Autor Thema: Gender Trouble at Ultima Ratio  (Gelesen 1202 mal)

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Achamanian

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Gender Trouble at Ultima Ratio
« am: 3.04.2019 | 14:44 »
Hier mal ein kleiner Würdigungs-Thread:

Ich habe mich ja schon an anderer Stelle darüber ausgelassen, wie positiv überrascht ich von "Ultima Ratio - Im Schatten von Mutter" bin. Das Grundregelwerk holpert zwar ziemlich daher (was teilweise anscheinend auch daran liegt, dass für die zweite Auflage Texte aus anderen Supplements aufgenommen, aber gekürzt wurden), aber schon das "Erweiterungsbuch Protagonisten" liest sich flüssig und glänzt mit tollen Ideen, die für meine Bedürfnisse in genau dem richtigen Maße ausgearbeitet sind.

Das betrifft insbesondere die spielbaren Spezies, und bei denen hat es mir der Umgang mit dem Thema Geschlecht besonders angetan. Da gibt es alles von egalitär über verschiedene Patriarchats- und Matriarchatsmodelle bis zu Wechsel der Individuen zwischen drei Geschlechtern; und bei JEDER Spezies wird mindestens kurz auf die Geschlechterverhältnisse eingegangen. Mal sind die jeweiligen Rollenverteilungen an die Biologie der Spezies zurückgebunden, mal auch nicht, und gerade in den ersteren Fällen gibt es auch mal Überraschungen (die echsenartigen Lainaeren leben in einem Matriarchat, obwohl die Männchen größer, stärker und flugfähig sind). Oder einfach coole, aus der irdischen Biologie inspirierte Arrangements: Die "Beuteltier"-Raloosa, bei denen die Männer die meiste Zeit über die Jungen in ihrem Beutel austragen - erinnert mich ein bisschen an Emus, bei denen Männchen für Nestbau und Brutpflege zuständig sind. Und dann die Yrla, die vielleicht von LeGuins "Linker Hand der Dunkelheit" inspiriert sind und zwischen drei Geschlechtern wechseln, wobei im dritten Geschlecht nur ausgetragen wird.

Schön auch, dass die erst mal ätherisch anmutenden, zweigeschlechtlich geborenen Alrhoone so gar keine idealisierten androgyn-egalitären Elfenwesen sind; stattdessen müssen sie sich in der Pubertät für ein Geschlecht entscheiden und sich dann in ein ziemlich patriarchales System einordnen. Und haben nebenbei auch noch eine Gesellschaft auf dreckigstem Industrialisierungs-Niveau mit üblem Klassengefälle ...

Und wer ist in Sachen Geschlecht und Sexualität im liberalsten? Die ultrakapitalistische repressive Überwachungsgesellschaft der Lukeaner.

Kurz: Ich sehe da nicht eine idealisierte Spezies, bei denen alle Freiheiten miteinander Hand in Hand gehen und nicht eine, bei der alles in jeder Beziehung übel unterdrückerisch zugeht. Alle vielschichtig und interessant. Dadurch wird es auch glaubwürdig, dass es für Angehörige aller Völker gute Gründe gibt, ihr Glück in der Fremde zu suchen, weil sie bei sich Zuhause zu den Gearschten gehören ...

Genau so was wünsche ich mir als "Gender Trouble" im Rollenspiel: Nicht krampfhaft sozialkonstruktivistisch, aber auch nicht platt biologistisch, verspielt, mit Spaß an skurrilen Einfällen und dem Mut, auch Sachen anzubieten, bei denen manche vielleicht verständnislos den Kopf schütteln.

Ich bin langsam ernsthaft gespannt auf den Fantasy-Spin-Off Mythaloria, der ja die gleichen Spezies verwenden soll ...
« Letzte Änderung: 3.04.2019 | 15:04 von Rumpel »

Offline Fillus

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Re: Gender Trouble at Ultimate Ratio
« Antwort #1 am: 3.04.2019 | 15:00 »
Ist auch einer der Punkte die mir an UR gut gefällt. Ich leite auch immer wieder gerne Raumhafen Adamant, was sicherlich mehr in die lustige Richtung geht, aber auch interessante Spezies bereit hält. Charakterspiel vorprogrammiert, alleine schon durch seltsame Hobbys.

Mythaloria schaue ich mir auf jedenfall auch an. Ob ich es jemals leiten oder spielen werde, steht auf einem ganz anderen Blatt.  W4 sind (in meinem Umfeld) nicht beliebt.

