Autor Thema: Der Reiz an Cthulhu  (Gelesen 7460 mal)

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Offline Lodster

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #25 am: 5.06.2013 | 17:16 »
Warum spielst du dann Cthulhu ? Cthulhu ist der Mythos. Ohne den Mythos ist es nur ein BRP-Archäologie-Spiel.

Mit Monstern, aber vom Prinzip hast du Recht. Ich bin bei uns SL und meine Spieler haben zum größten Teil keine Ahnung von den Zusammenhängen, interessiert sie aber auch nicht. Es wird halt hier verhindert, dass ein Monster wiederaufersteht, dort ein Kult begraben, aber dass letztlich alles sowieso vergebliche Mühe sein soll, da der Gegner auf jeden Fall siegen wird, finde ich als Thema nicht besonders attraktiv und meine Spieler auch nicht.

Offline Scimi

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #26 am: 5.06.2013 | 17:39 »
Das ist ja aber nicht un-lovecraft'sch. In den Geschichten kommen viele Charaktere vor, die eine okkulte Vorbildung haben und vielleicht einzelne Berührungen mit dem Übernatürlichen, aber für die die Begegnung mit dem Mythos einzigartig, prägend und oft auch endgültig sind. Und viele von den bekannten Göttern und Monstern sind in den meisten Geschichten nicht viel mehr als Namen in alten Büchern.

Die Nummer mit "Heute Y'golonac, Sonntag Nyarlathotep und wenn Zeit ist dazwischen noch Shub-Niggurath" oder "Hey, ist das ein Deep-One?" - "Nein, beachte die leicht rötliche Färbung am Rückenkamm, meiner Meinung nach handelt es sich vielmehr um...", die bei einigen Runden zum bevorzugten Spielstil gehören, sind eher weiter von der literarischen Vorlage entfernt.

Offline Lodster

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #27 am: 6.06.2013 | 10:52 »
Das ist ja aber nicht un-lovecraft'sch. In den Geschichten kommen viele Charaktere vor, die eine okkulte Vorbildung haben und vielleicht einzelne Berührungen mit dem Übernatürlichen, aber für die die Begegnung mit dem Mythos einzigartig, prägend und oft auch endgültig sind. Und viele von den bekannten Göttern und Monstern sind in den meisten Geschichten nicht viel mehr als Namen in alten Büchern.

Die Nummer mit "Heute Y'golonac, Sonntag Nyarlathotep und wenn Zeit ist dazwischen noch Shub-Niggurath" oder "Hey, ist das ein Deep-One?" - "Nein, beachte die leicht rötliche Färbung am Rückenkamm, meiner Meinung nach handelt es sich vielmehr um...", die bei einigen Runden zum bevorzugten Spielstil gehören, sind eher weiter von der literarischen Vorlage entfernt.

Bin da absolut deiner Meinung. Ich denke auch, dass es einen Extra-Reiz hat, wenn man gar nicht weiß, worum es eigentlich geht. Und dies ist bei meinen Spielern der Fall, da hat keiner jemals eine Geschichte von Lovecraft gelesen und so gehen sie völlig unvoreingenommen an die Sache ran.

Offline Grubentroll

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #28 am: 6.06.2013 | 11:58 »
Ausgelager von Shadoms Frage in einem anderen Thread:

Ich Glaube der Reiz an Cthulhu hat verschiedene Ursachen.

Zu einen muss man da ein wenig die Historie bedenken.

Als Lovecraft seine Geschichten schrieb und Derleth das ganze zum Mythos zusammen fasste (und das sind nur die wichtigsten Autoren) gab es weder Rollenspiele noch ein Hooror-Genre. Es gab höchstens Schauer-Geschichten wie die von Poe.

Und auch als das Rollenspiel erschien (1981) gab es noch wenig oder keine Horrorrollenspiele.

Die Anhängerschafft besteht zum großen Teil aus Lesern von Lovecraft, Derleth und anderen Autoren der Mythos-Geschichten.

