Angeregt durch die neuste GNS-Diskussion möchte ich hier endlich mal mein Verständnis des GNS-Komplexes zur Diskussion stellen, da ich das Thema nach wie vor für interessant und auch irgendwie für wichtig halte, obwohl es seit Jahren nicht weiter kommt. Über die Jahre haben sich meine Ideen wahrscheinlich etwas von den offiziellen edwardschen Definitionen entfernt, ich denke aber sie betreffen immer noch das gleiche Thema, nämlich Creative Agenda. Eventuell hilft mein Verständnis ja anderen mit ähnlichen Problemen bei den ursprünglichen Begriffen.
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Crative Agenda beschreibt nach der alten Forge-Definition ästhetische Prioritäten und Interessen bezüglich der fiktionalen Inhalte, die in der Spielgruppe gegenseitig bestätigt und verstärkt werden. Den ersten Teil der Definition finde ich schon recht problematisch, weil zu abstrakt. Es hat sich das Mantra "GNS hat nichts mit Techniken zu tun" eingebürgert, daher wird eine CA oft als "Ziel" interpretiert. Das hat nicht besonders geholfen.
Techniken sind schließlich alle Methoden die dazu dienen fiktionale Inhalte zu erschaffen. Womit sollte GNS zu tun haben wenn nicht auch damit?
Deshalb behaupte ich, es ist sinnvoller eine CA als Bündel von möglichen Techniken, als Arten von Techniken, zu sehen. Warum eigentlich nicht?
Man kann vielleicht zu schärferen Abgrenzung sagen, dass CAs meist nicht durch Regeln direkt bestimmt werden, sondern eher durch das was die Spieler daraus machen. Es gibt also höchstwahrscheinlich auch keine 1 zu 1 Abbildung von CAs auf konkrete Techniken (sowas wie Immersion ist SIM, Tabellen sind GAM, oder für NAR braucht man R-Maps).
Der zentrale Punkt einer CA ist für mich folgende Frage: Welche gemeinsamen Grundlagen nutzen die Spieler, um sich auf die Bedeutung der von ihnen geschaffen Fiktion zu einigen?
Das geht über ästhetische Präferenzen (für Sci-Fi oder Vampire oder Poolsysteme) weit hinaus und ist deutlich spezifischer. Diese Frage betrifft das ganz zentrale Element des Spiels, nämlich wie einfache Fiktion für die Spieler zu (Spiel-)Realität mit Bedeutung werden kann. Zu einer CA gehören demnach implizite und explizite Vereinbarungen über Ausgangspunkte und Methoden genauso wie die Prozesse die dazu führen daraus neue Bedeutungen der Fiktion zu entwickeln. CA kann man als den Zweck sehen den Techniken (die Mittel) haben können.
Einigen kann man sich nur wirklich wenn die gemeinsamen Grundlagen dazu ausreichen und alle Spieler ein ähnliches Interesse daran haben. Wenn dabei alles funktioniert ist das Spiel kohärent, ansonsten inkohärent*. Kohärentes Spiel hat immer eine CA, die man in eine der drei Bereiche einordnen kann.
*Dazu vielleicht später noch ein paar Gedanken
Da kommt natürlich sofort die Frage auf: Warum drei CAs? Warum ausgerechnet diese drei? Gute Fragen auf die ich nicht wirklich gute Antworten habe. Ich nehme an, dass die drei CAs so eine Art minimale Komplexität der Beschreibung sind, mit der man Rollenspiel als ganzes fassen kann.
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Vor einiger Zeit habe ich mal versucht mir für GNS eine zugrunde liegende Systematik zu überlegen. Was haben einzelne CAs gemeinsam? Was trennt sie? Gibt es zugrunde liegende Dimensionen? Wenn ja was sind die anderen (interessanten) Punkte in diesem Raum? Sowas ähnliches hat sicher jeder schon mal versucht der sich damit beschäftigt hat.
Folgendes ist dabei bis heute raus gekommen:
Je zwei CAs liegen auf entfernten Punkten einer Achse, das ist die Gemeinsamkeit die sie haben. Orthogonal zu so einer Achse, also unabhängig davon, verläuft eine weitere, innere Achse, auf der die andere der drei CAs liegt. Das ganze ergibt das bekannte Dreieck. Die äußeren Achsen müssen solche Grundlagen und Methoden sein, die einerseits in jedem Rollenspiel vorkommen können, andererseits in mindesten zwei von drei CAs eine wesentliche Rolle spielen und quasi das Gegenteil der jeweils dritten CA bezeichnen. Vielleicht sollte ich mal ein Bild machen, habe gerade keins in digitaler Form.
