Wenn man weg geht von den detailliert ausgearbeiteten kanonischen Settings, gibt es eine ganze Reihe von verschiedenen Möglichkeiten, wie man das handhaben kann, die alle ihren Reiz, aber auch ihre Tücken haben. Hier mal ein paar konkrete Beispiele:
The Shadow of Yesterday: Das Setting wird sehr grobkörnig dargestellt, man bekommt zwar wichtige Informationen zu Konflikten, Weltanschauungen, Rassen und Nationen und eine recht gute Vorstellung vom Flair des Settings, aber alle Städte, Orte, Personen werden im Wesentlichen vom SL, bzw. bei der Charaktererschaffung von den Spielern, soweit sie für den Charakter von Bedeutung sind, definiert. Während des Spiels selbst wird aber vergleichsweise wenig an grundlegenden Settingelementen definiert. Gut für Spieler, die sich lieber ihren eigenen Kanon machen, aber trotzdem vom Setting inspiriert werden wollen und ein im Wesentlichen klassisches Spielgefühl mögen.
Primetime Adventures: Zu Spielbeginn gibt es einen Abschnitt, der ausdrücklich der Definition des Settings dient. Die Spieler fangen bei Null an und überlegen gemeinsam, wie ihr Setting aussieht. Auf dieser Grundlage wird dann gespielt. Während des Spiels werden durch „Scene Framing“ durch alle Spieler neue Orte zum Spiel hinzugefügt. Gut für Gruppen, in denen jeder gerne spielleitet und jeder gerne selber Settings erschafft. Was in traditionellen Settings der Autor macht, wird hier selbst Teil des Spiels.
Polaris: Die Grundlagen des Settings sind umrissen, die tragisch-poetische Stimmung und die Motive von Eis, Sternenlicht, Reinheit vs. Dekadenz, Gewalt, Sonne sind sehr prägnant, aber andere sehr wesentliche Einzelheiten fehlen komplett. Vorher wird da nichts groß abgestimmt, alles wird während des Spiels improvisiert, manifestiert sich quasi um den Fluss der Geschichte herum, wobei die wechselnden Rollen der Spieler und die dynamischen Konflikte dafür sorgen, dass ständig jemand anders ein Detail zum Setting hinzu fügt. Gut für Leute, die das kreative Chaos lieben.
Da ich grundsätzlich ein großer Freund von Plausibilität und Konsistenz bin, habe ich mit dem am Tisch improvisierten Setting grundsätzlich so meine Schwierigkeiten, da die wenigsten Spieler sich am Tisch wirklich die Mühe machen, alles ganz genau zu durchdenken, mitzuschreiben, aufeinander abzustimmen etc. Improvisiertes Spiel ist eben etwas anderes, hier werden Dinge erst mal einfach so in den Raum gestellt, vielleicht greift sie später jemand anders auf oder vielleicht verlaufen sie sich auch im Sand. Es ist alles etwas chaotischer, passt nicht 100% zusammen, man muss gedankenschnell und kreativ sein, um etwas Faszinierendes daraus zu spinnen, das ist auch ein Teil der Herausforderung und des Spaßes.
Bei Polaris funktioniert es für mich sehr gut, da das magisch-apokalyptische Setting Inkonsistenzen irgendwie besser verkraftet als, sagen wir mal, ein pseudo-realistisches Near-Future-Setting. Aber jeden Tag muss ich das nicht haben.