Autor Thema: Irland 1930 - 1933  (Gelesen 3394 mal)

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Joran

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Irland 1930 - 1933
« am: 28.08.2016 | 17:43 »
Brighton, East Sussex, England
Freitag, 10.01.1930
The King's Head
9 West Street

Clive


Als ich aus einem unruhigen Schlaf hochschrecke, habe ich erst wenige Stunden geschlafen. Über die Stadt breitet sich die Dunkelheit. Die Nachtruhe wird durch das beständige Rauschen des Meeres mehr unterstrichen als gestört. Das Fenster ist noch leicht geöffnet. Eine Brise trägt den Duft des Meeres in mein Zimmer.

Eine Weile liege ich wach im Bett und horche, ob ich ein Geräusch aus Matildes Zimmer vernehmen kann. Aber dort ist alles ruhig. Ich hoffe, dass wenigstens sie schalfen kann. Seit einigen Jahren liege ich oft nachts wach. Vermutlich ist auch das meinem Alter zuzuschreiben. Ich sehne mich zurück nach dem tiefen und langen Schlaf früherer Jahre. Strapazen, wie die der vergangenen Tage, hätte ich früher in ein oder zwei Nächten ausgleichen können. Jetzt braucht es eingige Tage oder gar Wochen.

Nachdem ich überzeugt bin, dass ich nicht wieder einschlafen können werde, entzünde ich die Kerze auf meinem Nachttisch. Die Koffer liegen noch aufgestapelt an der gegenüberliegenden Wand. Als wir in der Nacht das Wirtshaus 'The King's Head' erreichten, war die Müdigkeit zu groß, um noch auszupacken. Um die Zeit totzuschlagen, hole ich mir 'Moby Dick' aus der Tasche mit Cainnechs Sachen und beginne zu lesen...

Als mich Geräusche von der Straße wecken, ist die Kerze vollends niedergebrannt und das Buch liegt auf dem Boden. Meine Hände haben sich in das Laken gegraben. Die Decke liegt zerwühlt zu meinen Füßen. Schweiß steht auf meiner Stirn. Nur noch düster erinnere ich mich an das Ende eines längeren Traumes:

     Flüsternde Stimmen drangen von der Straße durch das halb geöffnete Fenster. Kein höfliches Flüstern, sondern schwere,
     kehlige Stimmen, die sich verschwörerisch auf das Wesentlichste beschränkten, um nicht aufzufallen. Dazwischen merkwürdig
     laute Atemgeräusche ... ein heiseres, glucksendes Lachen.
     Dann war Ove Eklund in mein Zimmer gestürmt und hatte zornig erklärt: "Meine Hand! Sie sollten sie doch vernichten!
     UNWIEDERBRINGLICH ZERSTÖREN! Sie haben es mir VERSPROCHEN! Ich habe Ihnen gesagt, meiner Hand haftet etwas Negatives
     an! Ich habe Sie gewarnt. Und nun sehen Sie sich das an!"
     Ove reckte mir seine eigene Hand entgegen. Die Rötung vom ständigen Reiben war verschwunden. Dafür schien
     die Hand nun von einer durchschimmernden, pergamentenen Haut überzogen und knöchern, wie die ausgedörrte Hand
     einer Mumie.
     "Was wollen Sie dagegen tun, DOKTOR Savage? WAS KÖNNEN SIE DAGEGEN TUN? Ich habe mich auf Sie verlassen! Ich
     habe Ihnen vertraut! ... Und Sie haben mich im Stich gelassen ... wie Kristine ... wie Elisa Marquard ... wie Cainnech ... wie
     Máirín ... wie Paul ... wie Ruairí ... wie SIE ...! Selbst Matilde haben Sie ins Verderben gerissen, als Sie aus Egoismus ihre
     Ehe zerstört haben, Matilde weiß es nur noch nicht! ALLE lassen Sie im Stich! Sie sind ein Verräter ... ein feiger VERRÄTER!
     Ihnen folgt das Verderben auf dem Fuß. Sie sind wie die schwarze Pest ... bringen den Menschen Tod und Verderben! SIE
     tragen das VIRUS1 in sich und infizieren alle Menschen, die in Ihre Nähe kommen! Man hätte Sie nie aus diesem weißen Zimmer1
     heraus lassen dürfen, NIEMALS! Ich verfluche Sie, Clive Savage! Ich verfluche Sie, in meinem Namen und im Namen aller
     anderen! Sie sind tausendmal schlimmer als diese Hand! Das Böse haftete längst an Ihnen, als Sie nach London kamen."
     Ich wollte mich rechtfertigen, erklären, dass ich nicht verantwortlich sei. Aber Ove legte mir seine verdorrte Hand auf den Mund
     und ihre eisige Kälte lähmte alle Muskeln meines Gesichts. Ich versuchte mich aufzubäumen, aber die Hand schien plötzlich Tonnen
     zu wiegen ... unverrückbar ... unzerstörbar ... unbezwingbar ...


Langsam entspannen sich meine Finger, aber die Hände schmerzen noch von der Anspannung. "Ein Traum! Nur ein böser Traum!", beruhige ich mich. Tatsächlich wird mein Herzschlag langsamer. Aber auch wenn es ein Traum war, werde ich nach dem Erwachen mit der Realität konfrontiert ... und die Wahrheit bleibt auch nach dem Erwachen die Wahrheit und hinterlässt einen bitteren Geschmack in meinem Mund.

Zu der Wahrheit gehört auch, dass ich eine Aufgabe zu erledigen habe. Auf keinen Fall will ich diese Hand mit nach Irland nehmen.

....

Als ich eine halbe Stunde später auf die West Street trete, ist das Leben auf der Straße bereits in vollem Gange.