Die Widersprüchlichkeit des Mythos kommt daher, das Lovecraft keinen einheitlichen Mythos im Kopf hatte. Dieser wurde erst von seinem Freund und Nachlaßverwalter August Derleth erdacht.

Ich finde auch nicht, das man CoC-Abenteuer auch mit einem klassischen Horror-System spielen kann. Natürlich kann man CoC auch als klassisches Horror-Szenario spielen, aber eigentlich sind die meisten Wesen des MYthos nicht dafür gemacht, wie Zombies nieder gemacht oder wie Vampire einfach mal gepfählt zu werden.

Wie Tolkien mit der Fantasy hat Lovecraft ein Genre erschaffen und ist zum Teil der Popkultur geworden. Es gibt ja nicht nur beim Rollenspiel Anleihen bei Lovecraft, sondern quer durch die Medien (Kurzgeschichten anderer moderner Autoren wie King, Songs von z.B. Metalica, PC-Spiele, Filme etc.)

Für mich hat CoC ein ganz eigenes Flair, auch durch die Gefahr des Wahnsinns, die beim klasssichen Horror eigentlich nicht so präsent ist.


Toller Post!


Online tartex

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #29 am: 6.06.2013 | 12:09 »
Tja. Für mich sind Lovecrafts Storys auch gut ohne Monster denkbar. Bzw. man kann die durch Drogenexperimente und ähnliches ersetzen. Ich lese es auch gar nicht als Horror. Für mich sind da einfach dekadente Protagonisten, die sich an die Grenzbereiche dessen, was der menschliche Verstand mitmachen will, wagen.

Necronomicon oder zuviel Acid - was ist da der Unterschied?
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Offline Scimi

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #30 am: 6.06.2013 | 12:42 »
Da kann ich nicht zustimmen, weil es gerade ein Element der Lovecraft-Geschichten ist, dass die Monster ziemlich zum Anfassen sind. Da gibt es nüchterne, kompetente Wissenschaftler, die zusammen mit Kollegen Messungen vornehmen, Experimente durchführen und Beweise fassen. Oft besteht der Knackpunkt der Geschichte auch gerade darin, dass das Grauen erst dann zuschlägt, wenn der Protagonist schlagende Beweise für das findet, was er vorher bezweifeln konnte.

Davon auszugehen, dass die Charaktere schizophren oder ständig unter dem Einfluss von Drogen sind, klingt so nach "Alles war nur ein Traum!", so ein billiges Mittel, um Widersprüche zu ignorieren.

Ich finde, Akte X war da eine bessere Inspiration, wo Scully regelmäßig Dinge auf dem Seziertisch medizinisch untersucht hat und dabei oft auf verstörende Ergebnisse gestoßen ist, (meist) ohne dabei ihren wissenschaftlichen Standpunkt aufzugeben oder "Oh Gott, es gibt sie wirklich!" zu schreien.

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #31 am: 6.06.2013 | 14:18 »
Davon auszugehen, dass die Charaktere schizophren oder ständig unter dem Einfluss von Drogen sind, klingt so nach "Alles war nur ein Traum!", so ein billiges Mittel, um Widersprüche zu ignorieren.

Das habe ich nicht gemeint. Ich sage, man kann den Mythos auch als Metapher für Drogen-Experimente sehen.

LSD, etc. wurden ja auch in wissenschaftlichen Labors entdeckt und unter solchen Bedingungen - auch im Selbstexperiment - getestet. "Das ist alles gar nicht echt, weil ich es nicht anfassen kann", ist auch eher eine Einstellungssache.
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Offline Grubentroll

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #32 am: 6.06.2013 | 14:31 »
Naja, mit dem Ansatz kannst du aber jede Fantasywelt trashen.

Brauchst nur entsprechend hartes Acid, oder halt mal in den städtischen Kräutergarten zur Stechapfelplantage pilgern, dann ist Gamma World auch für dich in real möglich, lieber Tartex.

