Senfgas über Dijon
Tagebucheinträge Dr. Mark Baltes, Anästhesist
18. September
Die Ankunft im Grenzposten Süd erfolgte nach meiner Rückkehr aus der adriatischen Tiefebene ohne besondere Vorkommnisse. Ich habe meine entsprechenden Berichte an die Direktion weitergegeben und meine neuen Befehle entgegengenommen, die nichts Gutes andeuteten. Scheinbar hat das Spital nur auf meine Rückkehr gewartet, es lag eine Erwartungshaltung in der Luft, wie ich sie bisher noch nicht spüren konnte. Scheinbar sollte es am 19. September schon losgehen, als nicht einmal ein paar Tage Ruhe – Danke, verdammtes Spital, danke verdammte Planung. Ich hatte also nur ein paar Stunden, die ich auch gleich nutzte um mir ein paar Destillate hinter die Binde zu gießen und mir den Tripper einzufangen – verdammte Troßhuren, verdammte Wiedertäufer.
19. September
Das Briefing am Morgen hat meine Sorge bestätigt, es geht in den Westen, ins verdammte Land der Franka. An und für sich ja noch kein Problem, nur das Ziel der Mission lässt eine Gänsehaut entstehen. Wir sollen nach Dijon vorstoßen und eine Pheromantenkönigin fangen – lebendig. Wenn ich nicht genau wüsste, dass es im Spital nicht nur Verrückte gibt, die solche Pläne als erstrebenswert einstufen, hätte ich schon lange das Handtuch geschmissen. Aber da mir das Spital mehr als nur eine gute Ausbildung geschenkt hat, bleibt mit wieder einmal nichts anderes übrig, als mich der Obrigkeit zu fügen und meinen Arsch ins Feindesland zu bewegen – diesmal hoffentlich mit etwas mehr Erfolg als beim letzten Mal.
Unsere Mannschaft besteht aus einem 25 Famulanten, angeführt von einem imposanten Beispiel eines leidgeprüften Veteranen namens Turas, oder so ähnlich. Die Narben , die sein Gesicht zieren sind viel imposanter und wichtiger als sein Name, denn sein Wissen ist entscheidend für den Ausgang unserer Mission. Ich bin fasziniert von ihm, wage es aber nicht, ihn direkt nach seiner Vergangenheit zu fragen. Dann ist da noch Doktor Küster, ein borcischer Feldarzt, der scheinbar auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. Dr. Gomez, ein hybrispanischer Hygieniker – ich hasse Aliterationen – gehört genauso mit zur Truppe wie der Pharmazeutiker Dr. Bredo, oder so ähnlich. Namen werden wohl nie zu meinen Stärken zählen. Dann noch zwei Mitglieder der Insistance, jener frankischen Widerstandsbewegung, die so tapfer gegen die Pheromanten kämpft. Es sieht alles nach einer homogenen Truppe aus, wäre da nicht jener Mann, den ich schon kurz nach seinem Auftreten erwürgen möchte. Dr. Krieger – und der Name ist hier auch gleich das verdammtes Programm – vom verdammten Zweig der Hippokraten. Er ist nicht unbedingt jemand, mit dem ich mein Zelt teilen werde, soviel ist sicher, vor allem nicht, mit dem verdammten Tripper – da stehen sonst ganz groß die Worte APRAXIE in meiner Akte.
Nach Beendigung unseres Briefings übernimmt Preservist Vedran die Führung und ließ uns auch nach kurzer Zeit schon aufbrechen.
20. September
Franka ist scheiße und Preservist Vedran ein verdammt kaltes Arschloch. Ich hatte auf unserer Patrouille ein Leperos-Mädchen gefunden, dessen Mutter bereits tot war. Die Famulanten in meiner Gruppe waren alles noch Frischlinge und Vedran enthauptet das Mädchen ohne Rücksicht auf die jungen Männer und Frauen, die vielleicht zum ersten Mal einen Leperos sehen. Traumatisierte Famulanten wieder an die Glaubhaftigkeit unserer guten Sache zu erinnern ist nicht so einfach, aber mit so etwas hat Vedran ja dann nichts am Hut. Die Scheiße bleibt immer ein paar Etagen tiefer hängen.
Ich hätte ausreichend Muskelrelaxanzien in meinem Vorrat um dem Mädchen einen gnadenvollen Tod zu gewährleisten – das wäre dann nicht ganz so plastisch von Statten gegangen. Die Stimmung ist am zweiten Tag schon im Arsch – nicht, dass ich damit bereits früher gerechnet habe, aber bei einer Reisedauer von circa fünf Tagen ist das natürlich mehr als suboptimal. Ich versuche abends noch einmal die Stimmung bei den Famulanten zu heben, vielleicht hilft es etwas.
21. September
Verdammtes Franka, verdammte Sporen – und Gott verdammt noch mal, dieser verdammte Tripper. Ich habe mir von Dr. Küster was für das verdammte Jucken geben lassen. Wenigstens einer, der einigermaßen was beisammen hat. Im Laufe des Tages durchqueren wir ein kleines Sporenfeld, wir schaffen es nicht, ohne Verluste – drei Wiedertäufer. Unser beiden Führer aus Franka erweisen sich als kundig in diesem Gebiet - für uns ein deutlicher Vorteil. Nach der Entsporung fast einer Handvoll Wiedertäufer – wer hat die Kerle eigentlich mit so schlechtem Equipment angeworben? – schlagen wir unser Lager auf. Wenn ich pisse fühlt sich mein kleiner Doktor an, als ob brennendes Destillat durch meine Harnröhre wandert. Dr. Küsters Zeug hilft aber ein klein wenig.
