Autor Thema: [Ehemalige Schreibübung] Wie könnte es weiter gehen?  (Gelesen 907 mal)

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Offline Dirk

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Um meine Lese-und Schreibschwäche zu bekämpfen habe ich früher viel Zeugs geschrieben. Diese Geschichte rettete ich vor dem Tod, indem ich sie, neben einigen anderen, vor einiger Zeit digitalisierte.

Ich poste die hier um natürlich Kritik und Anregungen zu bekommen. Keine Angst, ich will gar nicht Schreiben. Das ist mir zu anstrengend und mein Talent reicht für meine Ansprüche nicht.

Ich poste das, weil ich selber nie eine Idee hatte wie die Geschichte weitergehen könnte. Da versteckt sich eine Geschichte, ich bin mir sicher. Nur wie und wohin?

Wenn man durch den Pathos und durch ein paar Surrealitäten durch ist, gibt es ein paar nette Stellen und Ideen. Nur: helft mir wie es weiter geht! Das Ding ist nicht fertig! Noch nicht einmal ansatzweise! Also ein bisschen durchkämpfen... !

MfG
Dirk


Hier ist die Geschichte.

Die Melodie des Bösen




Am Abend schaute er aus dem Fenster und betrachtete den Horizont. Der Himmel war von dunklen Wolken überflutet. Der Wind trieb das Meer, die Sommerhitze war verschwunden und nur noch am süßen Geruch der Haut zu erahnen.
Der Tag war an der Stille des Morgens fast erstickt. Die erwachende Wärme verbrannte Lunge und Herz gleichermaßen und ließ das Blut kochen. Die Hügel zum Strand schwammen in einem schwühlen Flimmer, der, hervorgequetscht durch eisernes Pressen der Luft, an den Wegen und Wiesen kein Versickern einsah und nur an ihren Kämmen scheiterte. Noch war diese flirrende Schönheit ein träges, tödliches Tuch. Wer keine Verschleierung akzeptierte war damit beschäftigt ihr zum umgehen und damit bedeckter als die Vermummten. Der Wende genügen konnte hier nur ein grausam laues Lüftchen.
Er sah die Wellen  am Ufer fressen; die Flut machte sie hungrig. Die verwelkte Erinnerung an die Symphonie des Meeres wurde durch das Branden der See erneuert.
Er stand, seitdem er versuchte sich zu erinnern.
Als der ignorante Morgen, bockig in seinem ruhigen Gebaren, den eigentlichen Tag, mit jener schönen Starre, zu verhindern suchte, wurde Herr X klar, dass für sein Leben das vollendete Gute die eigentliche Gefahr darstellt. Es würde Zeit, so Herr X, nach dem zu suchen was kein Ziel beinhalte, denn hätte es ein Ziel wäre das Erreichen eben jene Vollendung die er jetzt verschmähte. Auch dürfte der Weg nicht mit den unsicheren Schritten des Guten begangen werden.
„Zeit“, so sprach er laut, „ein anderes Lied zu singen.“ Da kam ihm der rauschende Rhythmus des Meeres nur recht und fortan summte er im Takt der Wellen, mit den tiefen Tönen der nassen Dunkelheit, die Melodie des Bösen.
Die flirrenden Luftmassen des Tages hatten die Lähmung des Morgens triumphal beiseite geschoben, bereit den Kampf mit dem Abend zu beginnen. Die Siegesfeier sollte üppig ausfallen: Hitze, Gewitter, Sturm und Ruhe wurden geplant, vielleicht auch drückende Schwüle. Der Morgen hatte sich beschämt zurückgezogen, bereit das nächste Mal nicht mit dichtem Nebel zu sparen, an dem sich der Tag versuchen sollte. Mit grimmigen Lachen, das eine frische Brise über das Meer sandte und das Bollwerk der Hitze nur kurz durchwirbelte, verschwand der Morgen, das goldene Tuch für viele Stunden entfernt.
Nun gehört es nicht zu den Stärken des Morgens sich zu erinnern. Was würde es ihm nützen? Dem Morgen wird eine andere, unheimlichere Stärke nachgesagt. Den Keim des Zweifels zu einer ausgereiften Pflanze der Hoffnung wachsen lassen, gekrönt mit den zarten Blüten des Neubeginns. Dies lässt auch verstehen warum er sich nicht erinnern kann. Er würde über die Verwaltung der Veränderungen die er inniziierte seine eigentliche Aufgabe vergessen – den geschlagenen Tag zu rächen, wie ein güldener Engel den Abend zu vertreiben um den Weg zu bereiten für den Tag, den kommenden Verlierer. Tatsächlich hält der Morgen viel von Jugendlichkeit, ja er identifiziert sich sogar mit ihr. Doch seine Vorstellung von Jugend lässt ihn zwar stark und kühn erscheinen, jedoch auch unsicher. Die Unsicherheit überspielt er und so ist es nicht verwunderlich, dass er keinen Sinn für die kleinen und leisen Dinge hat. Paaren sich Vergesslichkeit und jugendlicher Tatendrang auf solch entzückende Weise entstehen oft genug große Dinge, die den kleineren Platz und Ruhm nehmen.
Vor vielen Jahren hätte der Morgen seine Rachegedanken besser zähmen und den – ach so unwichtigen – Schmerzen einer Frau Obacht schenken sollen. Dann hätte er wohl damals auf den Nebel verzichtet.
„Nebel!“, entfuhr es nachdenklich Herr X.
Er überlegte und setzte sich auf den verwitterten Stuhl am Fenster. Dann versuchte er sich zu erinnern.