Offline Thandbar

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #33 am: 6.06.2013 | 18:12 »
Da kann ich nicht zustimmen, weil es gerade ein Element der Lovecraft-Geschichten ist, dass die Monster ziemlich zum Anfassen sind.

Ich habe mal gelesen, dass die Entwicklung Lovecrafts in etwa so ging, dass die Monster immer "metaphysischer", mithin abstrakter wurden, je weiter er sich als Autor entwickelte.
Aber ich gebe Dir insgesamt Recht: Es ist schon wichtig, dass die grässlichen Wesenheiten wirklich existieren, von denen berichtet wird, und kein bloßes Hirngespinst. Ähnlich wie bei Kafkas "Verwandlung" der Satz entscheidend ist: "Es war kein Traum."

Lovecrafts Vater litt ja an Schizophrenie, und in einer Biographie habe ich gelesen, dass die wahnhaften Schübe des Vaters ein Kernbestandteil von Lovecrafts Schaffen geworden sind. All die Figuren, die unter schwer erträglichen Mondleiter-Monologen zusammenbrechen, ließen sich demnach lesen als Wiederholung eines Kindheitstraumas.
In der Fiktion selber aber sind Cthulhu und Konsorten völlig real. Sie bestehen zwar nicht aus "unserer" Vorstellung von Materie, aber sie sind da und können sich wirklich manifestieren.
"Du wirst direkt in diesem Moment von einer Zilliarde grünkarierter Kakerlakeneinhörner in Tweedanzügen umzingelt, die mit Fallschirmen aus gebeiztem Vanillepudding aus der nächstgelegenen Dattelpalme springen und dich zu ihrer Avonberaterin krönen - und die Krone ist aus Dr. Frankensteins bösartig mutiertem Killernougat! Streich dir 78000 Hirnschadenspunkte ab und mach sofort eine Jodelimprovisation!"

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #34 am: 6.06.2013 | 18:23 »
Naja, mit dem Ansatz kannst du aber jede Fantasywelt trashen.

Warum soll das "trashen" sein? GammaWorld ist für mich sowieso real. Irland ist nicht soooo anders.  ;) Ich sehe halt sehr viel in Fantasy / Weird Fiction als Metaphern. Wenn man unsere Welt betrachtet ohne sie von der Abstumpfung durch jahrelangen Konsum derselben weichzeichnen zu lassen, ist das alles sehr weirder shit. Nur eine Frage des Filters.

Ich sag nur Kruzifixe als Beispiel. Nur weil wir seit Kindheit gewohnt sind, dass überall so Bondage-Objekte rumhängen, denken wir uns nichts mehr dabei.

Zu Lovecraft: ist ja allgemein bekannt, dass er z.B. die ihm fremden Immigranten in New York mit ziemlich der selben Wortwohl beschrieb, wie seine fiktiven Monster.
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Offline Scimi

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #35 am: 6.06.2013 | 22:15 »
Ich habe mal gelesen, dass die Entwicklung Lovecrafts in etwa so ging, dass die Monster immer "metaphysischer", mithin abstrakter wurden, je weiter er sich als Autor entwickelte.

Ich bin kein Literaturwissenschaftler, aber beim kurzen Überfliegen der Chronologie sehe ich später bei Lovecraft Geschichten wie "At the Mountains of Madness", "The Haunter of the Dark", "The Thing on the Doorstep", "The Shadow Over Innsmouth" etc., die ich alle eigentlich ziemlich "hands on" finde.
Viel früher hat er Dinge wie "The Temple", "Polaris" oder "Beyond the Walls of Sleep", die meines Erachtens sehr viel allegorischer und versponnener sind.
Die einzige Tendenz ist, dass Lovecraft Ideen und Themen weiterentwickelt und Dinge, die er schon einmal ähnlich verwendet hat, in späteren Werken ausgefeilter und subtiler wieder auftauchen.

Lovecrafts Vater litt ja an Schizophrenie, und in einer Biographie habe ich gelesen, dass die wahnhaften Schübe des Vaters ein Kernbestandteil von Lovecrafts Schaffen geworden sind.