Ich frage Passanten nach einem Apotheker und vielleicht eine weitere halbe Stunde später öffne ich tatsächlich eine Ladentür.

Alte Regale aus Eichenholz reichen rundum vom Boden bis zur Decke. Das altersdunkle Holz scheint das Licht zu verschlingen. Nachdem sich meine Augen an das Halbdunkel des Ladenlokals gewöhnt haben, erblicke ich mehrere Frauen. Eine blickt mich erwartungsvoll an. Seit dem Großen Krieg ist das kein seltenes Bild. Witwen haben notgedrungen die Geschäfte selbst in die Hand genommen.

"Was kann ich für Sie tun, Sir?", fragt eine der Frauen höflich.

Nach ein paar Höflichkeitsfloskeln trage ich die Geschichte vor, die ich mir zurecht gelegt habe. Ich erkläre, dass ich etwa 10 Liter einer starken, Mineralien zersetzenden Säure brauche. Die Frau interessiert sich offensichtlich mehr für die Bezahlung als für meine Begründung. Sie erklärt, sie könne mir das Gewünschte bis morgen beschaffen. Wir werden uns handelseinig und ich zahle die Hälfte des Preises an.

Erleichtert und auch ein wenig hungrig mache ich mich auf den Rückweg zum 'King's Head'.


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« Letzte Änderung: 4.07.2017 | 19:01 von Joran »

Joran

  • Gast
Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #1 am: 29.08.2016 | 20:49 »
Brighton, East Sussex, England
Nacht von Samstag, 11.01.1930 auf Sonntag, 12.01.1930

Clive


Matilde macht mir Sorgen. Wir haben uns in den letzten beiden Tagen kaum gesehen. Ich hätte mich mehr um sie kümmern müssen. Aber ich ... hatte einiges zu erledigen. Ich musste eine möglichst schnelle Passage nach Irland finden ... musste mich vergewissern, dass meine Bestellung rechtzeitig eintrifft und alles organisiert ist, ohne dass jemand Fragen stellt oder später Fragen beantwortet werden ... habe dabei Emma kennengelernt.

Das Bild auf den Straßen beginnt sich bereits zu wandeln, als ich auf die West Street trete. Die Heimkehrer von der Arbeit werden seltener. Die Menschen, die auf der Straße sind, um den Abend mit etwas angenehmen ausklingen zu lassen, werden häufiger. Vor mir unterhält sich ein junges Paar lachend über das Schlittschuhlaufen im Park bei Mondschein. Ich blicke auf und die Nacht ist in der Tat sternenklar ... ideal für meine Zwecke, die nichts mit Romantik zu tun haben. Ich spüre das Gewicht der Tasche, die über meiner Schulter hängt. Sie erscheint mir plötzlich unnatürlich schwer.

Als ich an der Hintertür der Apotheke klopfe, wartet Emma, die Inhaberin der Apotheke, bereits. Sie greift meine Hand und führt mich durch eine finstere Gasse, nicht breit genug, um nebeneinander zu gehen, in einen Hof. Dort steht eine Kutsche im Schatten. Auf dem Kutschbock sitzt ein kräftiger Mann. Als er Emma erkennt, steigt er auf die Ladefläche und hebt eine Plane. Darunter steht das Fass bereit. Alles ist so, wie wir es vereinbart haben. Wie Emma so schnell an die Säure gekommen ist, habe ich nicht gefragt. Ich nicke ihr anerkennend zu. Sie lächelt mich ernst, aber zugleich freundlich an. Ihre Hände streichen über ihr Kleid, als wolle sie ein paar Falten glätten. Einen Moment sind wir beide verlegen.

Emma ist vielleicht zehn Jahre jünger als ich. Aber das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Männern und Frauen in unserem Alter ist seit dem Großen Krieg aus den Fugen geraten. Ein Arzt, der offensichtlich liquide ist, scheint für eine praktisch denkende Apothekerin, die Sicherheit sucht, eine Überlegung wert zu sein. Vielleicht glaubt sie sogar, mich zu mögen. Aber die Vorstellung, praktische Überlegungen stünden im Vorderung, macht es einfacher. Denn ich bin ganz sicher nicht, was sie sucht. Emma wäre ohne Zweifel eine gute Partie. Sie ist klug, fleißig, sanftmütig ... und einsam. Jemanden wie mich hat sie nicht verdient.

Ich greife nach ihrer Hand und lächele sie noch einmal an. Selbst im schwachen Licht des Hinterhofs meine ich die Traurigkeit in ihren Augen zu erkennen. Ich streiche mit einem Finger über ihre Wange und lege entschuldigend den Kopf schief. Sie blickt zu Boden.

Da wende ich mich ab und steige wortlos neben den Kutscher auf den Bock. Der löst die Bremse und schnalzt leise mit der Zunge. Das alte Pferd setzt sich in Bewegung. Als wir die Zufahrt zum Hof erreichen, müssen wir die Köpfe einziehen, um nicht an das obere Stockwerk zu stoßen. Ich widerstehe der Versuchung, noch einmal zurück zu blicken. Das Geräusch der Hufe und der Wagenräder auf dem Pflaster scheint mir erschreckend laut.

Der Kutscher spricht kein Wort. Er fährt mich aus der Stadt heraus in Richtung Osten. Als wir eine menschenleere Stelle an der Küste erreicht haben, lädt er das Fass ab und stellt es für mich bereit. Dann führt er das Pferd am Zügel ein Stück fort. Nun endlich öffne ich die Fototasche im Mondlicht. Ich ziehe das Tuch heraus, so dass es sich abrollt und sein Inhalt in die Tasche fällt. Im bleichen Mondlicht betrachte ich die Hand mit ihren spitzen Krallen, deren Finger lang und knöchern wie Insektenbeine wirken. Fast erwarte ich, dass die Hand mit überraschender Geschwindigkeit zu laufen beginnt, um ihrem Gefängnis zu entrinnen. Dann zweifele ich einen Augenblick, ob es richtig ist, diesen endgültigen Schritt zu tun. Aber ich habe es versprochen. Ich sehe Ove Eklunds rote Hand wieder vor mir und verspüre den Drang, mich der Hand schnell zu entledigen.