Sie lag in den Wehen; im Bewusstsein dass diese Schmerzen nicht nur Vorboten der Geburt waren. Ihr Körper wehrte sich. Er versuchte sich zu verweigern. Es schien als ob ihr weltliches Dasein keinen Nachwuchs aus sich heraus akzeptieren wollte. Die Weigerung reichte nicht um ihr Schreien zu unterdrücken; verzweifelt wie der Tag, der versuchte gegen den Nebel anzukämpfen, klang ihr Stöhnen.
Diese arglistigen Töne schoben sich durch das Dickicht der Tropfen, blieben an ihnen hängen und wurden immer dumpfer. Welch abenteuerliche, ziellose Reise diese blecherne Melodie auch nahm, irgendwann wurde sie erhört.
Der Mann, der diese klagende Weise vernahm, würde nie Vergleichbares erleben. An seinem letzten Tag, liegend im Sterbebett wird er sich erinnern wie er zu lange im Dunst des Nebels irrte, sie schließlich fand, umgeben von Laub und Blut, ein Gesicht des Schreckens. Wie er lief! In späteren Träumen stolperte er oftmals den moosigen Weg, mit heiserer Kehle, das Kind, eingewickelt in seine Jacke, auf dem Arm, dem letzten Bund von Baby und Mutter mit klappernden Zähnen entrissen. Er träumte wie die Zweige und Äste sein Gesicht peitschten, wie er fiel und dachte, dass es das Kind nie überleben würde, wie er bellte, weinte und versuchte um Hilfe zu rufen. Kurz bevor er dann sterben muss, werden seine Gedanken bei dem Auto sein, welches ihn fast überfuhr als er die Straße entlang rannte und wie willkommen das Tageslicht auf die Häuser schien, die ersten Vorboten der Stadt. An seinem Totenbett stehen dann die Verwandten, sein Antlitz ruhig und zufrieden.
Das Baby überlebte, die Mutter nicht. Die Polizei arbeitete Jahre an diesem Fall, doch ohne Erfolg. Als die ersten Ermittler den vermeintlichen Tatort absperrten, waren sie sicher dass an diesem dunstigen Ort ein Verbrechen stattgefunden hatte. Doch der Tag, der mit milden, duftigen Temperaturen den Frühling erkennen ließ und den Nebel in sich aufsog, ließ das unbestechliche Licht der Sonne auf eine verzerrte Wahrheit, eine listige Tatsache, ein düsteres Rätsel scheinen. Nie wurden Hinweise auf Gewalt oder Menschenjagd gefunden. Niemand kannte diese Frau, niemand die Umstände, jede Fahndung blieb ohne Frucht. Nach neuerlichstem Fehlschlag erwähnte eine Polizeipsychologin: „Der Nebel hat sie umgebracht. Er verführte sie, er ließ zu, dass sie starb und er verschluckte seine Beweise. Wir müssen warten bis der Nebel wieder kommt, zum Tatort fahren und noch mal von vorn beginnen. Ich bin sicher, dass er uns etwas sagen wird. Er ist leichtfertige eine Schuld eingegangen!“ Die Kollegen nickten und knapp sieben Monate später legten sie den Fall zu den Akten.
Der Nebel sollte ständiger Begleiter, eine hartnäckige Konstante, wenigstens eine sanfte Erinnerung für den jungen X sein. Eine Woche nach der Geburt hegten die Ärzte, zum ersten Mal seit seiner Ankunft, die Hoffnung, „…dass…“ (), wie sie ihn nannten, „… es schaffen könnte…!“, die Miene des Arztes, sonst eher gelangweilt, ein entrücktes Spiel der tiefen Falten, die sein mittleres Alter scharf entlarvten. Doch wieder eine Woche später standen sie alle, bis auf den Chefarzt, der im Nebel stecken geblieben war, um das verdrahtete Bett und bemühten sich. Ein Jeder versah seine Kunst mit größter Hingabe, viele Stunden lang, bis die Aufgabe zu einem Problem wurde, dass zu Lösen niemand im Stande war. Dann warteten sie auf den, der die Maschinen zum Schweigen bringen durfte. Jener harrte geduldig, verwickelt in einen Stau, dessen Ursache wohl dem Nebel zugesprochen werden konnte, in seinem Auto und dachte nicht an Maschinen oder Kinder. Er dachte nicht an Menschen. Er dachte an gar keine Lebewesen: seine Versunkenheit galt der Musik. Kaum im Stande mitzusingen, obwohl er die Texte kannte, allein in stummer Verehrung für die Melodien, die aus dem Radio sprangen, wartete er und erstaunte als die Autos vor ihm wieder anfuhren. Beim Eintreffen im Krankenhaus weilten die letzten Töne noch in seinem Ohr, bis sie von der Dringlichkeit der Lebewesen abgelöst wurden. Da eilte er die Gänge entlang, betrat den stillen Raum und ward empfangen von zwei Stimmen, die etwas von „Unvorstellbar! Unvorstellbar!“ riefen.


