Es ist ziemlich viel über das Verhalten von Spielern geschrieben und gesagt worden, und fast genauso viel über das Verhalten von Spielrunden allgemein. Auch über die Art und Weise, wie ein Spielleiter vorgeht (oder vorgehen sollte), gibt es unendlich viele Ideen und Tips.
Bisher fehlt mir allerdings eine genauere Diskussion/Theorie/was-auch-immer über das Verhältnis zwischen Spielleiter und Spielern (falls es sowas auf der Forge schon gibt, würde mich das natürlich interessieren...
). Schließlich ist der Spielleiter eben nicht nur einer der Spieler in einer Gruppe, sondern hat eine Sonderstellung inne.
In dem Thread „Warum gibt es eigentlich einen Spielleiter?“ (
http://tanelorn.net/index.php?topic=22255.new#new) habe ich mich zunächst an einer Definition des Spielleiters versucht:
Ein Spielleiter ist eine Person in einer Gruppe von Rollenspielern, die mit besonderen Erzählrechten und Verantwortungsbereichen ausgestattet ist. Meistens bedeutet das, daß der Spielleiter für die Darstellung und Präsentation der Spielwelt verantwortlich ist, den Plot (den roten Faden der von der Gruppe gespielten Erzählung) reguliert. Er ist für das Auftauchen und die Definition der Motivationen des Großteils der NSCs verantwortlich und führt selbst meistens keinen eigenen SC. Wenn es um Regelfragen oder Streitigkeiten innerhalb der Gruppe geht, hat der Spielleiter meistens das letzte Wort oder nimmt zumindestens eine Schiedsrichterposition ein.
Das ist natürlich sehr grob gefasst und trifft (bis auf den ersten, fettgedruckten Satz) nicht immer und notwendigerweise zu. Aber für die folgende Diskussion sollte es ausreichend sein (ich glaube nicht wirklich, daß wir uns über die Definition des SL uneinig sind). Wenn ich hier von Spielern rede, schließe den Spielleiter ausdrücklich nicht mit ein.
Schwierigkeiten innerhalb einer Gruppe sind häufig Schwierigkeiten zwischen Spieler(n) und Spielleiter. Es gibt im Grofafo deutlich weniger Threads, die Schwierigkeiten unter Spielern behandeln, als Threads, in denen es um Probleme zwischen dem Spielleiter und seinen Spielern (oder einem ‘Problemspieler’) geht.
Wie schon gesagt, wird der Spielleiter von der Gruppe mit besonderen Erzählrechten und Verantwortungsbereichen ausgestattet. Jede Gruppe von Spielern hat nun bestimmte Erwartungen daran, was der Spielleiter mit diesen Rechten veranstaltet und wie er mit diesen Bereichen umgeht. Wenn der Spielleiter diese Erwartungen erfüllt, sind die Spieler in dieser Hinsicht zufrieden - wenn nicht, stimmt etwas nicht (die Gruppe funktioniert irgendwo nicht so richtig).
Ich werde versuchen, verschiedene Bereiche, die der Spielleiter kontrollieren kann, voneinander abzugrenzen. Jedem dieser Bereiche wird eine Skala zugewiesen, die von 0% (der SL kontrolliert diesen Bereich überhaupt nicht) bis hin zu 100% (der SL kontrolliert diesen Bereich völlig) reicht. (Die Zahlen sind völlig aus der Luft gegriffen - ich habe sie nur gewählt, weil man sich das gut vorstellen kann. Niemand wird auf so einer Skala einen Wert von 56% festlegen können - man könnte die Endpunkte genausogut mit ‘gar nicht’ und ‘absolut’ bezeichnen). Beide Endpunkte sind die absoluten Extreme, die man in der Realität kaum finden wird - der 0%-SL könnte genausogut nicht da sein, weil er gar nichts macht, und der 100%-SL läßt keine eigenständige Aktion der Charaktere zu.
Anmerkung: Ich habe einfach mal dazu geschrieben, was ich von meinem Traum-SL erwarten würde. Nur, um mal ein bißchen konkret zu werden.Plotgestaltung:
Wie stark der SL den Plot in seinem Sinne beeinflußt. Ein 0%-SL bringt gar keine eigenen Elemente in den Plot ein, er läßt alles die Spieler machen und entscheidet nur, wenn sich die Spieler wirklich uneinig sind. Ein 100%-SL hat jedes kleinste Detail im Voraus geplant und duldet keine Abweichungen vom Fahrplan.