Also kippe ich den Inhalt der Tasche vorsichtig in das Fass, um Spritzer zu vermeinden. Als die Hand in die Flüssigkeit fällt, beginnt diese zu zischen und zu brodeln und ein entsetzlicher Gestank verbreitet sich. Nebelhaft bildet sich ein Gas über der Flüssigkeit. Wo er den Rand des Fasses übersteigt, wird er vom Meereswind als eine langezogene gelbliche Fahne fortgetragen. Instinktiv weiche ich zurück und achte darauf, nicht in der Windrichtung zu stehen. Zu sehr erinnert mich der Anblick an Flandern, als würde ich von einem Flugzeug auf die Frontlinie herabblicken. Ich höre das Ross wiehern.

Die Tasche werfe ich mit Schwung über die Klippe ins Meer.

Dann gehe ich zum Kutscher zurück und warte. Eine Stunde, dann eine zweite Stunde. Schließlich raucht das Fass nicht mehr. Ich entzünde die Laterne der Kutsche und gehe zurück zum Fass. Die Flüssigkeit hat eine milchige Farbe angenommen. Ich winke den Kutscher herbei und wir gießen den Inhalt des Fasses vorsichtig über den Rand der Klippe. Unten brandet das Meer wütend gegen den Fels. Kein fester Gegenstand verlässt das Fass. Als es vollständig entleert ist, befindet sich an seinem Boden nur eine dünne Schicht schlammiger Rückstände. Ich stoße das Fass in die Tiefe und nicke dem Kutscher zu.
« Letzte Änderung: 29.08.2016 | 23:22 von Joran »

Joran

  • Gast
Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #2 am: 30.08.2016 | 20:46 »
Brighton, East Sussex, England
Dienstag, 14.01.1930

Clive


Kein moderner Dampfer mit Komfort, wie zuerst geplant. Die früheste und zudem günstige Passage führt mich auf einen Segler ... wieder einmal. Für Matilde hätte ich mir ein bequemeres, luxeriöseres Reisemittel gewünscht. Das Rollen des Schiffes wird ihr möglicherweise zu schaffen machen ... in ihren Umständen. Was mich betrifft, so freue ich mich allerdings.

Ich habe der Versuchung widerstanden, Emma doch noch einen Besuch abzustatten und bin stattdessen zum Shoreham-Harbour gefahren und habe mir das Schiff von Robert Horne Penney & Sons angesehen. Mir ist die Handelsgesellschaft von früheren Reisen bekannt. Robert Horne Penney ist bereits vor Jahrzehnten verstorben. An seiner Stelle führen seine inzwischen ebenfalls betagten Söhne Robert Alfred Penney und Sidney Rickman Penney das Handeslkontor weiter. Die Gesellschaft ist erfolgreich. Die Schiffe sind in gutem Zustand, die Besatzung langgedient und erfahren.

"Es ist ein Glücksgriff, hier noch so kurzfristig eine Reisemöglichkeit erhalten zu haben.

Und es geht 'gen Heimat!"


Ich höre Matrosen sich gälisch unterhalten.

Das ruhige, von den Gezeiten bestimmte Leben im Hafen und die Aussicht auf die Heimat tilgen für eine Weile die Erinnerungen an London aus meinen Gedanken. Der kranke Moloch an der Themse scheint hier plötzlich unendlich weit entfernt.

Joran

  • Gast
Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #3 am: 31.08.2016 | 23:45 »
Ärmelkanal
Donnerstag, 16.01.1930

Clive


Bei Sonnenaufgang sind wir an Bord der schönen Schonerbark 'Inglefield' gegangen. Das Schiff wirkt so schnittig und leicht, als könne es durch die Lüfte segeln.

Ich bin gut gelaunt und stopfe mir meine Pfeife.

Vom ersten Offizier habe ich erfahren, dass dieses Schiff ursprünglich für eine Expedition geplant und erbaut wurde. Was für eine Expedition dies war, konnte er mir jedoch nicht sagen. Diese Information verrät mir allerdings, wie der Dreimaster zu seinem Namen kam, denn der soll dann offensichtlich an Sir Edward Augustus Inglefield, einen britischen Admiral und Polarforscher, erinnern. Spontan kommt mir der Gedanke, dass Inglefield in London starb ... Das Schiff verfügt, seinem ursprünglichen Zweck entsprechend, noch heute über mehr Kabinen als üblich und transportiert daher regelmäßig neben der Ware auch Passagiere.

Matilde ist noch immer sehr in sich gekehrt. Sie hat sich mit Luni fast unverzüglich in ihre Kabine zurückgezogen. Ich hoffe, dass sich dies ändert, wenn wir Englands Küste hinter uns gelassen haben. Aber für Sie bedeutet die Reise vor allem Verlust, ganz im Gegensatz zu mir. Die Trennung von Alexander nimmt sie sehr mit, jetzt wo sie zur Ruhe kommt und erstmals Zeit hat, über die Trennung von Hartmut nachzudenken. Ich hoffe, dass sie diesen Schritt nicht bereits bereut. Ich hoffe, dass ihr in Irland - trotz allem - ein Neubeginn möglich ist.

