So, gestern habe ich immerhin mal "The Window" ausprobiert (mit einem kleinen Wild-West-One-Shot) und will mich dann auch nicht lumpen lassen, hier mal ein paar Worte über das System zu verlieren.
Allgemeines
"The Window" ist ein universelles, sehr freies System, das gänzlich auf Ballancing verzichtet. Die Spieler beschreiben ihre Charaktere und deren Fähigkeiten mit Worten. Dabei werden auf jeden Fall den Eigenschaften Stärke, Geschicklichkeit, Gesundheit, Wahrnehmung und Wissen (ggf. auch Glück und/oder Stabilität und/oder Magie) Adjektive zugewiesen. Hinzu kommen Fähigkeiten, die von "Erfahrener Soldat" über "lausiger Sänger" und "Snooker-Profi" bis "süße Lolita" reichen können. Ein Punktesystem, um die Kosten zu regeln, gibt es nicht, die Spieler entscheiden frei.
Den einzelnen Merkmalen werden dann Professionalitätsgrade zugewiesen, nach denen sich richtet, welchen Würfel (von W4 bis W30, Durchschnitt ist W12) der Spieler verwendet, wenn es zu einer Probe kommt. Proben werden nur in kritischen Situationen gewürfelt. Die Standard-Schwierigkeit beträgt 6, würfelt man mehr, ist die Probe misslungen. In Einzelfällen kann die Schwierigkeit auch niedriger oder höher sein. Eine vergleichende Probe wird einfach gegeneinander gewürfelt, der niedrigere gewinnt. Ein Unentschieden ist ein Unentschieden.
Es gibt kein Kampfsystem, keine Runden, keine Initiative, keinen vordefinierten Waffenschaden, kein Bewegungssystem.
Ich hatte in unserer gestrigen Runde das Ganze noch durch ein paar Ansätze von Player Empowerment und Scene Framing sowie die Verwendung eines Kickers ergänzt. Insbesondere ließ ich die Spieler selbst den Effekt einer erfolgreichen Aktion beschreiben. Allerdings kann man "The Window" auch ohne solche Dinge ganz "klassisch" mit dem "allmächtigen SL" spielen.
Charaktererschaffung
Die Beschreibung mittels Adjektiven hat gut funktioniert, auch wenn meine Star-Wars-geprägten Spielerinnen teilweise ihre "Fertigkeiten" jeweils einem "Attribut" zuordnen wollten (was gar nicht nötig war). Ich hatte den Spielerinnen nur gesagt, sie sollten ihren Charakter mal mit Worten beschreiben, und dabei kam dann deutlich mehr rum als nur die klassischen Fähigkeiten, sondern auch eigenschaften wie stur, temperamentvoll, naiv usw. Fand ich aber gar nicht schlecht, die gleich mit da stehen zu haben, auch wenn man auf die in aller Regel nicht würfeln wird.
Die freie Zuweisung von Eigenschaften war überhaupt kein Problem, die Spieler waren unterschiedlich bescheiden, aber das entspricht auch ihrem Spielstil und ihrem Geltungsbedürfnis im Spiel. Eine Spielerin nahm freiwillig in "Glück" nur einen W20, obwohl ich ihr sagte, dass dann wahrscheinlich die unangenehmen Dinge meistens ihr passieren würden. Ein anderer wollte einen ausgesprochenen Glückspilz spielen, der auch sonst in allen möglichen Dingen bestens ausgebildet und zudem steinreich war. Im Sinne von Punktwerten waren die Charaktere sicher unausgewogen, aber die Spielharmonie stimmte, und darauf kommt es ja an.
Das System im Spiel
Wir haben nach unserer ausschweifenden Weihnachtsfeier nicht mehr übermäßig lange gespielt, und im Verlaufe des Spiels wurde recht wenig gewürfelt. Das System ist einfach und reibungslos. Wir hatten auch einen kurzen und knackigen Kampf, in dem sich zeigte, dass die Abwesenheit von Runden und stadardisierten Angriffen und Verteidigungen tatsächlich den Einfallsreichtum und die Beschreibungen der Spieler fördert.
Was mir schon vorher ein bisschen Bauchschmerzen gemacht hatte, war das Verwundungssystem, da dieses doch sehr vage ist und im Endeffekt auf der absoluten SL-Willkür beruht, ohne mir als SL auch nur ein paar Richtlinien zu geben. Eine SC wurde angeschossen, und ich habe ihre Gesundheit dann einfach um eine Stufe reduziert und beschrieben, dass der Schuss sie an der Hüfte gestreift hat. Ebensogut hätte ich einen glatten Durchschuss daraus machen können und ihre zwei Level abziehen plus evtl. noch einen Wurf, ob sie einen dritten Level verliert (und damit in Lebensgefahr schwebt). Das war ganz allein meine Entscheidung, ich konnte mich höchstens ein bisschen an der Differenz der Würfe orientieren. An dieser Stelle hätte ich gern ein bisschen mehr Hilfestellung durch das System gehabt.
Ansonsten muss ich sagen, dass die Einfachheit der Task Resolution uns gut gefallen hat. Gerade im Kampf. Der Kampf hat verhältnismäßig wenig Zeit in Anspruch genommen (derselbe Kampf mit DSA4 hätte mindestens viermal so lange gedauert), und trotzdem (oder gerade deswegen) wurde viel beschrieben, und man konnte sich die Szene sehr plastisch vorstellen. Es war auch spannend, da eben doch genug gewürfelt wurde, dass der Ausgang wirklich offen war. Unsere verwundete SC schaffte es nicht mehr, aus dem Weg der durchgehenden Pferde zu kommen, und wenn sie nicht ihren Glückswurf geschafft und so von den Hufen verfehlt worden wäre, hätte es ganz schön übel um sie gestanden.
Fazit
(Viel) mehr System braucht kein Mensch. Jedenfalls keiner, der von selbst für ausgewogene Charaktere und ein stimmiges Spiel sorgt, und der seinem SL vertraut. Wer allerdings Mitspieler in der Runde hat, auf die eine der vorgenannten Aussagen nicht zutrifft, könnte aufgrund der Freiheit des Systems Probleme bekommen.