Schließlich, nach langen Untersuchungen, zeigte er ein Lächeln - die Erkenntnis dass es überstanden sei. Viel später, im geräumigen Chefarztzimmer, lauschte er dem zurückgekommenen Lied in seinem Kopf, faltete die Hände und betrachtete ihre feine aber kräftige Form.
Herr X konnte sich nicht an die unzähligen Augenpaare erinnern, die ihn damals anblickten und sich wieder abwandten. Wenn sie doch länger verweilten, dann eher aus Mitleid und oft genug war es Scham der die Köpfe sich neigen und die Lider senken ließ. Die Haut des kleinen, kränklichen Kindes sah aus als ob es nächtelang im Wasser gelegen hatte. Die Augen waren milchig trüb, die allgemeine Form seines schmächtigen Körpers kraftlos und unbeständig. Hätte ihn die Polizeipsychologin gesehen wäre sie sicher gewesen, dass der Nebel in das Baby gefahren sei. Doch auch sie hätte ihn nicht adoptiert: „Mein erstes Kind soll mein eigen Blut sein. Und überhaupt: was soll ich jetzt schon mit einem Kind anfangen? Ich habe ja noch nicht mal einen festen Freund und meine Arbeit ist mir im Moment viel wichtiger. Außerdem gibt es doch Paare, die ein Kind adoptieren wollen!“
Eine junge Schwester verweilte, wann immer sie ihre kostbare Zeit opfern konnte bei ihm, oftmals erschöpft neben ihn liegend, ihre zarten Hände um ihn gewickelt, die Augen geschlossen. Die Ruhe dieses Bildes schien von Außen in ihr Innerstes zu transzendieren und in diesen Stunden träumte sie viele und intensive Geschichten. Der Traum der sie am tiefsten bewegte handelte von einem alten, halb verfallenen Haus, welches sie in der Nacht besuchte und erkundete. Das graue Gemäuer kam ihr seltsam bekannt vor als sie es von der verlassenen Straße her betrat, ihre Schritte mutig und belebt. Da sie nicht in der Stimmung war tief und lange nachzudenken, bemerkte sie nicht, dass sie so eben das Haus ihrer frühsten Kindheit betreten hatte! Voller Tatendrang zog sie umher, von einem Zimmer zum nächsten, ihre Gestalt feenhaft und leichtfüßig. Bis sie plötzlich innehielt. Ein rollendes Aufrichten ihrer Haare ließ sie umdrehen, ihr schwerer Blick von einem verstaubten Bild, das schräg an der Wand hing, angezogen: eine Frau, eng umschlungen mit einem Schwan, vor ihr die frisch geschlüpften Menschenkinder, manche mit den Eierschalen spielend, im Hintergrund ein düsterer Wald und eine weiße Villa. Zeit in einem Traum fließt in alle Richtungen, vor und zurück, scheinbar weilend, manchmal rasend und öfters gar nicht, dennoch schien ihr Erstarren ewig zu dauern. Bis sie die Tränen auf den Wangen spürte und sie wusste, dass sie träumte. Eine düstere Panik kroch an sie heran, lang Verdrängtes bemächtigte sich ihr und verzweifelt drängte es sie aufzuwachen. Mit einem Gewicht, das an einer wuchtigen Kette aus poliertem Messing an ihrem Herzen hing, wachte sie auf und löste sich vom tränennassen Kopfkissen. Sie sah in die geöffneten Augen ihres Traumzeugens und flüsterte: „Mein zarter Schwan.“ Von dieser Minute an nannte sie ihn ständig so, bald wurde er von allen nur noch „Unser Schwan.“ genannt
Nach einem einsamen Jahr kam der Kleine in die Mauser und warf sein schwammiges Federkleid hinfort, nur die Augen blieben trüb, seine Sehfähigkeit in einem Punkt beeinträchtigt: die Welt würde für ihn eine Kohlezeichnung, eine flüchtige schwarze Tinte auf weißem Papier, ein farbenloses Spektakel sein. Und in diesen grauen Abstufungen sah er seine Adoptiveltern, die entzückt in seine Richtung starrten und davon oder vor Rührung feuchte Augen bekamen. Sie nahmen ihn seine Namen und gaben ihm einen, den sie für besser erachteten. „So jung und schon so viele Namen, wie ein Held aus einer Tragödie. Mein Schwan, mein zarter Schwan.“, die Schwester stand noch lange an der Eingangstür des Krankenhauses und schaute in die abendliche Kühle, während das Auto der Eltern den langen, kurvigen Weg hinauf in das weit entfernte Gebirge fuhr. Ein einziges Mal kam das Auto ins Schleudern und daran war kein Nebel schuld, nur der langlebige Schnee des vergehenden Winters.