"Matilde ist stark. Sie wird es schaffen. Schließlich hatte ihre Entscheidung auch den Sinn, Alexander in Sicherheit zu bringen. Und sie ist überzeugt, dass Hartmut dies gelingen wird. Alexander ist nicht tot, er ist irgendwo da draußen ... und vielleicht ... vielleicht wird sie ihn eines Tages wiedersehen."

Tief in mir sitzt wie ein lästiger Dorn ein kleiner Zweifel, ob ich eine Grenze überschritten habe und ob es unrecht ist, mich zu freuen. "Darf ich mich nicht freuen, weil mein Glück aus dem Unglück Matildes entspringt? Aber ich habe nicht eingegriffen, ich habe keinen Einfluss genommen. Es war alleine ihre Entscheidung ... was Hartmut betrifft, die richtige Entscheidung, wie ich meine. Wem hätte es genutzt, wenn ich sie nicht gebeten hätte, mit mir zu kommen? Was hätte sie dann an jenem Morgen nach der Trennung getan? ... Nein, die Alternative wäre schrecklich und undenkbar gewesen! Matilde und das ungeborene Kind! Sie in meine Obhut zu nehmen war richtig."

Und doch weiß ich, dass die Ereignisse meinen ganz persönlichen Wünschen sehr entgegen kamen. "Nein, ich habe keinen Einfluss genommen. Aber ich habe nicht eine Sekunde auch nur erwogen, zu vermitteln oder Matilde von diesem endgültigen Schritt abzuhalten. Ich habe meine Chance gesehen und zugegriffen. Ich habe bereitwillig und ohne zu zögern genommen, was eine glückliche Fügung mir Gutes schenkt. ... Wie bei Emma. Ich habe mich treiben lassen und angenommen, was das Leben mir anbietet, ohne über die Konsequenzen für die anderen Menschen nachzudenken. ... Ich frage mich, was mit mir los ist. Früher hätte ich mich kaum so verhalten. Ist es IHRE Abwesenheit?"

Diese Überlegungen und der Gedanke an Emma drücken meine Stimmung. Ich beschließe, Emma aus Irland zu schreiben ... den Schaden begrenzen, den ich vermutlich angerichtet habe.

Als die 'Inglefield' mit Zielhafen Dublin ablegt und schließlich die ruhigen Gewässer des Shoreham-Harbour verlässt, wechselt die Farbe des Wassers. Während das Wasser im Hafen braun, dunkel und still war, ist das des Kanals milchig, weiß-gelblich und aufgewühlt ... ich muss an den Inhalt des Fasses denken, den ich vor ein paar Nächten von einer Klippe in dieses Meer geschüttet habe. ...

Als der Mittag naht, schlägt das Wetter um. Stetig wird der Wind stärker und die See unruhiger. Am Abend peitscht ein ausgewachsener Sturm das Meer auf.
« Letzte Änderung: 1.09.2016 | 00:02 von Joran »

Joran

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Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #4 am: 1.09.2016 | 10:25 »
Dublin, Republik Irland
Sonntag, 19.01.1930

Clive


Der Start in ein neues Leben schien unter einem schlechten Stern zu stehen. Nie habe ich eine vergleichbare Überfahrt zwischen England und Irland erlebt. Der Sturm hat unsere Fahrt erheblich verzögert. Aber als wir erleichtert am Sonntag im Morgengrauen die Küste von Irland ausmachen, hat sich der Himmel über Nacht aufgeklart und der Wind ist abgeflaut.

Und endlich laufen wir in den vergleichsweise beschaulichen Hafen von Dublin ein. Ich bin überglücklich, als wir irischen Boden unter den Füßen haben. Auch unser Gepäck hat die Überfahrt unversehrt überstanden. Nun fühle ich mich endlich von der Last der letzten zwei Wochen befreit.
« Letzte Änderung: 1.09.2016 | 10:28 von Joran »

Joran

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Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #5 am: 1.09.2016 | 14:25 »
Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Montag, 20.01.1930

Clive


Ich habe uns einen Tag der Ruhe in Dublin gegönnt. Dann sind wir über 'An Muileann gCearr' (Mullingar) und 'An Longfort' (Longford) weiter gereist. Am späten Nachmittag erreichen wir Seillean-Mòr Blàr und schließlich sehe ich durch die Einfahrt mein Zuhause: 'Ceallaigh Manor'.

Ein merkwürdiges Durcheinander von Gefühlen ströhmt auf mich ein. Ich muss daran denken, wie ich mit Cainnech vor zwei Wochen aufgebrochen bin und dass nun ein schwerer Gang vor mir liegt. Die Lücke, die er hinterlässt, wird im Haus noch spürbarer werden. Aber ich bringe Matilde und Luni heim. Und so überwiegt die Freude, als ich Matilde endlich mein Haus führen kann. Ich versuche, meine Euphorie ein wenig zu dämpfen, aber es glingt mir nur zum Teil.

"Ich hoffe, es wird Dir gefallen, Matilde. Das Haus ist alt und mitunter ein wenig kalt, aber die Natur ist hier wunderbar, Du wirst sehen! Hier wird uns niemand stören. Wir werden Dir ein Zimmer nach Deinen Wünschen herrichten. Für die ersten Nächte kannst Du vielleicht in Cainnechs Zimmer ziehen, wenn es Dir keine Umstände macht. Dort ist alles hergerichtet. Wird das gehen?"

"Dann wird sein Zimmer nicht so leer wirken ... wenigstens für ein paar Tage", denke ich.

"Morgen lasse ich dann Caitlin Ó hEidirsceóil, meine Haushälterin, aus dem Dorf kommen. Sie wird sich um alles kümmern, was Du brauchst.