Ich mag den Mittelwert - in diesem Fall ist mir sogar ein niedriger Wert lieber als ein zu hoher. (20-60%)Gewicht der Charaktere in der Welt:
Wie wichtig und einflußreich die Charaktere für den Plot sind. Bei einem 0%-SL dreht sich der Plot um etwas oder jemanden, der mit den Chars nichts zu tun hat und für sie eigentlich unwichtig ist. Bei einem 100%-SL dreht sich alles um die Chars, jeder Plot bezieht sich direkt auf sie, ihre Wünsche, ihren Hintergrund und ihre Beziehungen.
Hier würde ich gern einen möglichst hohen Wert sehen. Hin und wieder ein unabhängiges Abenteuer kann Spaß machen, aber alles in allem sollte sich die Welt doch um die Chars drehen. (60-90%)Einfluß auf die Charaktere:
Wie stark der SL versucht, die Charaktere zu beeinflußen. Ein 0%-SL versucht das gar nicht, auch dann nicht, wenn der Spieler wegen privatem Stress aus der Rolle fällt. Ein 100%-SL schreibt den Spieler ständig vor, was ihre Chars zu denken haben oder wie sie reagieren sollen.
Möglichst niedrig, klarer Fall. Der SL kann natürlich einen Vorschlag machen, wenn er das Gefühl hat, daß ein Char gerade seine Nachteile ignoriert, oder ihn an etwas bestimmtes erinnern, aber generell sollte er den SC machen lassen, wozu der Spieler gerade Lust hat. (0-5%)Weltgestaltung (eigene Welt):
Wie sehr der SL die Welt kontrolliert und selbst gestaltet. Ein 0%-SL hat keine eigene Welt gestaltet und läßt das alles die Spieler machen. Ein 100%-SL hat jedes Fitzelchen selbst entworfen und duldet keine Eingabe von den Spielern - auch dann nicht, wenn es unwichtig wäre.
Der Wert kann ruhig hoch sein, muß aber nicht. Ich designe gerne Welten... mein eigener Wert als SL ist in dieser Richtung ziemlich hoch. (20-80%)Weltgestaltung (vorgefertigte Welt):
Wie sehr der SL sich an den Hintergrund der vorgefertigten Welt hält. Ein 0%-SL hat mal den Namen gehört und ist einverstanden, auf dieser Welt zu leiten, aber eigentlich hat er keine Ahnung davon. Die Infos über die Welt holt er sich von den Spielern. Der 100%-SL ist ein Settingsklave, der jedes Detail der Spielwelt kennt und nie vom offiziellen Kanon abweichen würde.
Settingssklaven kann ich nicht leiden... (10-50%)Entwicklung und Darstellung von NSCs:
Wie sehr der SL seine NSCs entwickelt. Ein 0%-SL entwickelt gar keine NSCs, das läßt er die Spieler machen. Er spielt sie auch nicht selber. Ein 100%-SL entwirft ausnahmslos alle NSCs, auch die Eltern, Freunde und Verwandten der Charaktere. Niemand außer ihm darf je einen NSC spielen, auch nicht die jubelnde Menge bei einer Hinrichtung.
Mittel. Ich entwerfe sehr gerne NSCs (also auch die wichtigen NSCs für meine Chars) und übernehme auch gerne mal kleinere Nebenrollen, wenn mein Char nicht da ist. Aber generell spiele ich lieber meinen Char als einen NSC. (40-60%)Charakterisierung von NSCs:
Wie plastisch und ausgefeilt der SL die NSCs darstellt. Ein 0%-SL stellt eigentlich jeden NSC gleich dar, und sie sind alle uninteressante Nullnummern, die absolut nicht im Gedächtnis bleiben. Ein 100%-SL feilt jeden seiner NSCs liebevoll aus, auch die ganz unwichtigen, und stellt sie oskarreif dar, mit verschiedenen Stimmen, Bildern und Props.
Hoch, möglichst hoch... ich mag plastische NSCs. (70-95%)Regelkenntnis und -auslegung:
Wie sehr der SL die Regelauslegung beeinflußt. Ein 0%-SL kennt die Regeln wahrscheinlich nicht einmal, er überläßt es den Spielern, sich zu einigen, oder einem bestimmten Spieler, der sich damit besser auskennt. Ein 100%-SL kennt die Regeln in- und auswendig, und was er sagt, gilt.
Ist mir eigentlich egal, aber ein bißchen Ahnung von den Regeln sollte der SL schon haben (er sollte zumindest wissen, was man würfeln muß). (15-80%)Herausforderungen:
Wie heftig die Herausforderungen sind, die der SL stellt. Ein 0%-SL stellt eigentlich fast keine Herausforderungen, die Charaktere schaffen immer alles. Ein 100%-SL stellt immer unbesiegbare Herausforderungen, die die Charaktere auch mit dem größten Würfelglück nicht überwinden können.
