Dann gebe ich hier mal die Gegenseite - mir geht es genau umgekehrt wie den meisten Vorpostern.
Erst mal ein Exkurs:
Habitat A liegt _näher_ an der Heimat als Hab B. Auch wenn das eine 90 Lichtjahre und das andere nur 9AU entfernt liegt. Es kommt auf die Reisedauer an. Kurze Reisezeiten deuten darauf hin, dass die Reise selbst relativ trivial ist. Je weiter zwei Orte in punkto Reisezeit voneinander entfernt sind, desto "exotischer" empfindet man sie.
"Nur wo man zu Fuß war, ist man wirklich gewesen".
Was uns der Dichter damit vielleicht gar nicht sagen wollte (gerade angesichts der zu seinen Lebzeiten verfügbaren Transportmittel), aber man ihm wunderbar in den Mund legen kann:
Alles, was wesentlich schneller geht als eine Fußreise, kann der Mensch nicht mehr intuitiv erfassen.
Das fängt bei langen Autofahrten schon an und zeigt sich heutzutage am Extremsten bei Flugreisen.
Wenn ich Richtung und Geschwindigkeit nicht mehr selbst wähle oder nachvollziehen kann, habe ich am Ende der Reise keine intuitive Vorstellung davon, wo ich bin und muss mich erst mal komplett neu orientieren.
Darauf geht der Spruch vom "die Seele nachkommen lassen" zurück
Einer der wenigen Orientierungspunkte, die ich sozusagen halbintuitiv habe, ist das verwendete Transportmittel.
Bei einem Auto, dessen Höchstgeschwindigkeit ich ungefähr abschätzen kann und die Reisedauer sowie den Startpunkt kenne, habe ich wenigstens eine Ahnung, wo ich überall sein könnte bzw. was ich ausschließen kann.
Und ich weiß dann auch trotzdem, dass ich nach 2 Stunden Autofahrt weiter weg von zu Hause bin als nach 6 Stunden Fußmarsch - weil ich mir ungefähr ausrechnen kann, wie lange ich laufen müsste, um
ohne Auto wieder zurück zu kommen...
Die reine Reisedauer ist also nicht der einzige Faktor. Auch auf das verwendete Transportmittel bzw. auf das Wissen darüber kommt es an, sowie auf die Nachvollziehbarkeit der Reise bzw. generell auf die Gesamterfahrung der Reise.
Exkurs Ende.Für mein erstes (und zweites) Bauchgefühl ist Szenario A das deutlich Fremdartigere/Exotischere, aus folgenden Gründen:
- Wie im Exkurs erläutert: Saturn ist trotzdem noch irgendwie
daheim. Ja, Saturn ist richtig weit weg. Aber ich kann mit ein bisschen Geduld auf einer maßstabsgetreuen Darstellung unseres Sonnensystems so weit rauszoomen und rüberscrollen, bis ich ihn finde.
So irgendwie kann mein räumliches Vorstellungsvermögen da noch mithalten.
Ein anderes Sternensystem ist dagegen scheiße weit weg (, Alder
) tm)).
Da kapituliert mein Affenhirn endgültig und das Ganze wird zu einer total abstrakten Information.
Hierher kann mir meine Seele gar nicht mehr nachkommen, deswegen kann ich nur so tun, als wäre ich gar nicht so weit gereist - was es nur noch fremdartiger macht.
- Ich bin nicht der Einzige, der sich da rumtreibt. Die anderen, die da rum rennen, sind ja zumindest zum Teil auch von sehr weit her gekommen -
aus einer anderen Richtung!Wo ich hergekommen bin, erfasse ich schon nicht mehr. Was soll ich mir denn erst bei denen vorstellen? Mal ganz davon abgesehen, dass die in meiner Vorstellung zwingend fremdartiger sind als die Saturnler - ja, inklusive Transhumanismus etc. pp..
"Mal ein Mensch gewesen" ist mir immer noch vertrauter als Ammoniak atmende Tentakelviecher.
Aus dieser Überlegung heraus fühle ich mich in Szenario A viel kleiner, viel verlorener als "daheim" im Sol-System. Da hilft auch der Gedanke nichts, dass die Galaxis dank Hyperraumantrieb mittlerweile ein Dorf ist.
Es ist immer noch ein wie großes Dorf mit wie vielen Einwohnern? Ich habe intuitiv noch nicht einmal eine Vorstellung von der Größenordnung der Einwohnerzahl (ja, ich weiß: "ingame" könnte ich ja im Netz gucken
).
- Mir will auch nicht so recht in den Kopf, dass man mal eben durch die Galaxis eiert.
Ich habe Verwandtschaft und Bekannte, die keine drei Stunden weg wohnen und die ich nur alle paar Jahre sehe - meist noch zufällig.
Wenn ich in ein anderes Sonnensystem (, Alder!
) geschossen werde, dann bin ich entweder selbst wichtig oder
mir ist da was verdammt wichtig.
Der technische Aufwand ist vielleicht
relativ klein, objektiv und im historischen Kontext gesehen kann er aber nie
trivial sein.
Um in diesem Kontext noch mal auf die Reisezeiten zu kommen:
Der technische Aufwand, um mit einem Flugzeug schneller zu reisen als mit einem Auto oder noch besser einem Fahrrad, ist um wie viele Größenordnungen höher?
Ich empfinde das genau umgekehrt wie von Feuersänger angemerkt:
Je schneller das Ding sein soll oder je exotischere Umgebungen es durchqueren (können) soll, um so enormer wird der technische und logistische Aufwand.
Und das greift nicht alles ineinander: Nur weil wir mit entsprechenden Flugzeugen in einigen Stunden jeden beliebigen Punkt der Erde zwar nicht "richtig" erreichen, aber wenigstens überfliegen können, reduzieren sich die Reisezeiten auf kürzeren Distanzen nicht. Natürlich deswegen nicht, weil da andere Reisemittel verwendet werden können oder müssen.
Für 60 km Landstraße brauch ich halt Zeit, weil ich da immer noch das Auto nehmen muss und keinen Sänger II mit Abwurfkapsel jederzeit startklar habe...
Fazit:
Ja, allein die Tatsache, dass ich per FTL in ein anderes Sonnensystem gereist bin, macht Szenario A für mich deutlich fremdartiger, größer, erschreckender - weil da für mich einige "große" Implikationen mehr oder weniger zwingend dran hängen, wenn ich mal nicht völlig ins Exotische/"Technomagische" denken soll.