Und vielleicht entdeckst Du auch hier Möbel, die Dir gefallen? Es gibt eine Unmenge davon, die mit Leinentüchern abgedeckt ist. Erkunde einfach das ganze Gemäuer und falls Dir etwas gefällt, nimmst Du es Dir. Wenn Du etwas moderneres wünschst, besorgen wir es."

Nachdem der Fahrer das Gepäck in die Halle gestellt hat, führe ich Matilde durch den aktuell bewohnten Teil des Hauses.
« Letzte Änderung: 1.09.2016 | 14:45 von Joran »

Joran

  • Gast
Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #6 am: 3.09.2016 | 18:46 »
Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Dienstag, 21.01.1930

Clive


Ich bin früh morgens kurz ins Dorf gelaufen und habe das nötigste besorgt. Auch Mrs. Ó hEidirsceóil, meine Haushälterin, habe ich kurz aufgesucht und sie gebeten, im Verlaufe des Tages auf dem Manor vorbeizuschauen.

Dann habe ich das Frühstück vorbereitet. Matilde macht mir Sorgen. Ein Gespräch will nicht recht in Gang kommen.

"Wie hatte ich annehmen können, es würde einfach werden. Vor wenigen Tagen trug sich Matilde noch mit ernsthaften Suizidgedanken. Sie braucht Zeit, ihre Verluste zu verarbeiten. Und Zeit und Ruhe hat dieser Ort im Übermaß zu bieten. Hier scheinen die Uhren stillzustehen. Die Menschen rechnen in Jahreszeiten."

Zum ersten mal kommen mir Zweifel, ob ich alleine in der Lage bin, Matilde zu helfen. "Sie hat ausdrücklich die Hilfe von Psychiatern abgelehnt. Wie kann ich ihr helfen? Vielleicht wird das Kind sie zwingen, ein neues Leben zu beginnen, wenn es erst einmal da ist."

"Matilde, ich weiß, dass diese Zeit für Dich nicht einfach ist. Aber gib mir und diesem Land eine Chance. Mir hat dieser Ort früher sehr geholfen ... nach meinen Expeditionen ... nach Herm ...

Ich muss Dich heute noch einmal alleine lassen. Ich muss Cainnechs Mutter aufsuchen. Das bin ich ihr schuldig. Máirín darf das von Cainnech nicht von Dritter Seite erfahren. Es wird nicht einfach, ihr die Nachricht zu überbringen, dass die Polizei ihn verschleppt hat. Wir kennen hier solches Vorgehen der britischen Polizei nur zu gut. London ist nicht Irland, aber vermutlich wird im Dorf niemand daran glauben, dass Cainnech wieder auftaucht. Ich werde versuchen, Máirín Hoffnung zu machen. Aus leidvoller Erfahrung wissen wir jedoch, dass kaum jemand wieder aufgetaucht ist, der bei der britischen Polizei einmal aus den Büchern 'verschwunden' ist.

Ich werde mich sofort daran begeben, von hier aus Aufklärung zu fordern, einige Briefe schreiben. Aber vermutlich wird das im Ergebnis nutzlos sein.

Und ich werde Máirín von Dir erzählen ... von Dir und Cainnech und von dem Kind ... wie wir es besprochen haben. Mit Cainnech wäre es einfacher ... Es wird ein wenig Wirbel auslösen. Aber schlussendlich werden die Leute es als Tatsache hinnehmen und damit leben ... so ist es immer hier."

"Wenn sie Matilde sehen, werden sie nur zu bereitwillig glauben, dass Cainnech sich in sie verliebt hat. Wer sollte das anzweifeln? Viele Burschen hier werden ihn still beneiden. Sie kannten Cainnech alle und wussten, dass er sich nicht aufhalten ließ, wenn er etwas leidenschaftlich wollte. Er ließ sich von seinem Herzen tragen, nicht von seinem Verstand.

Und vielleicht ist Matilde niedergedrückte Stimmung gerade dazu geeignet, die Menschen von meiner Geschichte zu überzeugen. Sie werden denken, dass Matilde sich um Cainnech sorgt. Und das wird sie für Matilde einnehmen ..."


Ein wenig schäme ich mich für diese berechnenden Überlegungen. Aber ich habe lernen müssen, die Optionen zu nutzen, die man mir lässt. Seit London ist mir das bewusster als jemals zuvor. Und gleichzeitig fühle ich mich seit London stärker. Ich bin es leid, seit Jahren immer wieder zu verlieren. Diesmal will ich gewinnen.

"Wenn ich den Gang zu Máirín hinter mir habe, kann ich mich endlich auch meiner Bibliothek widmen. Ich will einige Bücher und Dokumente studieren ... will mehr über dieses Wesen lernen, dessen Namen sich in meinem Kopf eingenistet hat ... Ich will die Worte verstehen, die sich in meinem Verstand geformt haben und ein wachsendes Verlangen in mir wecken, sie auszusprechen."
« Letzte Änderung: 3.09.2016 | 18:49 von Joran »

Joran

  • Gast
Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #7 am: 4.09.2016 | 18:11 »
Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Dienstag, 21.01.1930

Clive


Ich verspüre einen unangenehmen Druck in der Magengegend, als ich mich Máiríns Cottage nähere. Bláthnaid, eine von Cainnechs Schwestern, trägt gerade zwei schwere Eimer über den Hof. Sie will im nächsten oder übernächsten Jahr heiraten. Ihr Mann wird dann wohl im Cottage einziehen, wenn bis dahin die anderen Mädchen das Haus verlassen haben. Für Máirín wird es eine große Entlastung bedeuten, wenn wieder ein Mann auf dem Cottage lebt. Máirín und ihre Mädchen wussten immer anzupacken, aber die harte Arbeit hinterlässt bei den älteren Mädchen Spuren...