Er sah seine Finger, die in ihr volles, dickes Haar griffen, das in weiten Kaskaden auf ihre Schultern, ihre Arme und ihre grauen Brüste fiel. Sie lächelte und führte die Hand des Vierjährigen mild aber bestimmt zurück zu der schmalen Schüssel, die mit einer bitteren Flüssigkeit gefüllt war. Ein silberner Löffel ragte aus dem Gefäß, bereit den verräterischen und gleichwohl - ohne dass es die Spielenden je wissen konnten - Erkenntnis bringenden Trunk in den Mund des Kindes zu befördern. Die Hand und der Willen der Beiden spielten eine Zeit lang, rangen um Kontrolle, ließen sich leiten, einwickeln, um im nächsten Moment verräterisch an einer anderen Stelle aufzutauchen, bereit das Spiel in einen Kampf übergehen zu lassen. Letztlich gelangte der Löffel in die Hände des Jungen, der seine Niederlage damit versüßte große, geschickte Kreise zu vollführen. Der Löffel spiegelte blitzend das sommersonnige Licht des Morgens wider, das, je nach Bewegung, mal hier, mal dorthin, einen springenden Funken warf und wohin es auch traf, das Alte beleuchtete. Die gesamte Küche war eine ehrwürdige Verbeugung an die Vergangenheit, tatsächlich liebten die Adoptiveltern das, was viele Jahre und Jahrhunderte alt war, peinlich gepflegt und oftmals aufwendig wiederhergestellt. „Antiquitäten  strahlen eine überlegene Ruhe aus, ein Zeugnis der menschlichen Kraft ihre eigene Zeit überdauern zu können.“, pflegte der Vater zu sagen, bezog sich dabei auf das gesamte Haus, meinte aber, insgeheim sogar recht aufrührerisch, nicht nur das Materielle: „Denn im Grunde ist alles Wichtige, alles Gute, alles Ethische und jede Moral schon längst verkündet worden. Schreit jemand, er hätte etwas Neues gefunden, so muss man nur nach seinen Werkzeugen und nach dem Staubwedel suchen, mit dem er seine Restauration bewerkstelligte.“ Bei ihr war es anders, das Herz blühte einfach auf sobald sie in die Nähe von etwas kam, was vor ihrer Zeit entstammte. Nicht dass sie Neues verabscheute, sie liebte es neue Kleider anzuprobieren, sich im Spiegel in diesen verführerischen Stoffen zu betrachten, ihren kleinen, weiblichen Körper mit den Händen nachzuzeichnen und ihre Hüften zu betonen - eine verzweifelte Geste sich vermisste Zärtlichkeit zu schenken - doch das Alte hatte eine Präsenz, eine „Aura der Erfahrung und des Lebens“, wie sie es ausdrückte und dabei das unausgesprochene „Leid und Glück“ betonte. Innerhalb dieser Altertümlichkeiten und dieses winzigen Zwistes von Wärme und Logik, Antikem und Seidenem, Moral und Frust erlebte der junge Herr X seine glückliche, umsorgte und farbenfreie Kindheit.
An nichts Früheres als an diesen Tag vermochte er sich zu erinnern: er war – wie alle Jahre zuvor - weder krank, noch kündigte sich eine Erkältung an und die letzten Experimente an seinen Augen lagen lange Zeit zurück. „Die farblose Welt, die er sieht, spiegelt ihr geisterhaftes Bild in ihm, auf verquere und trotzige Weise, und aus meinem Jungen macht sie ein Gespenst, unfähig krank zu werden oder sich zu verletzen, obwohl es dazu mehr als genug Gelegenheiten gegeben hatte. Die Farbe seines Blutes habe ich erst einmal gesehen, als ich ihn, mit Absicht, die Nägel zu tief verschnitt, er mich verwundert anschaute und keine Miene verzog, während ihm Tränen aus seinen großen Augen rannen.“
Kaum hatte er die Medizin geschluckt, die ihn nur gegen die um sich greifende Grippewelle stärken sollte – seine Mutter hatte offenbar Bedenken an den achillischen Kräften ihres Kindes – wurde er still. Für eine Weile regte sich nichts. Dann sprang sie auf, ihre weiße Panik entflammt am Anblick seines purpurnen Gesichts. Röcheln brach die Stille, ergänzt durch ihre Hilferufe, während er taumelte und plötzlich, vollkommen seiner Bewegung beraubt, zusammenbrach. An den Fall konnte er sich gut erinnern auch an den süßlichen Geruch, den seine Mutter verströmte während sie sich über ihn beugte und ihn verzweifelt schüttelte. Kurz bevor er die wonnige Umarmung des kalten Nichts spürte, und alles schwarz zu werden drohte, nahm er war wie ihre Zähne und ihr Mund glänzten. Es war so anders, dass er es wieder sehen wollte, er darauf hustete, die gallige Medizin ausspie und mit einem berstenden Zug die frische Luft aufsog. Erst als jede Gefahr gebannt schien, als sie ihn umarmte, zerdrückte, küsste und beweinte, als salzige Flüssigkeit auf seine Wange strömte und sie ihren Mund auf seine Augen drückte, wurde ihm klar, dass es farbige Lippen waren die seine Lider benetzten. Farbige Lippen und weiße Zähne.