Sehr wahrscheinlich waren es Nervenschäden infolge einer fortgeschrittenen Syphilis und nicht das einzige Trauma in Lovecraft's Leben. Das mag bestimmte Themen und Neigungen Lovecrafts beeinflusst haben, aber ich bin immer etwas  vorsichtig mit so küchenpsychologischen Erklärungne.
Ich denke, der größte Einfluss dürften die Horrorliteratur, die Wissenschaftsmagazine und all die anderen Bücher gewesen sein, die der Mann sich zentnerweise reingezogen hat. Lovecraft war ein ganz schrecklicher Nerd und auch ohne Internet kann die schiere Masse von Briefen, die er mit Gleichgesinnten ausgetauscht hat, den Posting-Count von so manchem Forennutzer hier in den Schatten stellen.

Zu Lovecraft: ist ja allgemein bekannt, dass er z.B. die ihm fremden Immigranten in New York mit ziemlich der selben Wortwohl beschrieb, wie seine fiktiven Monster.
Lovecraft war generell ein Fan von gestelzter, antiquierter Sprache, weswegen seine Werke schon damals nicht für jeden gut lesbar waren. Und er hat mehr seiner Freunde als Opfer, Okkultisten und Monster in den Mythos eingebaut als dass darin Immigranten vorkommen.
Anscheinend hatte Lovecraft eine extreme Meinung zu Leuten, die nicht in sein neuenglisches Gentleman-Weltbild passten, aber ich hatte immer das Gefühl, dass das eher dazu geführt hat, dass stereotype Ausländer in den Geschichten nur Nebenrollen bekommen, wenn sie überhaupt auftauchen.

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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #36 am: 7.06.2013 | 00:24 »
Und er hat mehr seiner Freunde als Opfer, Okkultisten und Monster in den Mythos eingebaut als dass darin Immigranten vorkommen.
Anscheinend hatte Lovecraft eine extreme Meinung zu Leuten, die nicht in sein neuenglisches Gentleman-Weltbild passten, aber ich hatte immer das Gefühl, dass das eher dazu geführt hat, dass stereotype Ausländer in den Geschichten nur Nebenrollen bekommen, wenn sie überhaupt auftauchen.

Naja. Lies mal "The Street". Wird oft ausgespart. Aber hier ist der Originaltext. Hier spielen die Ausländer die Hauptrolle.

Und das allerallerschrecklichste Gedicht "On the Creation of Niggers" will ich erst gar nicht reden. Es hat auch nichts mit meiner Argumentation zu tun, muss aber doch erwähnt werden. *kotz*

Ich schätze Lovecrafts Werk (und seine Biographie) trotzdem sehr.
« Letzte Änderung: 7.06.2013 | 00:28 von tartex »
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Re: Der Reiz an Cthulhu
« Antwort #37 am: 7.06.2013 | 15:43 »
Klar, Lovecraft hatte selbst für seine Zeit extreme Ansichten zu Einwanderern und Unterprivilegierten und keine Scheu, sich dazu auch zu äußern.

Trotzdem finde ich, dass das für seine Geschichten keine große Rolle spielt. Wenn entsprechende Aspekte in einer Erzählung auftauchen, ist Lovecrafts Darstellung extrem rassistisch und verachtend, aber ich hatte nie den Eindruck, dass die Texte zu dem Zweck verfasst wurden, Rassistisches oder sonstwie intolerantes Gedankengut zu verbreiten. Und ich kann mir weder vorstellen, das das Lesen von HPs Horrorgeschichten Intoleranz fördert, noch, dass die typischen Vertreter unmoderner Ansichten besonderes Vergnügen an der Lektüre hätten.

Und insbesondere kann ich mir nicht vorstellen, dass der "Reiz an Cthulhu" für irgendwen darin besteht, dass Lovecraft hin und wieder einmal einen Satz im Text hat, der voll daneben ist.  ;)