Ich halte kurz inne und versuche erneut erfolglos, mir Worte zurecht zu legen. Aber es gibt wenig, was ich sagen könnte, um die Botschaft abzumildern, die ich überbringen muss. Dann entdeckt mich Bláthnaid und winkt mir freudig zu. So bleibt mir nichts, als meinen Weg fortzusetzen.

Als ich durch die niedrige Tür in die Wohnkammer des Cottage trete, nehme ich meinen Hut ab und muss unter dem Türsturz mit dem Kruzifix darüber dennoch mein Haupt beugen. Máirín begrüßt mich herzlich, aber an meiner Reaktion merkt sie, dass etwas nicht stimmt. Ihre Mine nimmt schlagartig einen besorgten Ausdruck an.

Eine halbe Stunde später beende ich meinen Bericht über die Festnahme Cainnechs. Ich bin dabei so weit es möglich war bei der Wahrheit geblieben, habe aber manche Dinge weggelassen und das Verhältnis zwischen Cainnech und Matilde bereits behutsam einfließen lassen:

Ich habe zunächst von dem Polizisten Roy Dalgliesh berichtet, wie er uns mit der Nachricht von dem Überfall auf Kristine Grenn ins Krankenhaus gelockt hat, sein merkwürdiges Verhalten im Automobil, seinen zunehmenden Kontrollverlust, den Angriff auf Matilde und Luni im Bad. Dalgliesh habe ich als Wahnsinnigen mit abartigen Neigungen, Frauen und Tiere zu quälen und zu misshandeln, dargestellt. Ich erzähle von den Tieren in den Käfigen und dem menschlichen Arm im Auto. Dann berichte ich, wie ich die Polizei gerufen haben und erfolglos versuchte, das Konsulat um Hilfe zu bitten.

Schließlich berichte ich von dem Eintreffen der Polizisten und deren Verhalten in der Eingangshalle des Krankenhauses.

Ich erkläre, dass Cainnech offensichtlich Matilde habe schützen wollen ... in die er sich verliebt habe. Er habe verhindern wollen, dass die Polizisten ihrem Hund wegen des wölfischen Aussehens etwas antuen und vor allem habe er verhindern wollen, dass diese miesen Kerle mit ihren anzüglichen Bemerkungen und Blicken Matilde in ein separates Zimmer bringen. Ich berichte von dem Wortwechsel zwischen Cainnech und den Polizisten, wie Matilde Cainnech zurückhalten wollte und von den Schlägen der Polizisten. Dass Cainnech seine Besinnungslosigkeit zunächst nur vorgespielt hatte, verschweige ich. Ich beschreibe die Übermacht der Polizisten, die ein Eingreifen unmöglich gemacht habe.

Ich mutmaße, dass die Polizisten die Taten ihres Kollegen Dalgliesh vertuschen wollten.

Dann erzähle ich, wie wir versucht haben, Cainnech im Polizeirevier zu besuchen und dass man uns dort erklärt habe, Cainnech habe das Revier nicht erreicht. Man habe ihn nach Aussage der Polizisten vorher aus der Obhut der Polizei entlassen.

Lord Penhew und Edward Gavigan erwähne ich nicht.

Meinen Bericht beende ich mit der Feststellung, dass Cainnech verschwunden blieb und nicht in die Pension zurückkehrte.

Ich versichere Máirín, Bláthnaid und Máire, dass ich weiterhin alles mir mögliche unternehmen werde, um Cainnechs verbleib aufzuklären. Ich versuche hoffnungsvoll zu klingen, dass sich alles noch zum Guten wenden kann. Aber alle, die hier in der Kammer beisammensitzen, wissen, dass die Hoffnung verschwindend gering ist. Ich glaube nicht daran, weil Cainnech in die Gewalt einer Gruppe geraten ist, für die ein Menschleben keinen Wert besitzt. Und die Frauen glauben nicht daran, weil sie sich nicht vorstellen können, dass Cainnech sich seine Freiheit durch Verrat an den Kämpfern der Óglaigh na hÉireann bei den britischen Behörden erkauft.

Nachdem wir eine Weile über Cainnech geredet haben und viele Tränen geflossen sind, lenke ich das Thema auf Matilde. Ich betone, wie tapfer Cainnech versucht hat, Matilde zu schützen. Ich versuche zu erklären, in welch verzweifelten Situation sich Matilde befand. In meiner Version hat ihr Ehemann sie verlassen und den gemeinsamen Sohn mit sich genommen. Und in meiner Version sind Matilde und Cainnech sich näher gekommen, als es der Wahrheit entspricht. So erfährt die Familie, dass Matilde mit mir gekommen ist und sich - wie ich - um Cainnech sorgt.

Das Kind erwähne ich nicht, denn die Schwangerschaft kann nicht so schnell bemerkt worden sein. Ich erkläre, dass Matilde nach den schrecklichen Vorfällen Ruhe braucht und bereite so vor, dass Matilde sich in den nächsten Monaten gegenüber der Dorfbevölkerung nicht zeigen wird ... jedenfalls sobald man ihr die Schwangerschaft ansieht ...

Ich spüre, dass die Frauen ein wenig verunsichert sind, als ich ihnen die Geschichte von Matilde und Cainnech erzähle. Aber schließlich siegt das Vertrauen, dass ich in langen Jahren bei ihnen gewonnen habe. Erneut wünschte ich mir, Cainnech wäre hier und würde die Geschichte stützen und meinen Verrat an diesen Menschen läutern. Dann wäre mir sicher nicht so unwohl in meiner Haut.