Seit diesem Erlebnis befand er sich auf der Suche. Wild und exzessiv wahrte er hinter jeder besonderen Erfahrung das Rauschen der Farben, die er in jenem Augenblick erlebte und seither so missend begehrte. Besessen trieb er sich von Spiel zu Spiel, von Erfahrung zu Erfahrung; mit sieben Jahren trieb er erfolgreich Turnen, Ringen und Schwimmen, ehrgeizig beendete er einige Tage nach seinem achten Geburtstag Moby Dick und wenig später das Dschungelbuch. Verstohlen blickte er auf die grauen Reihen angehäufter Geschichten, geduldig wartendes Wissen, das die bibliophilen Zimmer seines Vaters schmückte. Kaum war ein Buch beendet drückte ihm dieser das nächste in die Hand, lachte und verzog die Miene verschmitzt: „Der Junge wird noch explodieren. Dann aber in einer Wolke aus Weisheit.“ Nur ein einziges Buch wandelte sich für den Jungen in einen Papier gewordenen Himalaya: das wundersame Alice im Wunderland. Wie er es hasste und liebte. An jedem seiner Geburtstage wünschte er sich von irgendeinem, unwissenden, uneingeweihten Bekannten Carolls Meisterstück, las es mit neu erwachtem Eifer und verzweifelte. „Rätsel im Rätsel im Versteck im Geheimnis im Verborgenem im Schatten im Finsterem im Unsichtbarem, in mir. Wer bin ich, dass ich all dies lösen soll? Kann ich glauben, dass jedes Wissen einst vor mir liegen wird, und wenn, wird es meine Welt bunt färben? Werde ich die Welten in all ihrer roten, grünen, blauen Pracht sehen aber immer weiter nach Unbekanntem streben, da hinter allem mehr steckt als im Moment des Betrachtens, und sei er noch so lang, ersichtlich ist?“, sprach er laut und fest, als er seine literarische Nemesis vorstellte.




