Jo, wir haben grad zu dritt gespielt. Ich, der schon drei oder vier Fiascos erlebt hat (unter anderem auch das von Harry geschilderte Rockband on Tour) und neben DSA spielen und leiten sehr gern Indies ausprobiert, meine Frau, die zwar Rollenspiele, aber bisher keine Story-Telling-Games oder Indies allgemein gespielt hat und meine über siebzigjährige Schwiegermutter, die außer Canasta und anderen Kartenspielen nicht so gerne spielt und für die das alles neu war. Coen-Filme kennen und mögen wir alle. Wir haben Boomtown gespielt und es lief … naja … auf ein Fiasko hinaus:
Die Beziehungen
Frau und Schwiegermutter: Arbeit (Pastor und Gemeindemitglied)
Frau und ich: Romantisch (wir waren mal verheiratet)
Schwiegermutter und ich: Gewählte Ämter
Bedürfnis, Ort und Objekt
Raus aus der Stadt — bevor es alle herausfinden,
Bradford Hotel — Postlager mit Bett und Save (clerk's room, safe, freight office),
vierspännige Postkutsche
Das führte dazu, dass meine Schwiegermutter Richter Peter, meine Frau den Pastor Jeremias Silver und ich seine Ex-Frau Bonnie Silver, die Erzprüferin und Postangestellte spielten.
Erster Akt
Grob ging es darum, dass Bonnie ihren Jeremias zurück wollte, dieser aber aus der Stadt wollte — zusammen mit der Kirchenkasse und dem Zahngold der Verstorbenen. Dazu nutzte er den Richter aus, welcher aber seine eigenen Pläne hatte. Wichtigstes Requisit in Akt 1 war ein sterbender Großgrund-, Vieh und Minenbesitzer namens "Colonel", der sein Testament von "an meine Kinder in Boston" auf "an Pastor Silver und die Kirche" änderte. Bonnie erfuhr davon und brachte die Besitzurkunden zum Richter, um sie auf "Bonnie Silver" umschreiben zu lassen. Dieser wollte aber als Gegenleistung von ihr geheiratet werden, worin sie einwilligte. Dann sollte nach Wunsch des Richters der Pastor den Colonel töten, "damit dieser sein Testament nicht noch einmal änderte". Der Pastor beauftragte eine Prostituierte für eine "sexy Sterbehilfe/Giftmord".
Tilt
Versagen — etwas Wertvolles brennt (klassisch) und
Tragödie — Schmerz, gefolgt von Verwirrung.
Zweiter Akt
Bonnie sollte ihrem Ehemann zustimmen, den Pastor zu beseitigen, was sie ablehnte — wahre Liebe usw. — weshalb der Richter ihr ihren Platz in der Gesellschaft erklärte: Putze, Köchin, Betthäschen … und bettelarm. Der Richter hatte die Urkunden nur auf seinen Namen geändert. "Und den Pastor töte ich auch, wenn ich das will." Dem Richter gelang es dann auch noch den Pastor in der Scheune einzusperren, in der der Pastor die Urkunden versteckt wähnte. (Sie waren jedoch vom Richter längst wieder im Frachtbüro verborgen worden.) Dann legte der Richter auch ein Feuer, um den Pastor zu verbrennen. Dieser suchte verzweifelt nach den Urkunden, und verließ die Scheune erst, als er schon lichterloh in Flammen stand. Bonnie schickte die Urkunden aus Versehen an ein Waisenhaus in Dodge City und entschied sich bei dem Konflikt "Postkutsche aufhalten oder Jeremias retten" für die Liebe. Der Richter, rasend vor Eifersucht, durfte sich dann noch anhören, dass er die Unterlagen nie bekommen würde und sie ihn auch verlassen würde. Daraufhin erschoss er sie und sie starb in Jeremias Armen.
Aftermath
Die Folgen habe ich zwar auswürfeln lassen, aber nicht nach der Tabelle ausgelegt. Statt dessen haben wir nur reihum "Das ist …"-Sätze gemacht, welche bei weißem Würfel gut, bei schwarzem Würfel schlecht für den Charakter waren. Das führte z.B. dazu, dass Bonnie (2 weiße, 2 schwarze Würfel = Schwarz-6 gewürfelt) mit dem letzten abgelegten weißen Würfel mit einem Lächeln sterben konnte, weil sie Jeremias' Liebe doch noch zurück bekam und der Richter fast regelgetreu (1 weißer, 3 schwarze Würfel = Schwarz 16) zwar erstmal in einem Scherbenhaufen stand, dann aber die Besitzurkunden einfach neu geschrieben hat und als unbefleckter Sieger aus der Geschichte ging. Der Scheißkerl.
Mein Eindruck
Jede Gruppe spielt anders und wir haben sehr viel kollaboriert und weniger individuell improvisiert. Unsere Szenen kamen dadurch nie sofort zustande, aber nicht, weil keiner am Tische eine Idee hatte, sondern weil jedesmal zwei bis drei Vorschläge kamen (mindestens) und wir dann daraus die Szene gebastelt haben. Einen Konflikt zu gestalten war schwierig, er ergab sich aber spätestens beim Spielen der Szene. Hin und wieder wurde dabei aber doch die ganze Szene neu aufgebaut, weil ein gefundener Konflikt so besser passte. Wir haben teilweise keine klare Trennung von Etablierung und Auflösung der Szenen eingehalten, sondern eher nach Bauchgefühl entschieden und geschaut ob der Spieler im Spotlight beim Brainstorming mehr oder weniger in die Szene eingebracht hat. Ich weiß, dass man Fiasco auch als Improvisationsspiel mit sehr viel mehr IC-Dialog spielen kann, aber das wäre in dieser Rundenzusammensetzung ein Fiasko auf Spielerebene geworden.
Ich denke, dass dieser gelungene Spielvormittag keine Ausnahme war. Fiasco funktioniert immer, solange die Mitspieler ungefähr wissen, was für eine Art Geschichte dabei entsteht. Ob eine Gruppe mehr "Improvisationstheater" oder mehr "Drehbuchkonferenz" macht ist Geschmackssache und eine Frage des eigenen Anspruchs. Ich für mein Teil mag es, wenn alle am Tisch Spaß haben — und den hatten wir.