamer, die Fertigkeiten und Zauber höherer Kompetenz immer teurer. Ich habe die Lust an Midgard verloren, als ich meinen Charakter für das Hochlernen von Kurzschwert-Kampf um +1 für ZWEIEINHALB JAHRE in-game Zeit aus dem Spiel nehmen mußte.
Ja, man KANN Midgard-Charakter 20 Jahre lange spielen (nur nach welchen Midgard-Regeln denn? Wurden die "konvertiert" bzw. zwischenzeitlich "upgraded"?), aber WAS KANN ein solcher Charakter denn nach 20 Jahren?
Wenn man einen LANGSAMEREN Aufstieg bei SW haben will, wieso kommt man dann nicht auf die simpelste aller Lösungsmöglichkeiten: weniger XP vergeben?
Oder man nimmt die XP pro Level-Up mal 10. - Also braucht es 50 XP, um einen Level-Up zu bekommen.
Wenn ich mir anschaue, welchen Kompetenzzuwachs ein SW-Charakter bekommt, der Marksman als Edge erlernt hat, dann hätte er dazu in Midgard ein paar TAUSEND EP aufwenden müssen!
Wer also einen langsameren Aufstieg der Charaktere möchte, der braucht bloß die SW-Charaktere langsamer aufsteigen zu lassen!
Das geht auch umgekehrt: Man kann Midgard-Charakteren grundsätzlich doppelt soviel EP geben, wie rechnerisch pro Abenteuer angefallen wären, und man kann auf die Geldhorterei zum Lernen verzichten oder neuere Regeln wie Praxispunkte stärker verwenden.
Ich weiß nicht, WIEVIELE Midgardspieler wirklich in einer Gruppe zusammenspielen, die nach 20 Jahren noch DIESELBEN Charaktere hat - und damit noch DIESELBEN SPIELER! - Das entspräche ja schon beinahe klösterlicher Konstanz bei der Gruppenzusammensetzung!
In meiner Alten Säcke (tm) Gruppe, da spielen wir tatsächlich z.T. seit 30 Jahren, seit 26 Jahre, seit 20 Jahren miteinander. Diese Gruppe ist sozusagen der REST einer VIEL GRÖSSEREN Gruppe aus Schulzeiten und aus Unizeiten (wo es bisweilen 13 Spieler in derselben Runde gab). - Die anderen Spieler sind alle weggezogen, beruflich/familiär bedingt keine Rollenspieler mehr, usw.
Ich kann mir nur schlecht vorstellen, daß solche über Jahrzehnte miteinander spielenden Gruppen der NORMALFALL bei Midgard sind. - Diese sind nur der Normalfall von langjährigen Midgard-Wortführern, weil das DEREN Weg das Hobby zu betreiben ist und sie die "Gnade der zusammengebliebenen Gruppe" haben.
Wenn ich hier aber lese, daß manche Midgard-Gruppen eben NICHT JEDE WOCHE für 20 Jahre miteinander spielen, sondern 4 bis 6 mal im Jahr, dann kommt man auf DEUTLICH WENIGER Spielsitzungen. - Und dann verstehe ich das Langzeitspiel-Argument gegen SW noch viel weniger.
Meiner Erfahrung nach, kann man im zweiwöchentlichen Spiel SW über Jahre hinweg spielen, OHNE auch nur jemals an eine Entwicklungsgrenze zu stoßen. - Und das beste: Man muß die Charaktere in Legendary Rank NICHT für zweieinhalb Jahre auf die "Kurzschwert-Akademie" aus dem Spiel ins Off schicken! JEDER kann mit seinem Charakter weiter mitspielen.
(Grausige Erfahrung am Rande: Perry Rhodan Runde. Nach den ersten, spannenden Abenteuern war Lernen angesagt. Eine Gruppe von 5 SCs hatte sich so von 6 Monaten (das war der Schnellste) bis 2,5 Jahre (der Langsamste) AUSEINANDER GEZOGEN. - Was nun? - Nach 6 Monaten hätte der Schnellste wieder was Abenteuerliches erleben wollen, während der Langsamste da noch 2 Jahre "Studium" vor sich hatte. - Solch eine "Detailtiefe" kann mir wirklich gestohlen bleiben! Das hatte ich an Midgard wirklich - sowohl als Spieler wie als Spielleiter, der KEINE kontinuierlichen Handlungsbögen bei gleichzeitigem Aufstieg der Charakterkompetenz spielen kann - zum KOTZEN gefunden.)
Auch kann man SW Charaktere sicher nicht so lange spielen wie Midgardcharaktere, das ist sicher auch richtig (manche können das anscheinend).
Man sollte auch nicht vergessen: SW gibt es erst seit 7 Jahren, Midgard seit 29. - Da fällt es schwer SW-Charaktere zu finden, die seit 20 Jahren bespielt wurden (außer von Zeitreisenden).