Als ich nach einem langen Nachmittag gedankenversunken und mit schlechtem Gewissen den Rückweg antrete, weiß ich, dass ich dieses Gefühl nicht ablegen können werde, solange ich nicht durch Cainnech 'freigesprochen' werde. Ich hoffe, dass mir diese Chance irgendwann einmal gegeben wird. Meine Gedanken führen mich zurück zu dem Traum, in dem ich Ruairí begegnet bin. "Ich hoffe, dass Cainnech noch lebt, aber wenn nicht, werde ich vielleicht auch mit ihm noch einmal in Verbindung treten können." Erneut grüble ich darüber nach, ob dieser einzigartige Moment nur auf Herm geschehen konnte oder was sonst ihn ermöglicht haben mag.
« Letzte Änderung: 4.09.2016 | 18:20 von Joran »

Joran

  • Gast
Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #8 am: 4.09.2016 | 22:19 »
Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Dienstag, 21.01.1930

Clive


Matt sitze ich mit Matilde in der Küche. Beide blicken wir lustlos auf unser karges Essen, ohne es anzurühren.

"Ich war bei Máirín", setzte ich tonlos an. "Sie ist natürlich verzweifelt ... auch ihre Schwestern. Irgendetwas muss ich tun, damit wir Klarheit bekommen, was aus Cainnech geworden ist. Das bin ich ihnen schuldig. Wenn die britische Polizei einen Iren verschleppt, ist es ziemlich aussichtslos. Menschen verschwinden leicht. Aber was Gavigan und Lord Penhew betrifft, gibt es vielleicht eine Chance. Was können sie schon mit Cainnech anfangen? Was würde ihnen sein Tod nutzen?" Eine kurzen Augenblick muss ich an Paul denken, bei dem alle Bemühungen, etwas über seinen Verbleib herauszufinden, bislang erfolglos waren.

"Aber wie fange ich es am besten an? Selbst wenn Gavigan eigenmächtig gehandelt hat und Lord Penhew nichts mit Cainnechs Verschwinden zu tun haben sollte ... wie soll ich Lord Penhew anschreiben, ohne dass Gavigan den Brief zunächst in die Hände bekommt? Ich müsste jemanden beauftragen, Lord Penhew den Brief höchstpersönlich zu übergeben. Aber wen? Ove Eklund scheidet wohl aus ... Und Kilmister ... hat schon jetzt viel mit der Regelung Deiner Angelegenheiten zu tun. Ich weiß nicht, ob wir ihn da auch noch mit hereinziehen sollten?" "Zumal er vermutlich Hartmut regelmäßig Bericht erstattet."

"Wir haben hier im Dorf kein Telefon. Iefan Brothaigh, der Inhaber des 'Camán Inn', redet zwar immer davon, sich eines anzuschaffen, er hat wohl einen Antrag gestellt. Aber ich glaube kaum, dass die Telefongesellschaft ihm ein Kabel hierher legt. Wenn wir in London anrufen wollen, müssten wir vermutlich nach Longford oder Roscommon fahren. Und selbst dann ist die Frage, ob man uns zu Lord Penhew durchstellen würde."

Ich denke eine Weile nach und stochere mit der Gabel in dem Essen.

"Ich habe Máirín, Bláthnaid und Máire auch das von Dir und Cainnech erzählt", sage ich vorsichtig, fast kleinlaut und doch so, als sei tatsächlich etwas zwischen Matilde und Cainnech vorgefallen. Ein wenig rechne ich damit, dass Matilde mir ihren Teller entgegenschleudert ... ein wenig hoffe ich es sogar, weil ich es verdient habe und weil es mir zeigen würde, dass Matilde aus ihrer Lethargie erwacht. "Ich denke, sie haben es mir letztendlich abgenommen", setzte ich vorsichtig nach. "Denkbar, dass sie Dich kennenlernen wollen. Das sollte passieren, bevor ... man etwas von der Schwangerschaft sieht." Mein Mund fühlt sich trocken an.

Offline Nyre

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Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #9 am: 4.09.2016 | 23:01 »
Ich nicke stumm, ohne Clive anzuschauen.
"Ich weiss, dass es das beste ist. Aber es tut mir sehr weh, die Frauen so anlügen zu müssen"
Ich seufze.
"Irgendwie schaffen wir nichts gutes zu tun. Ob mein Kind etwas gutes sein wird?"
Jetzt bicke ich ihn in die Augen.
"Vielleicht sollte ich diese Schwangerschaft gar nicht zum Ende bringen"
Ich bin eine Nervensäge.

Joran

  • Gast
Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #10 am: 4.09.2016 | 23:33 »
"Aber Matilde ... das denkst Du doch nicht wirklich! Natürlich ist das Kind ein großes Glück! Jedes Kind ist das!

Im Moment ist alles völlig verdreht und verquer, aber vertrau mir: Dein Kind wird es hier gut haben. Für ein Kind ist es hier wundervoll! WIR können dafür sorgen dass es hier glücklich ist! Ich freue mich auf das Kind.

Hast Du schon vergessen, wie Du mir von Deiner Schwangerschaft erzählt hast? Du hast es Dir doch gewünscht! Bevor Alexander kam, hattest Du Angst, kein Kind bekommen zu können. Und jetzt hast Du sogar nochmal diesen Segen. Sicher, Du hattest Dir das anders vorgestellt ... eine Familie, ein Geschwisterchen für Alexander. Ohne Hartmut ist es schwerer geworden, aber das Kind trägt doch keine Verantwortung dafür.

Denk bitte nicht so etwas! Wenn wir die Hoffnung auf eine Zukunft aufgeben, was bliebe uns denn dann noch? ... Bitte, gib mir eine Chance, die Dinge zu ordnen ... so gut ich es vermag."