Achamanian

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Re: Gender Trouble at Ultimate Ratio
« Antwort #2 am: 3.04.2019 | 15:03 »

Mythaloria schaue ich mir auf jedenfall auch an. Ob ich es jemals leiten oder spielen werde, steht auf einem ganz anderen Blatt.  W4 sind (in meinem Umfeld) nicht beliebt.

Bei den W4 bin ich auch noch etwas zurückhaltend, verstehe aber inzwischen zumindest, warum sie für das eigentlich ganz elegante Steigerungssystem elementar sind.

Tatsächlich ist mein größter Vorbehalt gegen W4, dass sie sich so schlecht ablesen lassen ...

Offline Coltrane

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Re: Gender Trouble at Ultima Ratio
« Antwort #3 am: 3.04.2019 | 15:09 »
Zitat von: Rumpel
Tatsächlich ist mein größter Vorbehalt gegen W4, dass sie sich so schlecht ablesen lassen ...
Mal die W4 aus dem DCC Würfelset getestet. Die sind imo viel besser abzulesen.

Offline Fillus

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Re: Gender Trouble at Ultima Ratio
« Antwort #4 am: 3.04.2019 | 15:10 »
Ja, und wenn ich mir die Würfelbeutel der meisten anschaue, wird das ablesen noch zusätzlich erschwert. Einige werden oben und andere unten abgelesen.
Ich habe mir für UR beim Sphärenmeister 12seiter geholt, die einen W4 simulieren.
https://www.sphaerenmeisters-spiele.de/epages/15455106.sf/secae8eadc431/?ObjectPath=/Shops/15455106/Products/D6D341
https://www.sphaerenmeisters-spiele.de/epages/15455106.sf/secae8eadc431/?ObjectPath=/Shops/15455106/Products/D6D342
Damit komme ich super klar. Die Spieler haben sich diese aber nicht gekauft und klagen über ihre W4.

Die W4 aus dem DCC Würfelset hätten zur Folge das man davon 10 Sets bäuchte. Ganz schön teuer!

Offline D. M_Athair

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Re: Gender Trouble at Ultima Ratio
« Antwort #5 am: 7.04.2019 | 11:11 »
Kurz: Ich sehe da nicht eine idealisierte Spezies, bei denen alle Freiheiten miteinander Hand in Hand gehen und nicht eine, bei der alles in jeder Beziehung übel unterdrückerisch zugeht. Alle vielschichtig und interessant. Dadurch wird es auch glaubwürdig, dass es für Angehörige aller Völker gute Gründe gibt, ihr Glück in der Fremde zu suchen, weil sie bei sich Zuhause zu den Gearschten gehören ...

Genau so was wünsche ich mir als "Gender Trouble" im Rollenspiel: Nicht krampfhaft sozialkonstruktivistisch, aber auch nicht platt biologistisch, verspielt, mit Spaß an skurrilen Einfällen und dem Mut, auch Sachen anzubieten, bei denen manche vielleicht verständnislos den Kopf schütteln.

Das klingt richtig gut. (Kurzes OT: Gehen sie im GRW auch drauf ein, dass letztlich neuronale Verschaltung - also die individuelle Mischung aus Biologie, physio-psychischen Erfahrungen und Sozialem - die eigene Geschlechtlichkeit zum Großteil festlegt? Wenn ein Rollenspielbuch über die grob fehlerhafte Dichotomie von Biologie und sozialer Konstruktion aufklären würde, wäre das toll. Die Glorantha-Spiele schaffen das ja - in Bezug auf Weltbilder - relativ gut, indem sie zeigen, dass und warum es nicht eine Sicht auf die Wirklichkeit geben kann. Wobei da der Realweltbezug eher schwach bleibt.) 

W4 finde ich super! Davon habe ich genug, weil ich dafür mal 3 oder 4 Sätze zu je 10 Würfeln für das Prince Valiant Storytelling Game gekauft habe (um die Münzen durch Würfel zu ersetzen).

