Samstag, 15. Mai 1920 - Tag 3
Harry ist Punkt 0900 im "Büro". Die Anderen lassen auf sich warten, deshalb kocht sie (also ich) erst einmal Kaffee.
Sie hat die Unterlagen mitgebracht (eigene Advokat-Stanton-Handouts) und sortiert diese.
Nolan + Archie haben ihre zwei Kollegen aus dem Krankenhaus geholt und die vier Chars treffen um 1110 im "Büro" ein und machen sich sogleich über die Papiere her.
Leider sind die Akten unvollständig, denn sie gehen nicht so weit zurück wie erhofft - nämlich nur fünf Jahre.
Während dieser kurzen Zeit ereigneten sich dennoch drei tragische, tödliche Unfälle, zwei Selbstmorde und ein vierfach Mord eines Vaters an seiner Familie, mit anschliessendem Selbstmord, im Haus 110.
Danach blättern alle die jüngsten Berichte der Tageszeitungen durch. Im "Chronicle" steht ein knapper, einspaltiger Bericht über die gestrige Aktion des "Büros" am Holland Park (eigenes Handout). Im "Herald", im "Express" und in der "Mail" ist dies betreffend nichts über den gestrigen Tag zu entnehmen. Und die snobistische "Times" lesen sie eh nicht, oder allerhöchstens nur im äussersten Notfall.
Sie besprechen sich und vereinbaren, dass das Haus 110 von ihnen vorerst nicht wieder betreten wird.
Danach verteilen sie die Aufgaben:
Archie nutzt seine Kontakte zum Yard, prüft das Melderegister der Polizei und das Archiv des Kriminalgerichts.
Nolan durchstöbert das Grundbuchamt, das Stadtarchiv und das Archiv des Landgerichts.
Giles befragt die Nachbarn des Hauses und die anderen Anwohner am Holland Park.
Northan klappert die Zeitungsverlage ab und sieht sich dort nach alten Zeitungsartikeln um.
Harry bleibt am Telefon im "Büro" und studiert weiter die Tageszeitungen.
Und Gambit... der pinkelt derweil auf den Fussboden.
Nach und nach stossen die Chars nun auf einzelne Unterlagen (eigene Handouts).
Abends um 2030 treffen sich alle wieder im "Büro" und jeder berichtet über seine Nachforschungen.
Sie stellen rasch fest, dass der von ihnen gesteckte Zeitrahmen für die geplanten Nachforschungen viel zu kurz war und sie noch mindestens zwei bis drei weitere Tage dafür einzuplanen haben.
Giles berichtet, dass er mit der alten, weisshaarigen Dame gesprochen habe, die Northan beschrieben hatte.
Die 83-jährige Geena Greenspan, Frau des verstorbenen Architekten Leonard Greenspan, wohnt seit ihrer Geburt im Haus 108 und entwendet hin und wieder Rosen aus dem Nachbargarten.
Giles versuchte die Frau emotional zu knacken: "Schnittblumen machen mich immer traurig. Sie erinnern mich an unsere Vertreibung aus dem Paradies." Und siehe da, Frau Greenspan stieg darauf ein und sie sprachen über körperlichen Verfall, die Unsterblichkeit der Seele, über selbstgebackene Zimt-Plätzchen und teuren Gin (drei-mal destillierter Beefeater Crown Jewel).
Sie habe ihm so einiges Interessantes berichtet, sagt er. Im Übrigen war sie eh die einzige Person, mit der er, aus zeitlichen Gründen, heute habe sprechen können (den Gin verschweigt er dabei aber tunlichst).
Sie habe oft, wenn sie im Nachbargarten war, Musik aus der Bibliothek von 110 gehört - immer wieder das gleiche Stück - die Sonate Nr.3 f-Moll für Klavier von Johannes Brahms (1854). Auf Nachfragen von Giles spielte sie ihm dieses Stück sogar am eigenen Klavier vor.
Nun gleichen die SCs ihre Nachforschungen ab, wobei Geiles die interessantesten Informationen beisteuern kann:
Das Haus wurde 1866 von dem wohlhabenden Steinmetz Michael Wheeler für seine Frau Isabelle gebaut (Grundbuchamt / Zeitung). Beide hatten im Jahr zuvor geheiratet, doch nach etwa drei Jahren befiel eine unbekannte Krankheit seine Frau (Zeitung). Zuerst bekam sie schreckliche Schmerzen, dann konnte sie nicht mehr laufen und später bekam sie auch noch spastische Anfälle (G.G.).
Dennoch überlebte sie ihren Mann um mehr als zwei Jahrzehnte, denn dieser verunglückte 1870 auf einer Baustelle und kam schon im frühen Alter von etwa Mitte dreissig ums Leben (G.G.). Da er aber ein reicher Mann war, hinterliess er seiner Frau ein stattliches Vermögen (Landgericht / Stadtarchiv).
