Es begann an einem scheinbar langweiligen Samstag vor ein paar Wochen, als mein Kumpel und ich auf dem Weg zum Pub versehentlich in einem Rollenspielladen landeten. Es könnte aber auch ein Mitwoch gewesen sein, hinterher weiß man das nie so genau. Jedenfalls standen wir da vor dem Regal, und es blickte uns verlockend in seiner prachtvollen roten Ausmachung entgegen. Nicht was Sie denken, das Regal, sondern das Earthdawn-Regelwerk. Irgendwie hatte es sich beim Hinausgehen in meinem Rucksack verirrt, und ich stand um ein paar Euro ärmer da. Heute bin ich dafür um einige Erfahrungen reicher.
Wir bearbeiteten das Regelwerk mit allen uns zur Verfügung stehenden Methoden und hatten nicht einmal Hemmungen, im
nachzufragen, wenn uns die ein oder andere Antwort nicht ganz sauber erschien. Man kann nie wissen, was so Dinger ausspucken. Trotzdem kam es, wie es kommen musste: wir sprangen ins kalte Wasser. Man kann sich nicht waschen, ohne nass zu werden.
Bei einem ersten Testlauf übernahm mein Kumpel die Rollen von drei Adepten, während ich
Misguided Ambitions leitete. Alles schien ganz normal zu laufen. Mein Kumpel kannte natürlich den ein- oder anderen Trick aus seiner Vergangenheit, schließlich stand er ja schon mit einem Fuß halb in Barsaive. Es war sein verdammte Geisterbeschwörer, der alles durchschaute und meine Kadaver eiskalt abservierte. Wann werden diese Kultisten endlich lernen, dass Untote allein nur kleine Fische sind?
Nachdem wir den Coup also nach Plan durchgezogen hatten, glaubte ich mich vorbereitet eine zweite, härtere Runde mit fast der kompletten Bande. Um kein Risiko einzugehen, nahm ich mir wieder Misguided Ambitions vor. Wechsle nie das Siegerpferd im letzten Rennen, sagte schon mein Vater immer. Damit keine Klagen aufkamen, plüschte ich die Geschichte ein wenig auf. Es steckte natürlich ein Plan dahinter. Es steckt immer ein Plan dahinter.
Diesmal gehörte der Geisterbeschwörer in meinem Team früher zum Ältestenrat des Kaers und kannte die ganzen Piraten und Echsen und Schützen schon aus der Kindheit. Er hatte nur ihr Bestes im Sinn, wollte sie wieder ins sichere Kaer zurücktreiben und die Tür dichtmachen. Aber das half ihm auch nichts, er endete wieder als kalte Leiche zum Dessert, hübsch dekoriert mit einem Speer in der Brust.
Der Plan lief wie am Schnürchen, und ich musste nur noch die Angel einziehen, dachte ich. Also fingen wir zu dritt an: ein Obsidiankrieger, ein Windmeister und wieder ein verdammter Geisterbeschwörer. Es sind immer die Geisterbeschwörer, die man im Auge behalten muss. Ich war natürlich der Typ, der die ganzen Fäden in der Hand hielt. Die meisten können schließlich sowieso noch nicht weben und treten wahrscheinlich ab, bevor sie die Grundkniffe gelernt haben. Man kennt das ja, es stehen einige von den harten Kerlen mit schwerem Schuhwerk am Grund des Schlangenflusses.
Diesmal sollte die
Reise nach Lang gehen. Sollen sehr gefährlich sein, diese Reiserouten entlang des Schlingenflusses. Am Anfang wirkte das ganze noch recht friedlich. Käptn Deadwood riskierte auf dem Kahn der V`Strimon zwar die große Klappe für seine 45 Zentimeter, aber dafür blieb der Stein seelenruhig und der passionslose Elf jagdte den Matrosen nicht zu viele Schauer über die Echsenrücken. Sie wurden also in Darranis abgesetzt, ohne bereits verfrüht ins Gras beißen zu müssen.
Gras war dann auch so ziemlich das erste, was sie um sich herum sahen. Kein Wunder, bei der Sumpflandschaft. Sie stellten sich also auf einen fröhlichen Schülerausflug ein, aber es kam, was kommen musste. Es kommt immer alles anders, als man denkt, sagte schon mein Vater. Und diesmal war nicht ich derjenige, der überrascht aus der Wäsche guckte, als sie die Toten fanden.
Tote? Ja, ich rede von Toten. Kalten, steifen, im Moor versickernden Toten, ganz genau. Und wieder ging die Runde an den Geisterbeschwörer mit seinem unheimlichen Hokuspokus. Er konnte die letzten Augenblicke eines der Dahingegangenen nochmal mit eigenen Augen sehen und das kitzeln von Elektrizität am eigenen Leib verspüren. Soweit, so gut, immerhin klappte das halbe Hemd in seiner bestickten Robe nicht zusammen. In unglaublicher Gedankenakrobatik folgerten Holmes, Watson und Inspector Lestrade anhand der verschlossenen Kiste mit klimperndem Inhalt, dass vor ihnen die Leichen der vermissten Kuriere lagen, die wohl nicht alle drei in einem Gewitter von uns gingen. Die Jungs ahnten nun, dass irgendetwas mit Blitzen in den Augen auf sie lauerte.
Der schöne Klassenausflug war aber noch längst nicht zuende, und auch die nächsten Toten ließen nicht lange auf sich warten. Man könnte denken, seit der verdammten Plage hätte man nicht so viele Leichen auf einem Haufen gesehen. Diesmal rotteten die leblosen Kerlchen aber nicht alleine und unbetrauert vor sich hin, sondern boten zwei halbstarken Donnerechesen ein nettes Abendbrot. Zeit für unsern Krieger und den Käptn, mal richtig in Aktion zu treten, während seine Elfischkeit hinten blieb und ein paar Fädchen sponn wie es Rumpelstilzchen nicht besser gekonnt hätte. Mich erwischte das auf dem falschen Fuß, und ich sah meine kleinen Schuppenviecher in ein paar Sekunden wohlfeil entgrätet und filetiert auf dem Sumpfboden liegen, und das, obwohl sie Knochen haben.
Aber der eigentliche Schock stand für mich noch aus. Damals ahnte ich es nicht, heute bin ich ein wenig weiser geworden...
to be continued - stay tuned
Falls der falsche Eindruck entstanden sein sollte, die Gruppe oder ich hätten an Earthdawn keinen Spaß gehabt: das ist keineswegs der Fall, wir waren begeistert. Ich war nur verblüfft, was so drei Adepten alles aushalten und vor allem austeilen können, aber das kommt erst noch. Das Spiel am Wochenede hat uns jedenfalls allen Spaß gemacht, und wir werden Earthdawn weiterspielen.
Thema: [Earthdawn] SPIELLEITER - am Rande des Nervenzusammenbruchs... (Gelesen 1967 mal)