... wovor ich noch zurückschrecke: Die Covertitel und die -Bilder sprechen für mich eine ungelenke "deutsche" Sprache. Erinnert mich irgendwie an DSA und die Sachen von Andre Wiesler. Nicht, dass das an sich was Schlechtes wäre. Deutsche Eindeutigkeit, vordergründiger Humor usw. sprechen mich halt nicht genug an. Auch US-Megalomanie und Pseudo-Objektivität (Monte Cook, Green Ronin) kann ich wenig abgewinnen.
Wie viel hintergründiger Humor, wie viel Mut zum Paradox (wie er oft in britischen Sachen auftaucht) ist denn da drin?

Oder: In welchem Ton, in welcher "Sprache", in welchem Mind-Set wird Gender Trouble in Ultima Ratio präsentiert?

"Man kann Taten verurteilen, aber KEINE Menschen." - Vegard "Ihsahn" Sverre Tveitan

Achamanian

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Re: Gender Trouble at Ultima Ratio
« Antwort #6 am: 7.04.2019 | 16:43 »
Das klingt richtig gut. (Kurzes OT: Gehen sie im GRW auch drauf ein, dass letztlich neuronale Verschaltung - also die individuelle Mischung aus Biologie, physio-psychischen Erfahrungen und Sozialem - die eigene Geschlechtlichkeit zum Großteil festlegt? Wenn ein Rollenspielbuch über die grob fehlerhafte Dichotomie von Biologie und sozialer Konstruktion aufklären würde, wäre das toll. Die Glorantha-Spiele schaffen das ja - in Bezug auf Weltbilder - relativ gut, indem sie zeigen, dass und warum es nicht eine Sicht auf die Wirklichkeit geben kann. Wobei da der Realweltbezug eher schwach bleibt.) 

Explizit wird so was natürlich nicht erörtert ... ich finde aber die oft indirekten, uneindeutigen und manchmal sogar scheinbar widersprüchlichen Beziehungen zwischen dem jeweiligen biologischen Fortpflanzungssystem und der sozialen Geschlechterordnung der jeweiligen Spezies deutet zumindest in die Richtung, ebenso wie die immer wieder auftauchenden Hinweise darauf, welche Individuen unter den jeweiligen Bedingungen diskriminiert oder ausgeschlossen sind und deshalb vielleicht ihr Heil auf Abenteuern suchen ...
Insgesamt ist das alles natürlich viel holzschnittartiger und trashiger als so was wie Glorantha, und bei näherem Hinsehen sicher auch inkonsistenter. Was in Glorantha so ganz nebenbei zum Thema Geschlecht läuft, finde ich ja auch ziemlich brillant.

... wovor ich noch zurückschrecke: Die Covertitel und die -Bilder sprechen für mich eine ungelenke "deutsche" Sprache. Erinnert mich irgendwie an DSA und die Sachen von Andre Wiesler. Nicht, dass das an sich was Schlechtes wäre. Deutsche Eindeutigkeit, vordergründiger Humor usw. sprechen mich halt nicht genug an. Auch US-Megalomanie und Pseudo-Objektivität (Monte Cook, Green Ronin) kann ich wenig abgewinnen.
Wie viel hintergründiger Humor, wie viel Mut zum Paradox (wie er oft in britischen Sachen auftaucht) ist denn da drin?

Oder: In welchem Ton, in welcher "Sprache", in welchem Mind-Set wird Gender Trouble in Ultima Ratio präsentiert?

In der Beziehung kommt mir UR schon relativ "deutsch" vor, wenn ich dich richtig verstehe. Humor beschränkt sich für mein Gefühl hier und da auf deutlich erkennbare ironische Elemente und kommt wenn dann schon ziemlich direkt und eindeutig daher. Und gerade die regelsprache ist einfach sehr amtsmäßig - was übrigens leider trotzdem nicht der Verständlichkeit zugute kommt, weil dafür der Aufbau zu verzettelt ist. "Mut zum Paradox" kann ich jetzt auch nicht direkt erkennen, es geht schon drum, ein zwar nicht ungeheuer tief ausgearbeitetes Setting zu liefern, aber eines, das innerhalb seiner Prämissen und seiner Ästhetik konsistent ist (was ja durchaus eine Qualität ist, aber eben auch einen Haufen schräger und unerwarteter Kombinationen von Elementen ausschließt).
Insgesamt muss ich bei der Lektüre ein bisschen an Midgard denken - wobei Midgard für mein Gefühl sprachlich etwas sauberer ist. Bei UR gibt es interessanterweise (und obwohl alles aus einer Feder stammt) einen deutlichen Unterschied zwischen den sehr unbeholfenen Regeltexten und den recht flüssigen Settingtexten.