Ich habe gerade mal Lust, eine Gegenposition zum OP zu schreiben:
Warum ich etwas mit Spielleiterhilfen / -büchern anfangen kann
Zur Einordnung: Ich sehe mich selbst als durchaus erfahrenen Spielleiter, spiele seit 1985 (und zwar überwiegend als Spielleiter), habe Dutzende Systeme ausprobiert, kenne auch verschiedene Spielstile (Old-School, Railroading, Sandbox, Player Empowerment,...) und ihre Mischformen aus eigener Erfahrung und habe im Laufe der Zeit viel über meine eigenen Präferenzen gelernt. Man sollte also meinen, dass ich so etwas wie Spielleiterbücher nicht mehr nötig hätte.
Und genau genommen ist das auch so: Ich habe sie nicht mehr nötig. Im Sinne von nötig. Was ich definitiv nicht machen würde, ist ein solches Buch aus dem Regal nehmen, es Cover-to-cover durchlesen und es fortan als meine Rollenspielbibel behandeln, deren Theorien ich zum Mantra erhebe und deren Techniken ich 1:1 in mein Spiel umsetze. Aber wenn ich ehrlich bin, mache ich das auch sonst mit Sachbüchern nicht. Schon gar nicht in Bereichen, in denen ich mich schon auskenne.
Stattdessen lese ich solche Bücher auf der Suche nach Inspiration. Viele enthaltenen Konzepte sind mir schon bekannt, ich habe entweder schon davon gehört oder sie sogar selbst ausprobiert. Andere davon fallen bei mir unter implizites Wissen - ich hatte so eine Ahnung oder habe eine vergleichbare Technik sogar schon verwendet, sie mir aber nicht bewusst gemacht. Und wieder andere sind mir völlig neu. Und über die neuen denke ich dann nach. Klingt das für mich, als würde es Sinn machen? Passt das zu meinem Spielstil? Habe ich Lust, das auszuprobieren? Wenn ja, dann gebe ich der Idee (vielleicht) eine Chance. Ich teste sie mal bei passender Gelegenheiten, und wenn sie funktioniert, dann nehme ich sie in mein Portfolio mit auf.
Ein Nebeneffekt, der sich beim Lesen einstellt, ist übrigens der des erweiterten Horizonts. Nicht alle Ideen passen zu meinem eigenen Stil, meinen Überzeugungen oder schlicht zu meiner Gruppe. Aber ich lerne dadurch, welche Vorlieben oder Denkweisen andere Leute haben. Das macht es leichter, mit "Andersdenkenden" über ein Thema zu diskutieren. Sogar wenn ich die vorgestellte Theorie für mich selbst unsinnig finde und keine einzige Technik übernehmen kann, habe ich - wie Wellentänzer oben andeutet - meine implizite Theorie verbessert. Und sei es nur, indem ich sie gegen bestimmte Faktoren abgegrenzt habe, die mich nicht überzeugt haben.
Ach ja, und dann ist es einfach so, dass ich (und das mag meine persönliche Macke sein) ein perverses Vergnügen daran habe, solche Bücher zu lesen. Genauso, wie ich Spaß daran habe, Kaufabenteuer zu lesen, auch wenn ich nicht vorhabe, sie jemals zu spielen. Andere schauen abends eben Champions League. Ich lese Rollenspielkram. Und zwar ohne zu fragen, ob mir das jetzt einen unmittelbaren Nutzen bringt.
Unter all diesen Aspekten habe ich noch keinen Spielleiterleitfaden gefunden, der zum überwiegenden Teil aus Informationen bestanden hätte, die ich unbedingt gebraucht hätte. Aber auch noch keinen, der keine einzige nützliche Idee enthalten hätte. Solange mir das Lesen trotzdem Spaß macht, kann ich damit leben.