Was, in groben Zügen, ist das besondere an X Leben und wie führt es ihn zu seinem, am Anfang überlegten, Schluss?

Have fun!
« Letzte Änderung: 16.09.2008 | 15:54 von Dirk »
Erdmännchen finde ich schon echt putzig!

Aber Koks ist einfach nicht meine Droge.

Offline Dirk

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Re: [Ehemalige Schreibübung] Wie könnte es weiter gehen?
« Antwort #1 am: 16.09.2008 | 20:00 »
Ich muss vielleicht noch anführen, jedenfalls war das mein erstes Konzept, dass es sich um einen Mann handelt, der in allem was er tut ein außergewöhnliches Talent besitzt. Nur, das es ihm scheinbar nicht sehr viel genützt hat.

Wie wurde er so und warum änderte er sein Leben?

Vielleicht hilft das als Hinweis.

Vielen Dank für Eure Hilfe. So im Voraus.

MfG
Dirk

Erdmännchen finde ich schon echt putzig!

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Offline Fat Duck

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Re: [Ehemalige Schreibübung] Wie könnte es weiter gehen?
« Antwort #2 am: 17.09.2008 | 13:16 »
Durchkämpfen ist gut, der Text hat mir besser gefallen als alle anderen, die ich hier in der letzten Zeit gelesen habe (nicht falsch verstehen, das ist ein Lob dir gegenüber, keine Kritik an die anderen).
Ne Geschichte weiterspinnen kann ich nicht, bin grad selbst mit einer beschäftigt. Aber nimm dir doch mal ein Buch über Plots in die Hand (das sag ich jetzt, weil ich selbst grad "20 Masterplots: And How to Build them" gelesen habe), da kommen dir sicher einige Ideen. Spontan würd ich das jetzt als eine Art Questplot gestalten (ala Don Quichote), bei dem X auf der Suche nach den Farben ist (und sich dabei selbst findet, oder so). Und da du das schon eingebracht hast, empfehlen sich auch gleich ein paar Paralellen zu "Alice im Wunderland".
I can see what you see not, Vision milky then eyes rot.
When you turn they will be gone, Whispering their hidden song.
Then you see what cannot be, Shadows move were light should be.
Out of darkness, out of mind, Cast down into the halls of the blind.
http://fatduck.deviantart.com/

Offline Dirk

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Re: [Ehemalige Schreibübung] Wie könnte es weiter gehen?
« Antwort #3 am: 17.09.2008 | 14:07 »
Ah, Danke! Das Buch habe ich mir gleich mal bestellt.

Alice im Wunderland wollte ich als Bild einbauen, aber nicht unbedingt allegorisch in die Story. Ich überlege ob das nicht vielleicht doch eine gute Idee ist.

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