Ich weiss leider nicht, was Du genau unter einer reinen Atmosphäre-Szene verstehst. Ich versuche trotzdem mal ein Beispiel zu bringen für den Einsatz von Mechaniken auf solche Szenen:
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Beispiel
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Welche Auswirkung hat das auf Atmosphäre-Szenen? Sie machen Atmosphäre-Szenen zu Szenen, die ganz entscheidenden Einfluss auf den weiteren Verlauf eines Abenteuers hat. Ich würde sogar so weit gehen, dass sie dann die Rolle spielen, die bei Deiner Betrachtungsweise die Kampf- oder die Abenteuerszenen haben.
Hmm, das Problem ist, nach meinem Verständnis sind alle Szenen, die Einfluss auf den Abenteuerverlauf oder das Abenteuerende haben, keine (reinen) Atmosphäreszenen. (Abenteuer mal grob als Folge thematisch verbundener Szenen verstanden.) Das wollte ich anhand des Kampfbeispiels verdeutlichen, weil Kämpfe in den seltensten Fällen keine Bedeutung für Verlauf und Ergebnis haben (den Spezielfall des Illusionismus/Partizipationismus/RR mal ausgenommen, da ist ja letzten Endes alles Atmo).
Kurz gesagt: Atmosphäreszenen werden (in meiner Wahrnehmung/Terminologie) durch die Abwesenheit von Auswirkungen
definiert. Die Abwesenheit von Auswirkungen macht für mich die Anwendung von Regelmechaniken irrelevant: wofür würfeln (oder sonstwie das Regelbuch bemühen), wenn es keine Konsequenzen hat?
Ein typisches Beispiel wäre für mich das sogenannte "Tavernenrollenspiel": Die Charaktere trinken Bier, unterhalten sich mit Tavernengästen, spielen Dart/Billard usw., aber nichts davon hat Auswirkungen darauf, was im Abenteuer passiert. Alles dient dazu, den Spielern die Spielwelt vor Augen zu führen oder in ihren Charakteren zu versinken. Genauso Reiseszenen, bei denen die Natur der Spielwelt gezeigt wird usw. All das hat keine Auswirkungen in späteren Szenen.
Sobald eine Szene Folgen für Verlauf oder Ergebnis hat, ist sie keine reine Atmosphäre mehr, kann aber Atmosphäreelemente enthalten. Wenn ein Spieler seinen Charakter mit Konsequenzen in eine schwierige Situation bringt, die Folgen für den Charakter, die Gruppe oder das Abenteuer haben könnte, ist die Atmosphäre zweitrangig, die Konsequenzen sind erstrangig.
Am Beispiel der Nachteile: Ein Charakter, z.B. der Heiler der Gruppe, hat den Nachteil "Alkoholiker auf Entzug" (z.B. als Fate-Aspekt). In einer Tavernenszene bestellen alle SCs Bier, nur der Alkoholiker auf Entzug bestellt Tee. Am Spieltisch kommt es zu einem "in Character"-Gespräch um die Alkoholprobleme des SC - schöne Atmosphäreszene, ohne Konsequenzen für den Abenteuerverlauf. Genauso, wenn der SC ein Bier (oder eher Härteres) bestellt und die Gruppe es ihm ausreden will. Bei sowas würde ich noch keine Regeln anwenden wollen.
In einer späteren Szene werden die SCs mit einer Situation konfrontiert, deren Verlauf/Ausgang für den Verlauf bzw. Ausgang des Abenteuers Konsequenzen hat. Beispielsweise geraten sie in ein Feuergefecht, bei dem ein wichtiger Informant angeschossen wird. Der Heiler kümmert sich um diesen verletzten Informanten und auf einmal steht die Frage im Raum, ob er sich mithilfe einer herumliegenden Schnapsflasche nicht ein wenig Mut vor der Behandlung der blutenden Wunde antrinken will - hier hat der Nachteil ganz klar eine Konsequenz fürs Abenteuer.
Der Unterschied ist, glaube ich, relativ deutlich. Interessant werden dann Szenen, die z.B. von "atmosphärisch" zu "relevant" umkippen. Nehmen wir mal wieder das anfängliche Tavernenrollenspiel, bei dem ganz plötzlich, innovativ und ungewohnt ein älterer Herr mit Rauschebart und spitzem Hut auftaucht, der kompetente Abenteurer für eine kleine Mission sucht. Auf einmal wird es vielleicht interessant, ob der Charakter Symptome seiner Sucht zeigt, oder durch Alkoholeinfluss beeinträchtigt ist. In diesem Fall ist die Abenteuerrelevanz der Szene gewissermaßen von "außen" (SL-Initiative) herangetragen worden.
Umgekehrt kann natürlich die Abenteuerrelevanz durch Spielerinitiative in die Szene eingebracht werden: Die Gruppe spielt einen Streit um die Alkoholabhängigkeit ihres Heilers aus, der in eine Kneipenschlägerei bis zum Eintreffen der Stadtwache mündet (oder der Charakter trinkt und beleidigt volltrunken andere Gäste, oder ein Charakter setzt Sozialfähigkeiten/Magie ein, um den Heiler am Trinken zu hindern usw.). Damit sind natürlich Fakten in die Spielwelt gesetzt, die einen dauerhaften Einfluss haben (SCs kriegen Kneipenverbot, werden in die Ausnüchterungszelle oder aus der Stadt geworfen, geben sich als Magieanwender zu erkennen usw.).
Das Problematische an den Auswirkungen von Regelmechaniken auf das Spielverhalten sehe ich darin, dass diese Regelmechaniken für SIMler oder NAR-Spieler gewissermaßen
redundant sind. Ein "gamistischer" Spieler, der mit Gummipunkten (oder XP) belohnt wird, wenn er die Nachteile seines Chrakters ins Spiel einbringt, kann so gewissermaßen dazu ermuntert werden, diese Schwächen ins Spiel zu bringen, die er sonst - da bin ich ganz deiner Meinung - versucht hätte, aus dem Spiel herauszuhalten. Aber ein SIMler, ein NAR, die wollen doch von sich aus das Spielen, was mit den Gummipunkten schmackhaft gemacht werden soll.
Ich sehe ein, dass solche Mechanismen ein Instrument sind, um den SL zu ermuntern, nicht nur auf sein Abenteuer/seine Spielwelt + die Regeln für geplante Szenen zu achten, sondern auch als Flaggen dafür dienen können, was der SL anbringen soll und was die Charaktere wollen. Wäre eine tolle Leistung (ohne Ironie, ich habe SLs erlebt, die keinen Meter darauf geachtet haben, was Spieler mit ihren SCs wollen, sondern nur ihr SL-Abenteuer durchgedrückt haben), aber werden da diese Mechanismen nicht überbewertet?