Ich schaffe gern Herausforderungen, aber es müssen auch welche sein. Hier hätte ich gerne einen gesunden Mittelwert. (40-60%)Risiko:
Wie hoch das Risiko ist, wenn die Charaktere versagen: Ein 0%-SL läßt selbst die bescheuertsten Ideen ungestraft. Die Charaktere überleben immer alles und verlieren nur äußerst selten überhaupt irgend etwas. Ein 100%-SL läßt die Charaktere schon beim kleinsten Fehler sterben, verkrüppeln oder ihre Gegenstände verlieren.
Eher ein bißchen niedriger als zu hoch. Ich mag es nicht, wenn meine Chars sterben... Andererseits sollte man auch nicht das Gefühl haben, daß einem gar nichts passieren kann. (30-50%)Belohnung:
Wie hoch die Belohnungen sind, wenn die Charaktere triumphieren: Ein 0%-SL verteilt keine Belohnungen, egal, was die Charaktere leisten. Ein 100%-SL verteilt ohne Anlaß massenweise Erfahrungspunkte, Geld oder Ausrüstung.
Darf ruhig relativ niedrig sein. Ich werde nicht gerne mit Belohnungen zugekleistert. (30-50%)Reaktionen der Spielwelt:
Wie antagonistisch der SL die Spielwelt darstellt. Beim 0%-SL mögen NSCs die Chars grundsätzlich, und sie werden ständig bejubelt und von willigen Gefährten/-innen umgeben. Beim 100%-SL können die Chars NSCs einfach nicht beeindrucken - egal, was sie erreichen, immer werden nur ihre Fehler bemängelt.
Ein etwas niedrigerer Mittelwert - ein bißchen Anerkennung darf schon sein. Ständig von den NSCs angeblödelt zu werden ist nervig. (30-50%)Autorität innerhalb des Spiels:
Wie autoritär sich der SL beim Spielen gebärdet. Der 0%-SL ist kein bißchen autoritär, er kommt häufig nicht zu Wort, und er richtet keinerlei Aufforderungen an die Spieler. Der 100%-SL hat die Zügel innerhalb des Spiels immer in der Hand - er bestimmt, wann was gewürfelt wird, wer an der Reihe ist, und wer jetzt reden darf.
Ich finde, der SL sollte die Zügel schon in der Hand haben: Also ein etwas höherer Wert. Aber nicht zu hoch, das kann auch sehr schnell sehr nervig werden. (50-70%)Autorität außerhalb des Spiels:
Wie autoritär sich der SL außerhalb des Geschehens im Spiel gebärdet. Der 0%-SL ist außerhalb des Spiels kein bißchen autoritär - er läßt die Spieler machen, was sie wollen. Der 100%-SL hat auch außerhalb des direkten Geschehens die Zügel in der Hand: Er ermahnt Spieler, die sich off-topic unterhalten, mault Leute an, die zu spät kommen, untersagt heftiges Kiffen (oder gemäßigtes Trinken).
Nicht gar so niedrig - es ist sehr nervig, wenn der SL die Spieler dauernd blubbern läßt, statt sein Abenteuer zu leiten. Andererseits will ich natürlich keinen Drillsergeant als SL. (30-50%)Jeder Spieler hat bei diesen Skalen seine eigene Gewichtung. Manche mögen einen autoritären, regelfesten SL, der seine Welt und die NSCs im Griff hat, andere ziehen einen lockeren SL vor, der die Spieler auch mal machen läßt. Je homogener die Skalenverteilung innerhalb einer Gruppe ist, desto einiger sind sich die Spieler, was sie von ihrem SL erwarten.
Es kann übrigens durchaus sein, daß sich alle über die Skalenverteilung einig sind und es trotzdem nicht klappt, weil Spieler und Spielleiter verschiedene Spielstile verwirklicht sehen wollen. Das fällt dann wieder in den Bereich der Creative Agenda, über die schon genug gesagt worden ist, und die ich deswegen hier nicht noch einmal aufwärmen möchte.
Aber auch mit einer einheitlichen CA oder einem einheitlichen Spielstil kann es dennoch zu Unstimmigkeiten kommen, wenn die Spieler in einigen Punkten völlig andere Erwartungen haben, als der SL sie verwirklicht. Eine Gruppe Simulanten mit einem simulierten SL kann trotzdem die Belohnungen knauserig und die Reaktionen der Spielwelt hohl finden, und die rigide Plotgestaltung sowieso. Dann ist die Gruppe nicht gar so funktional, wie man das vielleicht erwarten würde...