Kapitel 5: Nachfolge eines Helden
23. Teayu,
Durch das Tor aus Licht kamen wir in einen Raum mit nur einem Ausgang, rundum mit Malereien und Bildern versehen. Sjostiss scheint die fremdartigen Schriftzüge unter den Bildern recht gut entziffern zu können, was einige unserer Fragen klärt.
Die Bilder erzählen die Geschichte eines Helden namens Desmotes, der den Namensgebern das Feuer brachte und ein Dorf vor den Zyklopen beschützete. Als Dank machte ihm der Gott Nergal eine wunderschöne Frau namens Anesidora zum Geschenk. Diese trug jedoch ein Kästchen bei sich, das den beiden als Prüfung dienen sollte. Doch Neugier überkam die beiden und so wurde das Übel in die Welt entlassen. Als Strafe kettete Nergal Desmotes an einen Fels, wo er von einem riesigen Adler gepeinigt wurde. Anesidora wollte ihn befreien, kam jedoch auf dem Weg zu ihm ums Leben. Desmotes wurde zwar befreit, konnte aber nicht verhindern, dass der Totengott Hefaot seine Geliebte mit zu sich in sein Reich nahm. Die Göttin Kebele hatte Erbarmen mit dem Paar und stellte mehrere Gefäße her, die den beiden wohl Hoffnung auf ein Wiedersehen machen sollten. Nergal jedoch wollte dies nicht zulassen und versteckte in einem der Gefäße den Tränensäer, dem wir gestern gegenüber standen. Auf dem letzten Bild sind wir bei unserem Kampf mit dem Tränensäer zu sehen. Der Schriftzug darunter bezeichnet uns als Helden einer neuen Zeit.
Wie es aussieht sind wir nun ein Teil dieser imposanten Geschichte, was mich einerseits mit Stolz und andererseits mit Furcht erfüllt, denn der Tod des Tränensäers scheint erst der Anfang zu sein. Nicht umsonst sitzen wir hier in einem Raum fest, der nur einen einzigen Ausgang hat.
Wir haben den Raum durch einen Gang tief unter der Erde verlassen. Oben, unten, links und rechts von uns waren Schlangen. Das weckt böse Erinnerungen an unsere Prüfung bei den Orks. Am Ende des Ganges lag ein düsterer Raum in dessen Mitte sich ein riesiger Haufen von Namensgeberschädeln aller Art befand. Aus ihm stieg ein Wesen, dass dem Totengott Hefaot auf dem Wandbild sehr ähnelte. Sjostiss griff das Wesen ohne zu zögern an. Diese Dummheit hätte uns alle das Leben kosten können und ich musste sie mit Gewalt von weiteren voreiligen Aktionen abhalten. Das hat ihr zwar nicht gefallen, aber ich sollte Recht behalten. Denn es war der Totengott Hefaot, der diesem Schädelhaufen entstiegen war. Er offenbarte uns den Weg nach draußen und damit unser Schicksal:
Dank der Göttin Kebele ist es nun unsere Aufgabe, Desmotes und Anesidora im Tode wieder zueinander zu führen. Da jedoch Nergal, sein Bruder, auch hier unten, in seinem Reich, Macht hätte, müssten wir uns erst würdig zeigen indem wir drei von Desmotes Heldentaten vollbringen. Erst dann können wir aus Hefaots Reich wieder heraus.
Wir haben wohl keine Wahl. Das sehen außer Sjostiss alle so wie ich und so schmollt sie lieber anstatt uns zu helfen und sucht alleine einen Ausgang. Vermutlich kratzt es auch an ihrem Ego, dass ich sie davon abgehalten habe Hefaot noch einmal sinnlos anzugreifen. So werden wir es niemals hier herausschaffen. Gerade Sjostiss sollte sich etwas zusammenreißen und gemeinsam mit uns den Weg nach draußen suchen. Wir sind schließlich nicht wegen mir hier.
Am Ende eines Ganges, der mich an die Kerker in Throal erinnert haben wir eine Tür gefunden. Die Inschrift an der Tür spricht von jemandem mit königlichem Blut, der passieren kann. Wir vermuten, dass wir selbst, ohne königliche Abstammung, eine Art magische Falle auslösen, durch die ein mächtiges Erdelementar erscheinen wird. Wir haben uns daher entschlossen erst einmal einen anderen Weg zu versuchen.
Im Gegensatz zu mir, der die Falle im ersten Gang nur dadurch gefunden hat, indem er reingetreten ist, hat Eokrall die Falle im großen Raum glücklicherweise früh genug entdeckt. Fast unsichtbare Fäden, die zwischen den Säulen gespannt waren und nur einen Weg durch sie hindurch freigeben. Sie hat ein gutes Auge, das muss man ihr lassen.
Hinter den großen Flügeltüren am Ende des Raumes bot sich uns ein Anblick, mit dem hier unten wohl keiner gerechnet hätte. Ein Lustgarten, in dessen Mitte eine junge Frau saß. Durch einen Wandelgang um sie herum liefen in Kutten gehüllte Gestalten mit Masken vor den Gesichtern, so dass wir sie nicht so einfach unterscheiden konnten. Am Rand standen zwei Wachen, die nur Befugte zur Königin Anesidora lassen.