Doch eine ruhige Nacht haben wir wieder einmal nicht. Ein Schwarm überrollt unser Lager. Wir verlieren mehrere Famulanten und ein Großteil unserer Zelte. Diese verdammten Biester erwischen sogar mich – sie kamen einfach überraschend und wenn der verdammte Tripper nicht wäre, hätte ich mein Neoprenanzug auch nicht auf und wieder zumachen müssen. Weiß der heilige Famulant, wie ich lebend aus der Sache rausgekommen bin. Aber ich sitze hier und schreibe diese Zeile – eines der wenigen guten Zeichen.
22. September
Da liegt es vor uns Dijon, verfallen, versport und ganz sicher nicht der ideale Platz um ein paar Pheromanten in den Arsch zu treten. Vedran und der Rest stellen den Angriffsplan zusammen. Ich bin plötzlich einer der wichtigsten Personen in unserem Trupp – das erste Mal, das ich von der Hundertschaft bewacht werde. Aber irgendwie habe ich die Ahnung, dass es nicht so endet, wie wir es geplant haben. Es beginnt mit der Phosphorgranate, die einer unserer frankischen Führer – die beiden sind echt schwer auseinander zu halten – wirft. Als zweites greift unser zweiter Trupp von Norden her an, auch dort werden Pheromanten vermutet. Wir machen uns für den Angriff bereit. Mit meinem Messer fühle ich mich nicht unbedingt gut vorbereitet. Doch die, von unserem Famulanten-Veteran ins Leben gerufene und erprobte, Phalanx nimmt mir einen Teil des Unwohlseins. Es geht los!
23. September
Was ein Gemetzel gestern, was ein Sterben. Ich mochte Franka noch nie und habe mich immer gegen die Psychonauten ausgesprochen – der gestrige Angriff untermauert meine Meinung. Wie Marionetten haben uns die Menschen angegriffen – sich ohne darüber nachzudenken in die Spreizer geworfen. Ich habe gehakt, gestoßen und mit meiner Messer Bäuche aufgerissen – Kugeln, Liquor und Hirn, Blut und andere Körperflüssigkeiten fliegen durch die Gegend. Es riecht nach Tod und diesem süßlichen Unterton, den die Pheromanten verbreiten. Wir erreichen die Kathedrale, zumindest soll sie es einmal gewesen sein. Auf mich wirkt sie eher wie ein gigantischer Termitenhügel, die Schlote erinnern an eine Fabrik – abartig. Während wir durch die Gänge schreiten, bekomme ich ein ungutes Gefühl. Wir stossen unterwegs auf eine Brutkammer, die Schwageren liegen hier regungslos – in Ihrem Uterus jeweils einen Pheromanten. Wir schenken ihnen einen schnellen Tod. Dann geht alles schnell. Wir stoßen zum „Thronsaal“ vor, jenem Ort der ehemaligen Kathedrale, in dem die Königin liegt. Aufgequollen und mit Pheromondrüsen so groß wie Kinderköpfe liegt sie vor uns. Umgeben von anderen Pheromanten und einem Schwarm an Insekten. Der nächste Kampf wird heftig und brutal. Ich habe mittlerweile ein Fungizidgewehr und kümmere mich zwischendrin um den Schwarm, während sich der Rest im Nahkampf misst. Wieder einmal ist Vedran der Fels in unserer Brandung. Ex-Aerosol ist eine hässliche Sache für Pheromanten – ich habe noch nie soviel widerlich riechende Flüssigkeiten aus einer Kreatur auslaufen sehen. Die Königin erbricht, scheidet aus und trennt sich auf mehr als unangenehme Weise von Ihren Sporen. Nach meiner Sedierung liegt sie wie ein gestrandeter Wal auf dem Altar. Es benötigt eine Handvoll kräftiger Famulanten und Ärzte um sie von dort herunterzuwuchten und in Netze einzuwickeln. In Purgare gibt es Wurst, die so eingerollt wird – Salami wird sie dort genannt – das gleiche Bild zeigt sich bei der Pheromantenkönigin, nur ihre bleiche Haut und die austretenden Flüssigkeiten sprechen ein anderes Bild. Ich brauche ganz dringend Urlaub, wenn ich gefangene Pheromanten schon mit verdammten purgarischen Spezialitäten vergleiche. Wir brechen auf, aber nicht ohne das Muttersporenfeld mit Naniten zu bestücken. Vedran hat sich noch für uns geopfert, nachdem eine weitere Streitmacht eingetroffen ist – Dank sei den Ingenieuren der Pestizidbombe und der Phosphorgranaten.
04. Oktober
Wir sind angekommen – nur noch ein Haufen des großen Trupps der damals aufgebrochen war. insgesamt haben von den mehr als 30 Famulanten nur vier überlebt. Sie haben die Mission mit ihrem wertvollen Leben ermöglicht – auch wenn das noch keiner dankend erwähnt hat. Nicht einmal Dr. Helmstedt, der uns auf diese Mission geschickt hat. Er verbringt nun noch mehr zeit im Labor – bei seiner „Schönheit“. Ich könnte kotzen und mag mir verdammt noch mal nicht ausmalen, was er dort treibt – hoffentlich nur Untersuchungen. Ich werde mich jetzt auch wieder etwas ablenken – wenn möglich diesmal allerdings ohne das leidige Jucken.