Nach einem Augenblick setze ich hinzu: "Ich glaube wirklich, Cainnech hätte uns geholfen. ... Vielleicht finden wir ihn noch ... vielleicht."

Joran

  • Gast
Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #11 am: 5.09.2016 | 11:57 »
Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Mittwoch, 22.01.1930


Clive ist im Dorf, um ein paar Dinge mit seinen Pächtern zu regeln. Mrs. Ó hEidirsceóil ist in der Küche bei den Vorbereitungen für das Mittagessen.

Zaghaft klopft es an der großen Eingangstür. Dann noch einmal.

Du zögerst eine Weile. Du empfindest es als indiskret, Dich aus Deinen Gedanken zu reißen. Ruhe ist alles, was Du willst.

Dann gehst Du aber doch zur Tür und öffnest. Vor der Tür steht mit respektvollem Abstand ein junger Mann, der nervös seine Mütze in den Händen dreht. Er mustert Dich im ersten Moment erschrocken, dann aber neugierig und überrascht. Vermutlich hatte er Clive oder die Haushälterin erwartet.

"Miss ... Mrs. ... Ma'am", stammelt der Mann unsicher. "Sie müssen Matilde sein ... Entschuldigen Sie, ich kenne Ihren Nachnamen nicht."

Da wird Dir klar, dass es Deine Erscheinung ist, die den jungen Mann verunsichert. Offensichtlich hatte er ein schlichteres Mädchen hinter dieser 'Matilde', der unbekannten Freundin von Cainnech, vermutet. Man merkt der Sprache des Mannes an, dass er selten Englisch spricht. Die Menschen sprechen hier unverändert Gälisch, wenn sie unter sich sind. Und das scheint praktisch immer der Fall zu sein.

Du bist nicht in der Stimmung, dem unbeholfenen Kerl zu helfen, sondern guckst ihn nur finster mit einem ungeduldig fragenden Blick an. Nach einer kurzen peinlichen Stille, setzt der Mann wieder an:

"Ich bin Lonán ... Lonán Cavanaugh, Ma'am. ... Ich habe das von Cainnech gehört. Und natürlich auch von Ihnen. Und da dachte ich, ich muss einmal kurz vorbeischauen.

Sie können es nicht wissen, aber Cainnech und ich sind die besten Freunde ... schon immer. Wir teilen immer alles."

Noch bist zu nicht gewillt, es diesem Kerl so einfach zu machen. Als Du als Reaktion auf seinen letzten Satz eine Augenbraue hochziehst, fällt Lonán die Kinnlade herunter und sein Gesicht verfärbt sich dunkelrot.

"Ich meine die Schuldbank, die Arbeit, traurige Dinge ... und auch die Musik, die Stunden im Pub, die Streifzüge durch die Nachbardörfer, dergleichen! Wir haben uns immer geholfen.

Nur zum Fliegen konnte ich nicht mit ... wegen meiner Brille und weil ich große Höhen nicht vertrage ..."

Der Mann wirkt verloren, wie er da linkisch vor Dir steht.

"Ich wollte Ihnen nur sagen: Wenn Sie irgendetwas brauchen, Ma'am, sagen Sie es mir nur. Ich werde es gerne erledigen! Cainnech würde für mich das gleiche tun. ... Sie sind immer willkommen. ..."

Der junge Mann will sich schon wieder seine Mütze aufsetzen. Dann hält er aber doch noch einmal inne und es bricht fast verzweifelt aus ihm heraus:

"Er taucht sicher bald wieder auf! ... Ich bin mir sicher, dass er noch lebt! Cainnech lässt sich nicht so leicht unterkriegen. ... Ich meine, es fühlt sich nicht an, als hätten die ihn umgebracht, wenn Sie verstehen, was ich meine, Ma'am!"
« Letzte Änderung: 6.09.2016 | 01:28 von Joran »

Offline Nyre

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Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #12 am: 15.09.2016 | 22:34 »
Ich nicke, und lächele ihn schwach an.
"Nett von Ihnen, wirklich.." sage leise.
"Heute geht es mir nicht besonders gut, aber..aber vielleicht können Sie an einem anderen Tag kommen. und mir ein wenig mehr von..Cainnech erzählen"
Wieder lächele ich ihn an.
"Das könnte uns beide gut tun"
Ich bin eine Nervensäge.

Joran

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Re: Irland 1930 - 1933
« Antwort #13 am: 19.09.2016 | 08:35 »
Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Mittwoch, 22.01.1930

Lonán Cavanaugh


"Natürlich, Ma'am, gerne! Sehr freundlich von Ihnen ... wenn Dr. Savage einverstanden ist, besuche ich Sie gerne."

Nochmals hält Lonán inne, als er sich schon zum gehen wenden will.

"Ach ja ... wir treffen uns jeden Samstag abends im 'Dúlamán', unserem Pub hier im Dorf. Cainnech und ich und die anderen. Diesmal wird es natürlich anders sein ... Aber ich glaube, Cainnech wird sich auch vorstellen, wie es wäre, bei uns zu sitzen. Darum haben wir beschlossen, nichts zu ändern, bis er wieder in der Tür steht. Wenn Sie mögen und sich wieder wohl führen, schauen Sie doch vorbei. Ich würde mich freuen. ... Man wird sicher von Ihnen wissen wollen, was in London passiert ist, aber bevor Sie es jedem im Dorf einzeln erzählen müssen ... Wenn Sie es hinter sich bringen wollen, dann ist das 'Dúlamán' der richtige Ort, so merkwürdig das jetzt klingen mag. Wenn Sie wollen, dass hier etwas schnell die Runde macht, haben Sie zwei Möglichkeiten: Das 'Dúlamán' oder die Kirche."

Dann verabschiedet er sich und geht zurück in Richtung Dorf.