Autor Thema: [Szenario]Ein Mittsommernachts-Stagediving  (Gelesen 2057 mal)

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wjassula

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[Szenario]Ein Mittsommernachts-Stagediving
« am: 23.02.2005 | 11:42 »
Hey, hier mal ein ganz langes Posting. Ein Szenario, das ich angefangen, aber nicht zuende gebracht hab. Ist aber zu schade zum Wegschmeissen, könnt ihr vielleicht für euch recyclen.
Liest sich vielleicht auch einfach ganz unterhaltsam.

Ganz im Geiste des Punk-Spirit, der dieses Szenario durchweht, habe ich den Plot von Martin Millar geklaut, aus dem Buch "Dreams of Sex and Stagediving". Wenn er ihn wiederhaben will, soll er bloss kommen und ihn sich holen.

Ein Mittsommernachts- Stagediving


Wash your Pailes, clense your Dairies;
Sluts are loathsome to the fairies:
Sweep you house: Who doth not so,
Mab will pinch her by the toe.

- Herrick, elisabthanischer Dichter

Wäsche waschen, Abwasch machen
Elfen mögen keine halben Sachen.
Krieg den Arsch hoch, nicht nur heulen
Sonst kommt Mab dich zu verbeulen!

- Diva, Punksängerin


Der Kern von Unknown Armies sei die Frage nach Macht und Konsequenzen, heißt es. Jedesmal, wenn die Charaktere Magie einsetzen, sich mit einer der großen Verschwörungen einlassen oder ihre Neugier mit Abhärtung oder Traumata bezahlen müssen, werden sie daran erinnert.

Folglich drehen sich auch viele Szenarien für Unknown Armies letztendlich um Gewissensentscheidungen der Charaktere, vorzugsweise solche, bei denen keine der möglichen Optionen eindeutig richtig oder falsch ist. Am Ende heißt es unweigerlich: „Du bist schuld!“. Auf Dauer kann genau das frustrierend für die Spielenden werden, nämlich dann, wenn sie nach einiger Zeit die Entscheidungen, die ihnen abverlangt werden, nur noch als Belastung empfinden, und nicht als Chance.

Dabei bedeutet Entscheidungsfreiheit ja auch, dass es in der Welt von UA tatsächlich möglich ist, etwas zu verändern: Nicht nur die Möglichkeit des Scheiterns ist gegeben, sondern auch die echte Möglichkeit, die eigenen Vorstellungen von richtig und falsch triumphieren zu sehen. Das gerät leicht in Vergessenheit, wenn im Spiel von Macht und Konsequenzen die Konsequenzen immer nur als negative erscheinen. Deshalb geht es hier und heute um eine Geschichte, bei der die Charaktere einmal die Möglichkeit haben, etwas grade zu biegen, sich selbst und anderen zu helfen und am Ende mit dem Gefühl nach Hause zu gehen, etwas richtig gemacht zu haben.

„Ein Mittsommernachts-Stagediving“ eignet sich deshalb auch besonders gut als Abenteuer nach einer großen Niederlage der Charaktere, wenn sich unter den Spielenden ein Gefühl von Machtlosigkeit und Frustration breit macht. Außerdem treten in diesem Szenario keine der großen Zirkel auf, keine mächtigen NSC, genau genommen gar keine Adepten oder Avatare.

Magie wird hier nur unwissentlich ausgeübt werden, und zwar als Ergebnis eines starken Willens, die Welt zum besseren zu verändern. Das Szenario bietet sich also auch an, wenn die Spielenden lange Zeit in die ganz großen Intrigen verwickelt wurden, und das Gefühl haben, nur noch Figuren in einem Spiel zu sein, das sie nicht überschauen können. Hier sind ihre Kräfte gefragt, und zwar erst in zweiter Linie ihre magischen, sondern vielmehr die Kräfte ihrer Persönlichkeit – ihre Fähigkeiten und ihr Wille, auf andere einzugehen. Magie kann dabei helfen, reicht aber allein nicht aus. Schlußendlich ist dies auch ein Szenario für Charaktere, die bereits am Rande des Wahnsinns oder der völligen Abstumpfung balancieren. Statt der üblichen Erfahrungspunkte schlage ich vor, daß du den Spielenden am Ende anbietest, eine Trauma- oder Härtekerbe aus den Bereichen Übernatürliches, Hilflosigkeit, Isolation oder Identität wieder loszuwerden, solange sie sich damit nicht von einer bereits erworbenen Störung befreien würden. Aus eigner Kraft etwas zum Besseren zu wenden und mitzuerleben, wie Freundschaft, Zusammenhalt und der Glaube an die eignen Träume etwas bewegen, kann heilsamer sein als jede Therapie.

