In der Reihe kleiner bzw. kompakter 20-Seiten-Quellenbuch-PDFs für das Fate-Superheldenspiel ICONS gibt es nun auch erstmals einen Teil über Deutschland. Der Titel:
Comicworld Germany.
Ich habe mir dieses kleine PDF (nur $1.99) diese Woche gekrallt und heute erstmals durchgelesen. Es ist SOOOOO KLASSE geworden!!
Geschrieben wurde Comicworld Germany von dem Polen Jakub Osiejewski, editiert von amerikanischen Mitgliedern des ICONS-Teams. Das Cover stammt von Louis Porter Jr. Wie alle Teile der Comicworld-Serie enthält das PDF neben ein paar schwarzweißen Comic-Panel-Seiten nicht nur ein halbes Dutzend spielbereiter Gegenspieler, Schurken oder Antihelden, sondern auch eine Kurzübersicht über die Geschichte des jeweiligen Landes, ein paar ausgesuchte Spiel-Locations in diesem Land und Abschnitte über Stereotypen und Vorurteile über das Land.
Jakub Osiejewski ist einen unerwarteten Weg gegangen: Im Gegensatz zu so gut wie allen anderen Deutschland-Quellenbüchern: Absolut
keine NAZIS!! Keine Bemerkungen zu WWII, Hitler oder SS oder "Nazi-Übermenschen" in einem Golden-Age-Setting. Die Begründung des Autors dazu ist differenziert und in dem kleinen PDF genau dargelegt: Zum einen sagt er, Golden Age WWII Zeug sei bereits in allen möglichen Superheldenspielen bis zum Erbrechen ausgereizt worden, jeder andere Verlag hätte ja irgendwas über den Krieg und das Dritte Reich gemacht. Zum anderen sei das Thema ihm und seinen Freunden und Verwandten als Polen noch zu nah und damit nicht ohne Emotionalität zu beschreiben, und außerdem wolle er keinen drolligen "Comic-Hitler" und keine "Comic-Nazis" in seinem Buch, um nicht die Dimensionen des realen Grauens dieser Zeit zu einer Popkultur-Karikatur zu machen. Sehr löblich...
Dagegen geht seine Übersicht über die deutsche Geschichte von der Schlacht im Teutoburger Wald über Karl den Großen und das Hochmittelalter weiter zu Luther, dem Barock und dem Alten Preußen, und zu Bismarck und dem Kaiserreich bis einschließlich dem Ende des Ersten Weltkriegs. Dann kommen ein paar wenige Zeilen über die Weimarer Republik, die NS-Zeit wird übersprungen und es geht weiter mit der Teilung, dem Ost-West-Konflikt (man kann sogar "Ossie" und "Wessie" als Aspekte oder zumindest Charakterdetails wählen, und die Wörter "Ossie" und "Wessie" stehen auch so im englischsprachigen Text des Supplements!) und den neuesten Entwicklungen - Fall der Mauer, Vereinigung 1990, Deutschland in der EU, Deutschland als Wirtschaftsmacht, deutsche Befindlichkeiten usw. Zu jedem geschichtlichen Abschnitt - sozusagen von Arminius über Luther bis zu Angela Merkel - gibt es außerdem ausgesuchte Plot Hooks speziell für Superheldencharaktere und kleine entsprechende Abenteuerideen. Sehr gut gemacht, und dabei alles so kompakt.
Was mir außerdem noch gefallen hat: Die Bemerkungen zu den klassischen Versatzstücken aus Fantasy- und Gaming-Literatur, die sich größtenteils aus der deutschen Geschichte speisen:
- der Schwert schwingende, haarige naturverbundene Barbarenkrieger
- der edle Ritter in Plattenpanzerung auf seinem Ross
- der penible Schriftgelehrte oder Kleriker
- der Stammesfürst, der sich zum Herrscher über viele Stämme und Länder machen will
- romantisch-verträumte Elfen, Feen, Kobolde, sowie Riesen und Hexen (alles natürlich in der Comic-Version)
- der übergenaue und fanatische Ingenieur, Bastler, Erfinder oder "Mad Scientist"
Für den Autor sind das alles Klischees deutschen Ursprungs.
Weil ich sie so treffend und gleichzeitig zum Schieflachen fand, füge ich noch ein paar Abschnitte aus dem Text über nationale Stereotypen ein:
Aus der Einleitung über Deutschland insgesamt...
Germany is a federal democratic republic in
Western - or Central - Europe, and a major economic
power of the world [...] a member of NATO, G8, and UN,
and a driving force behind European Union. It’s a
homeland of many key scientific, technical and
philosophical innovations, and for many years it was
associated with progress and technology. In many ways
it’s the European country that is the most similar to the
United States of America – politically, culturally and
socially.
Nationale Stereotypen:
Germans are said to be attentive, hardworking
and efficient – sometimes frighteningly
so. This is a stereotype, but it has some basis in
reality. The so-called Protestant mentality, not
condemning riches unlike Catholicism, either
derives from German mentality or shaped it in
the years after Reformation. Germans celebrate
and cultivate the traditions of hard work.
(Na ja, und was mache ich dann als Katholik?
)
Hier etwas für Spielercharaktere:
The Germans have a wide range of stereotypes
concerning other European nations. The French
are thought to be easygoing, cultured, but snobbish.
The Austrians (and to some degree the Swiss
and Danes) are slow-witted but basically German.
Italians are funny, disorganized people, who make
great food. Poles are irresponsible thieves. Czechs
and Slovaks are reasonable, hard-working and
funny. Russians are either communist invaders
or good trading partners. Finally, Americans are
nice, rich, somewhat crazy and very violent.
Natürlich gibt es auch intern Neckereien und Klischees, die nicht unerwähnt bleiben:
Inhabitants of East Germany think of
their Western compatriots as arrogant and spoiled –
in turn Wessies think that East Germans are backward
and narrow-minded [...] Bavarians are comically inept
beer-swillers, protecting their independence, while
East Frisians are silly farmers addicted to tea.
Und so heißen übrigens bezeichnenderweise "unsere" teutonischen Beispiel-Charaktere:
Zeitgeist
Neurtha (nach der germanischen Göttin Nerthus)
Kreuzritter (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Oberschurken in SAS)
Eisengeist
Dichter and Denkerin
Lady Schadenfreude
Auf der vorletzten Seite dieses sehr unterhaltsamen Dokuments, vor den Credits, gibt es noch ein besonderes Schmankerl. Ich verrate es euch gleich: Es ist eine Liste mit deutschen Begriffen und Phrasen, in völlig richtigem Deutsch, samt Aussprachehilfen in Lautschrift.
Sozusagen ein "How-to Guide to Pretending to Speak German". Großartig!
Dazu fällt mir nur noch eins ein:
Danke-shayn, bitta-shayn
Veee-dar-sayn
Nock ein beer, kommen zee here.
Ein grosse, ein kleine,
I nix farshtayn
I wish I could shprekken zee doitch.