Ende der 70er nahm Isabelle eine neue Haushälterin in ihre Dienste, eine rüstige, alte Frau - 70 Jahre oder älter - eine Italienerin mit Namen Schachar Singari. Von den anderen Anwohnern wurde diese gemieden wie die Pest und bald nur noch "Die Hexe" genannt. Schachar arbeitete in dem Sanatorium (Metropolitan Imbecile Asylum, Caterham, London), in dem auch Isabelle behandelt wurde. Sie und Isabelle seien schnell unzertrennlich geworden und irgendwann war Isabelle sogar wieder ganz gesund (G.G.).
Anfang der 80er (1884 Zeitung) kam es zu einer folgenschweren Konfrontation mit Silas, einem Mann, den "Die Hexe" als ihren Sohn ausgab. Der Konflikt ereignete sich auf der Holland Park Mews, zw. ihm und Randolph Mortimer III, dem Sohn von Sir Oliver Mortimer, Mitglied des Oberhauses, dessen Familie im Haus 101 wohnte.
Randolph und vier seiner Freunde lauerten Silas auf - und während diese ihn festhielten, schlug Randolph ihn übel zusammen. Zwei Tage später erkrankten alle fünf an einer undefinierbaren Hautkrankheit. Zuerst schien es nur ein einfacher Hautausschlag zu sein, den sie sich von diesem dreckigen Pack geholt hatten. Doch dann bildeten sich überall am Körper schmerzhafte Blut- und Eiterblasen, die aufquollen, zerplatzten und hässliche Narben zurückliessen.
Die ganze Strasse sprach, teils angewidert, teils mitfühlend, über diese Erkrankungen und deren mögliche Ursachen, aber alles natürlich nur hinter vorgehaltener Hand. Einige Anwohner machten fortan das Kreuzzeichen, wenn sie die "Die Hexe" sahen.
Die fünf siechten zwei bis drei qualvolle Wochen dahin, doch nur Randolph verstarb daran (die Familien Mortimer und Greenspan hatten beide Dr. Terrence Blackwood als Hausarzt) (G.G.).
Nach diesem Zwischenfall wurden das Haus und seine Bewohner nicht mehr gemieden... sondern gefürchtet (G.G.).
Northan konnte einige Zeitungsartikel sichten und berichtet, dass Michael Wheeler schon in jungen Jahren, sehr wohlhabend, einflussreich und ein aussichtsreicher Kandidat auf einen Stuhl im Stadtrat gewesen sei, obwohl er sehr bescheidenen Verhältnissen entstammte.
Einige Artikel beschreiben die opulente Hochzeit von Michael und Isabelle (Frühling 1865), deren schlimme Krankheit (Sommer 1868), Michaels tragischen und überaus blutigen Unfalltod (Herbst 1870), als ihn eine herabrutschende Schieferplatte, oberhalb der Hüfte, buchstäblich in zwei Hälften trennte. Ein Bericht schildert den Aufruhr einer grossen Menschenmenge, aus der umliegenden Gegend, vor dem Haus 110 (Herbst 1884).
Giles berichtet, dass mit der Zeit bei Isabelle immer mehr seltsame Männer ein und aus gingen. Männer mit schwarzen, lockigen Haaren und langen Mänteln. Ausländer, vermutlich Italiener oder auch Spanien. "Die Hexe" schien ihre gesamte Sippe dort ansiedeln zu wollen (G.G. / Yard).
Archie legt eine Liste (eigenes Handout), mit den Eigentümern und Bewohnern des Hauses 110, vor. Diese ist seit der Erbauung des Gebäudes, im Jahre 1866, fortlaufend (Grundbuchamt / Melderegister). Die Liste wird von Giles mit seinen Informationen abgeglichen - weder Schachar, noch einer ihrer sog. Verwandten, war jemals im Haus 110 gemeldet.
Nach Angaben von Frau Greenspan war "Die Hexe" dann im Jahre 1895 auf einmal verschwunden. Auch all ihre Verwandten waren fort. Als hätte es sie niemals gegeben.
Isabelle, die, seit ihrer Genesung 1870, nicht gealtert zu sein schien, wurde gebrechlich und grau, als hätte sich das Alter ihrer erinnert. Sie verfiel von Tag zu Tag immer mehr. Anfang des Jahres 1897 war Isabelle dann von einem Tag auf den anderen fort. Niemand wusste wohin oder warum. Und niemand bekam sie je wieder zu Gesicht. Nichts hatte sie aus ihrem Haus mitgenommen, nicht einmal einen Koffer. Sie hatte sich anscheinend einfach in Luft aufgelöst. Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens, muss Isabelle so etwa Mitte bis Ende Fünfzig gewesen sein.