Durch eine stumme Trommlerin haben wir letzten Endes erfahren, wie wir zu Anesidora kommen. Nur der Hofstaat der Königin darf zu ihr. Die verschiedenen Mitglieder ihres Hofstaates laufen in diesen Kutten um sie herum. Es wäre schlecht gewesen mit einigen davon zu reden, doch durch ihre Art zu gehen konnten wir sie unterscheiden und die Hofdame von Anesidora ausmachen. Sie lieh uns ihre Kutte, so konnte Devodar zur Königin und mit ihr reden. Desmotes erste Heldentat war es wohl, einem König namens Temiachos seinen Skarabäusanhänger zu stehlen. Auf der Tür mit der Falle war von Temiachos die Rede und auf dem Schloss war ein Skarabäus zu sehen. Es bleibt uns wohl keine Wahl als uns diesem Elementarwesen zu stellen und durch die Tür zu gehen.
Nur ein kleiner Käfer war es, doch der hatte es in sich. In dem engen Gang war es uns kaum möglich ihn ordentlich zu bekämpfen. Er war enorm wendig und sein Panzer war hart wie Stein. Für einen Moment hat er doch tatsächlich versucht, sich unter meine Rüstung zu fressen. Ekelhaftes Viech.
Wir haben beschlossen erst einmal Pause zu machen, um unsere Wunden zu verbinden und etwas auszuruhen. Sjostiss hat sich inzwischen zusammengerissen und das ist auch gut so. Uneins werden wir hier unten kaum überleben, dass hat uns schon diese erste Prüfung gezeigt.
Der Sieg über das Elemantarwesen eröffnete uns den Weg in einen großen Saal, in dem wohl vor langer Zeit ein großes Festessen stattgefunden haben muss. Von dem war allerdings nicht viel mehr als Staub übrig. In einem Nebenraum fanden wir eine Art Begräbnisstätte. Bei der Erinnerung daran läuft mir jetzt immer noch ein kalter Schauer über den Rücken. Es scheint als hätte man die verschiedenen Mitglieder des Hofstaates dort bei lebendigem Leibe in Särge eingenagelt und elendig sterben lassen. Kein Wunder, dass sie keine Ruhe fanden und als Geister herauskamen, als wir ihre Gräber öffneten. Zu spät bemerkte ich dabei, dass sich einer der Geister auf irgendeine Art mit mir verbunden hatte und begann mir meine Kraft zu rauben. Bald war es nicht mehr nur meine Kraft, sondern mein Blut. Ein sehr beängstigendes, beklemmendes Gefühl. Vor Angst war ich kaum fähig einen klaren Gedanken zu fassen um dem Geist wirksam entgegenzutreten. Glücklicherweise waren die anderen klüger und am Ende gelang es ihnen das Band zwischen mir und dem Geist zu lösen. Ob es an meinem Blut oder dem Geist lag weis ich nicht genau, aber es war der Schlüssel für das Tor, dass wir versucht hatten zu öffnen und dass uns dann in einen Gang mit Kindergeistern und vielen kleinen Särgen führte. Was mit diesen wiederum geschehen war möchte ich lieber nicht wissen, aber auch sie sahen nicht freundlich aus. Wir überwanden sie, indem wir sie einfach stehen ließen und durch die Tür am Ende des Gangs flüchteten.
Im Raum hinter der Tür erwartete uns dann die wahre Prüfung. Hier in diesem bizarren Totenreich war Temiachos nicht mehr tot. Er war zusammen mit einigen Kriegern seiner Leibwache als Untoter wieder auferstanden um uns daran zu hindern sein Skarabäusamulett zu holen. Ich habe zwei seiner Wächter abgelenkt, während die anderen sich um den König kümmern sollten. Erst schien alles schief zu gehen, als ich durch einen Zauber in einen Käfig aus goldenen Stäben eingesperrt wurde und die Wächter Motombwa niederschlugen, doch am Ende rettete uns Sjostiss mit einem waghalsigen Manöver, durch das sie dem König das Amulett vom Hals stibitzte. Manchmal reicht Taktik und Übersicht nicht aus, dann kommt es auf die einzelnen an. Trotz aller Probleme bin ich in solchen Momenten immer wieder froh mit Sjostiss unterwegs zu sein.
Jetzt sitzen wir auf kalten Steinen direkt neben dem Sarkophag des Königs und schon wieder bin ich müde und erschöpft. Die Schläge der Skelette, die Schnitte von den Beißzangen des Skarabäus und die vielen halb verheilten Wunden von den Kämpfen davor zehren langsam an meiner Kraft. Ich weis nicht wie Sjostiss das mit ihren Wunden aushält. Ihre Wunden verheilen wesentlich schlechter als meine. Ich glaube nicht, dass ihr Wille sie noch viel weiter auf den Beinen halten kann. Wir bräuchten dringend neues Verbandszeug und Ruhe, ich glaube aber kaum, dass wir beides hier unten finden.
Gerade gab es einen Streit um Dinge, die wir in Temiachos Schatzkammer gefunden haben. Wir wollen die Sachen mitnehmen und am Ende unter uns aufteilen, aber irgendwie scheint Motomwa damit ein Problem haben. Ich glaube es geht um einen Elementaristenstab und Münzen, die er gerne hätte, bin aber nicht sicher. Das ganze zehrt an unseren Nerven. Ich hoffe wir können uns alle zusammenreißen.