Nebenbei: Ich sage nicht dass man sich als Spielgruppe oder gar als Spieler irgendwo an einem beliebigen Punkt in diesem aufgespannten Raum (oder auf dem Dreieck) wiederfinden kann, oder dass eine Angabe wie 10% GAM, 30% NAR und 60% SIM sinnvoll wäre. Erstmal sind nur bestimmte Punkte von Bedeutung um sich Konzepte zu verdeutlichen.
Die drei inneren Achsen zu identifizieren, die jeweils eine CA mit der gegenüber liegenden orthogonalen Achse verbinden, ist die eigentliche Neuerung. Ich habe die drei Kategorien, die in jedem Rollenspiel in irgend einer Form vorkommen können, Modellierung, Konflikt und Darstellung genannt. CAs unterscheiden sich nun darin ob der jeweilige Aspekt des Rollenspiels gemeinsamer Ausgangspunkt des Spiels ist, oder ob es gerade darum geht diesen Aspekt offen zu halten und im Spiel zu entwickeln (Creative Void).
Modellierung ist das Beschreiben eines Verhaltens in Regeln und die Abbildung eines Sachverhaltes auf das Modell. Im Rollenspiel wird fiktionalen Inhalten ein Modell zugeordnet (z.B. ein Spielwert) das bestimmt wie es weiter geht, welche Möglichkeiten sich ergeben.
Die CAs GAM und SIM setzen ein Modell voraus auf das man sich einigen muss, während dieser Aspekt bei NAR gerade die Aussage ausmacht, die jeder Spieler im Spiel selbst treffen darf. Wie die Welt funktioniert ist bei NAR gerade offen, die Spieler machen eigene Aussagen darüber im Spiel, durch ihr Spiel und während des Spiels und müssen darin frei sein.
Konflikt umschreibt wie die Spieler ihre unterschiedlichen Ansichten von den Möglichkeiten der Fiktion integrieren. Führen die Spieler absichtlich problematische, widersprüchliche Situationen herbei die nur durch äußere Entscheidung aufgelöst werden können, oder versuchen die Spieler gleich untereinander auf eine Synthese von Ansichten hinzuarbeiten?
Letzteres ist typisch für SIM-Spiel. Die Spieler dürfen sich dabei letztlich nicht wirklich uneins in Bezug auf die Fiktion sein. Es gibt keinen Mechanismus der einem Spieler "Recht" geben kann, zumindest nicht als Teil des Spiels selbst. Bei NAR und GAM hingegen geht es darum im Konflikt der unterschiedlichen Interpretationen der Fiktion seine eigene oder die interessanteste durchzusetzen.
Darstellung bezeichnet die Gewichtung der Fiktion und welche davon man wie erleben möchte. Was ist interessant und was ist uninteressant? Was bedeutet die Fiktion für den "Zuschauer"?
Im GAM spielt das keine Rolle. Es zählt nicht Darstellung sondern Leistung. Etwas anderes darzustellen ist immer weniger relevant. Bei SIM oder NAR hingegen müssen die Spieler selber wählen was sie wie darstellen. Die Qualität die sie hervorheben ist Teil ihres Spiels.
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NAR liegt damit am Schnittpunkt von Konflikt und Darstellung. Es geht darum Konflikte zu erzeugen und zu bewerten. So entsteht eine Aussage. Das schließt eine feststehende Modellierung meist aus.
GAM liegt am Schnittpunkt von Konflikt und Modellierung. Es geht darum Konflikte zu bewältigen, deshalb muss es eine möglichst objektive Grundlage dafür geben (das Modell). Die Darstellung muss sich dem unterordnen. Was im Spiel wichtig und unwichtig ist steht schon fest.
SIM liegt am Schnittpunkt von Modellierung und Darstellung. Einfach nur ein Modell nachzuspielen reicht nicht aus. Es muss dargestellt und bewertet werden. Wie fühlt es sich an? Was daran ist interessant und warum? Das ist aber nicht im Konflikt der Spieler möglich. Man muss sich einig sein was Spieler mit der Fiktion tun dürfen.
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So das war mein Versuch. Später vielleicht mehr. Jetzt aber erst mal Kommentare.