Giles berichtet auch, dass er abends, beim Verlassen des Hauses 108, ein kleines Mädchen (ca. 5-6 Jahre alt) hinter einem Fenster im 2. Stock des Hauses 110 gesehen habe, das eine Puppe in den Armen hielt und ihm zuwinkte.
Und seltsamerweise standen im Haus auch viele Fenster offen. Upps!!! Er habe aber kein Verlangen verspührt, allein durch eines der Fenster zu klettern, um nachzusehen. Und ausserdem würde er erst wieder bei Tag in die Nähe dieses verfluchten Hauses zurück gehen.
Northan erinnert ihn derweil daran, dass es sie beide vor zwei Tagen auch bei schönstem Sonnenschein erwischt habe, was den armen Giles nicht gerade zuversichtlicher werden lässt.
Er berichtet weiter, dass er einen dunkelblauen Rolls-Royce beobachtet habe, der auf der anderen Strassenseite vor Haus 107, mit laufendem Motor, wartete und abends immer noch (oder schon wieder) dort stand. In diesem Auto sassen drei Männer in dunklen Anzügen, die sowohl bei seiner Ankunft, als auch beim Verlassen des Hauses, um 1950 im Zwielicht, Zeitung lasen. Das Nummernschild habe er aber leider nicht lesen können.
Jetzt steuert Nolan noch einige Details vom Landgericht Kensington bei.
1877 wurde Frau Wheeler wegen wiederholter nächtlicher Ruhestörung, aufgrund lauter Gesänge zu einer Geldstrafe in Höhe von stg. 4/10 (= Euro 900) verurteilt.
1878 wurde Frau Wheeler von einigen Anwohnern verklagt. Der Antrag lautet, dass ihre Haushaltshilfe, Schachar Singari, der Gegend verwiesen werden solle "...als Konsequenz für ihre krankhaften Angewohnheiten und ihr unheilvolles, verstörendes Verhalten." Sie gewann jedoch anscheinend den Fall, wie weitere Klagen, dieser und ähnlicher Art, aus den Jahren 1879-1882, beweisen.
1880 wurde den Bewohnern des Hauses die Hausschlachtung von Ziegen und Schafen gerichtlich untersagt, sowie die Verbrennung von tierischen Abfällen im Garten. Bei Zuwiderhandlung drohten Frau Wheeler stg. 24 Strafe.
1881/1882 gab es mehrere Anzeigen gegen Unbekannt, da Hunde und Katzen spurlos im Holland Park und der näheren Umgebung verschwanden, von denen einige tot in verschiedenen Mülltonnen wieder auftauchten.
Northan erzählt von einem bemerkenswerten Zeitungsbericht, den er im "Express" vom 18.06.1900 gefunden habe: Als 1898 das Haus an die Stadt fiel, verkaufte diese es an Herrn George Hampton und seine Frau Margaret. Sie bauten einiges im Haus um und modernisierten es (Wassertank unter dem Dach, Boiler für Warmwasser, Toilettenspülung, Strom).
Am Sonntag, den 03.06.1900 kam Margaret bei einem Stromunfall, im Nassbereich des 1. Stocks, ums Leben.
Am Freitag, den 15.06.1900 fand ein Postbote George Hampton im Eingangsbereich. Er hatte sich am Lüster mit seinem Gürtel erhängt.
Der Reporter zitiert in seinem Artikel Dr. Mitchell vom Hammersmith Krankenhaus: "Es handelte sich in diesem Fall um den klassischen, tragischen Unfalltod bei Frau Hampton, welcher den Ehemann traumatisierte. Hieraufhin wählte er den Freitod. Frau Hampton selbst erlag einem langanhaltenden Stromfluss, der, aufgrund krampfartiger Anfälle, bei ihr sogar Knochenbrüche im Oberschenkel herbeiführte. Ein langsamer Tod, voller Agonie, war bei ihr die unausweichliche Folge."
Erstaunlich waren jedoch nicht die Toten, sondern die Tatsache, dass das Haus 110, aufgrund von Problemen im Umspannwerk, erst am Mittwoch, den 06.06., ans städtisch Stromnetz angeschlossen werden konnte. Upps!!!
Nach einer kurzen Besprechung, über verschiedenste Mutmassungen und Erklärungsversuche, schlägt Nolan vor, dass sich jemand in den umliegenden Bestattungsinstituten umhören und Unterlagen einsehen solle. Auch wäre es überaus nützlich, wenn sich noch lebende, ehemalige Bewohner aus 110 finden liessen, um diese zu befragen. Ausserdem solle jemand das Caterham Asylum aufsuchen. Und weiter empfände er es als überaus sinnvoll, wenn am nächsten Tag jemand die Fenster im Haus 110 wieder schliessen würde.