Die dunkle Seite des Mondes

Some thought it mounted to the Lunar Sphere/ Since all things lost on Earth are treasur’d there/There Hero’s Wits are kept in pond’rous Vases/And Beaus in Snuff-boxes and Tweezer-cases/There broken vows and death-bed alms are found/And lover’s hearts with ends of riband bound/The courtier’s promises and sick man’s prayers/ The smiles of harlots and the tears of heirs/cages of gnats and chains to yoak a flea/dry’s butterflies and tomes of casuistry
- Pope, The Rape of the Lock

Schauplatz der Handlung ist ein Viertel in der Heimatstadt der Charaktere, das sich auf dem absteigenden Ast befindet. Einst ein schmuddeliges, aber lebendiges Arbeiterviertel mit regem nachbarschaftlichem Leben und einer Vielzahl lokaler Kultur- und Freizeitangebote, ist es durch zunehmende Arbeitslosigkeit, harsche Sozialreformen, leere öffentliche Kassen und Immobilienspekulation zunehmend trostlos geworden. Obdachlose streifen durch die Straßen, beäugt von denen, die vor dem Sozialamt Schlange stehen. Kleine Geschäfte schließen der Reihe nach, Vereine und selbst organisierte Projekte geben auf, weil die öffentlichen Zuschüsse wegfallen. Hausbesitzer lassen ganze Häuser leer stehen, obwohl wegen der steigenden Mieten Wohnraum zunehmend rar wird.

Hier leben auch Diva und Gob, ein Punkerpärchen – oder besser Ex-Pärchen, denn Diva hat vor kurzem herausgefunden, dass Gob hinter ihrem Rücken mit ihrer Freundin Amnesia geschlafen hat. Die beiden haben sich daraufhin nach einem denkwürdigen Streit getrennt, so dass ihre gemeinsame Band noch vor dem ersten Auftritt wieder auseinandergebrochen ist. Dabei hatten die beiden grade erst nach langem Überlegen den passenden Namen gefunden: „Queen Mab“. Auf die Idee hatte sie eine alternative Theatertruppe gebracht, die für Kost und Logis in dem besetzten Haus aufgetreten ist, in dem die beiden wohnen. Die Truppe gab ein rasantes Medley aus Versatzstücken elisabethanischer Theaterdichter zum besten, die allesamt von Queen Mab handelten, einer Elfe, die u.A. in den Werken Shakespeares als Herrin der Träume auftaucht. Sie sammelt die verlorenen Träume, und aufgegebenen Ambitionen der Menschen auf der dunklen Seite des Mondes, besucht aber auch die Menschen auf der Erde, und überbringt ihnen neue Träume.

Mit dem Ende der Band erheben nun beide, Gob und Diva,  Anspruch auf den Namen. Allerdings hat Gob bereits eine neue Band formiert, und auch schon ein Konzert unter dem Namen „Queen Mab“ anberaumt. Diva hat ihm nun zu einem Kampf um den Namen herausgefordert: Wenn es ihr gelingt, vor dem Konzert in einer Woche am Abend des 30. April auf die Bühne zu klettern und vor versammeltem Publikum alle 43 Zeilen von Shakespeares Monolog aus Romeo & Julia über Queen Mab vorzutragen, und darüber hinaus noch eine eigene Band zusammenzustellen, wird Gob mit seiner Band abziehen, und ihr für diesen Abend die Bühne und für alle Zeiten den Namen überlassen.

Frau Mab, wer ist sie?

Sie ist der Feenwelt Entbinderin.
Sie kommt, nicht größer als der Edelstein
Am Zeigefinger eines Aldermanns,
Und fährt mit 'nem Gespann von Sonnenstäubchen
Den Schlafenden quer auf der Nase hin.
Die Speichen sind gemacht aus Spinnenbeinen,
Des Wagens Deck aus eines Heupferds Flügeln,
Aus feinem Spinngewebe das Geschirr,
Die Zügel aus des Mondes feuchtem Strahl;
Aus Heimchenknochen ist der Peitsche Griff,
Die Schnur aus Fasern; eine kleine Mücke
Im grauen Mantel sitzt als Fuhrmann vorn,
Nicht halb so groß als wie ein kleines Würmchen,
Das in des Mädchens müßgem Finger nistet.
Die Kutsch ist eine hohle Haselnuß,
Vom Tischler Eichhorn oder Meister Wurm
Zurechtgemacht, die seit uralten Zeiten
Der Feen Wagner sind. In diesem Staat
Trabt sie dann Nacht für Nacht; befährt das Hirn
Verliebter, und sie träumen dann von Liebe,
Des Schranzen Knie, der schnell von Reverenzen,
Des Anwalts Finger, der von Sporteln gleich,
Der Schönen Lippen, die von Küssen träumen;
Oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese,
Weil ihren Odem Näscherei verdarb.
Bald trabt sie über eines Hofmanns Nase,
Dann wittert er im Traum sich Ämter aus,
Bald kitzelt sie mit eines Zinshahns Federn
Des Pfarrers Nase, wenn er schlafend liegt,
Von einer bessern Pfründe träumt ihm dann;
Bald fährt sie über des Soldaten Nacken,
Der träumt sofort von Niedersäbeln, träumt
Von Breschen, Hinterhalten, Damaszenern,
Von manchem klaftertiefen Ehrentrunk;
Nun trommelts ihm ins Ohr: da fährt er auf
Und flucht in seinem Schreck ein paar Gebete
Und schläft von neuem. Eben diese Mab
Verwirrt der Pferde Mähnen in der Nacht
Und flicht in struppges Haar die Weichselzöpfe,
Die, wiederum entwirrt, auf Unglück deuten.
Dies ist die Hexe, welche Mädchen drückt,
Die auf dem Rücken ruhn, und die sie lehrt,
Als Weiber einst die Männer zu ertragen.
Dies ist sie



Diva muß nun also ihre Freunde und Freundinnen abklappern, und sie dafür begeistern, in der Band mitzumachen, Equipment rauszurücken oder einen Proberaum bereitzustellen. Leider durchleben aber alle, die sie kennt, irgend eine Art von Krise, die sie haben resignieren lassen: Magersucht, Drogenproleme, Schulden, Liebeskummer usw.

 Diva wird sie irgendwie davon überzeugen müssen, daß diese Probleme sich lösen lassen, um sie dazu zu bringen, ihre Depression zu überwinden und sich für die Band zu engagieren. Dazu kommt noch, daß sie selbst Hilfe brauchen wird, denn für jemanden, der die Schule vorzeitig abgebrochen hat und auch nur bruchstückhaft Englisch spricht, ist das Auswendiglernen des Gedichts kein Pappenstiel. Und Gob lässt derweil nichts unversucht, ihre Bemühungen zu hintertreiben und ihr möglichst viele Steine in den Weg zu legen.

Hat sie aber am Ende Erfolg, wird das Konzert zu einem magischen Ereignis. Divas obsessive Beschäftigung mit den Problemen anderer im Mikrokosmos des Viertels lässt sie  magische Ladung ansammeln, die sich in dem Moment entlädt, in dem sie sich von der Bühne auf die Hände der Zuschauer wirft, und mit ihrem Stagediving symbolisch die Kluft zwischen Zuschauen und Handeln überbrückt. Für die Dauer eines Songs wird sie tatsächlich zu Queen Mab, der Überbringerin der Träume, und die unkontrollierte magische Energie entlädt sich in ein spontanes übernatürliches Phänomen – alle, die sie auf ihren Händen durch den Saal tragen, werden später bemerken, dass sich in ihrem Leben etwas kleines, aber entscheidendes verändert hat, und daß ein Wunsch in Erfüllung gegangen ist, von dem sie vielleicht gar nicht wußten, daß sie ihn hatten.

Die Charaktere können entweder die Rolle von Diva und ihren Freunden übernehmen, oder als Außenstehende in die Ereignisse verwickelt werden. Denkbar wäre auch eine Kopplung mit "Euer Name sei Legion" (Idee hier schon mal irgendwo gepostet): Die Charaktere sind Dämonen, die gemeinsam Divas Körper besetzen. Sie alle wurden im Leben von ihren Liebsten betrogen, und wollen sich nun an Gob rächen, indem sie Diva über ihn triumphieren lassen. Da sie Dämonen sind, meinen sie es natürlich böse, der Effekt des Zusammenhaltes unter Divas Freunden ergibt sich quasi als unerwünschter Nebeneffekt...

O.k., vielleicht nützt es ja jemandem was. Viel Spass! Oder lest sonst einfach das Buch, ist sehr unterhaltsam und hat auch ein paar punkige Sexszenen...aber nicht gleich zu den spannenden Stellen vorblättern...


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Re: [Szenario]Ein Mittsommernachts-Stagediving
« Antwort #1 am: 23.02.2005 | 13:47 »
Klingt witzig. Das kann man ja auch recht beliebig einbauen... hmm, wie setz ich das auf eine Square-Dance-Gruppe um? Oder vielleicht besser auf eine Gruft-Punk-Band? *grübel*  :)
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Korrekter Imperativ bei starken Verben: Lies! Nimm! Gib! Tritt! Stirb!

Ein Pao ist eine nachbarschaftsgroße Arztdose, die explodiert, wenn man darauf tanzt. Und: Hast du einen Kraftsnack rückwärts geraucht?