Ich habe das Spiel gestern tatsächlich mit Freunden ausprobiert und teile einfach mal meine Eindrücke mit euch, falls sich noch jemand dafür interessiert.
Worum ging’s? „Der Mond schlüpft und irgendetwas Schreckliches kommt heraus“ war die Krise, der sich unser Team stellen wollte. Das Team bestand aus einem leicht wahnsinnigen Anthropologen mit Nazi-Vergangenheit, einem Playboy-Neurochirurgen, einem vaterlandstreuen US-Soldaten mit geheimem Tötungsbefehl und einer steinreichen und selbstüberschätzenden Bastlerin, die auf ihrem fancy Raumschiff zum Mond fliegen und das, was aus dem Mond schlüpft, „um jeden Preis aufhalten wollten“.
Wir haben nur den ersten Akt bespielt, weil’s danach sehr spät wurde, ich kann also nichts über den zweiten berichten.
The good: Das Festlegen und Definieren des Playsets und die Charaktererstellung haben, auch wenn sie zusammen mit dem Erklären der Regeln relativ lang gedauert haebn (insgesamt ca. 1,5 Stunden), richtigen Spaß und Lust aufs anschließende Spiel gemacht. Man legt vor dem Spiel für jeden Charakter fest, welcher andere SC gut für ihn ist (Sane-Karte), welcher einen in den Wahnsinn treibt (Crazy-Karte), welches Geheimnis ein Charakter hat und wovor er Angst hat. Außerdem definiert man noch zwei Touchstones: Etwas, das der Charakter auf diese Mission mitgenommen hat, und etwas, das der Charakter zurück gelassen hat. Dadurch hatte ich ziemlich schnell ein recht detailliertes Bild von meinem Charakter; deutlich detaillierter, als das bei andren Indies oft der Fall ist. Grade auch das relativ arbiträre Festlegen von Sympathien/Antipathien fand ich ziemlich cool, um eine wirkliche Gruppendynamik in das Spiel zu bringen – spannend auch, wenn zwischen zwei SCs sowohl Sane- oder als auch Crazy-Karten liegen.
Diese Karten muss man dann im Spiel gezielt anspielen, um sich Storypunkte zu verdienen, die man später nutzen kann, um Bedrohungen abzuwenden. Die Mechanik gefällt mir sehr gut (auch wenn ich ihre Bedeutsamkeit beim Regelerklären nicht genug betont habe), weil sie in jeder Szene einen Anker für mögliche Szenen bietet, wenn der Spieler keine eigene gute Idee hat. Bei Fiasco erlebe ich es oft, dass gelegentlich Ideenlosigkeit herrscht, was für eine Szene man jetzt so framen könnte; hier war das durch Anreize durch das Ausspielen der zuvor festgelegten Storykarten nie der Fall; für mich persönlich war es eher so, dass ich zu viele Ideen hatte, um sie auch nur ansatzweise irgendwie umzusetzen.
Das Abwenden der Bedrohungen ist dann ziemlich crunchig, hat aber auch Spaß gemacht und zu relativ cineastischen Actionszenen geführt. Die Bedenken des Autors, dass hierbei das Rollenspiel untergehen könnte, kann ich nicht bestätigen; bei uns ist eher die Bedrohungsbewältigung durchs Würfeln vor dem actiongeladenen Rollenspiel etwas untergegangen. Insgesamt hat mir die Mechanik, dass man pro Szene mehrere Teilschritte einer Bedrohung nacheinander löst und dazu unterschiedliche Hilfsmittel eingesetzt werden müssen, ganz gut gefallen, weil es sehr zum plastischen Erzählen beigetragen hat. Die vom Spiel vorgeschlagene Mechanik funktioniert hier deutlich besser als die Mechanik bei Perfect, Unrevised, die ja das gleiche Ziel verfolgt, aber mMn viel stärker vom guten Willen der Mitspieler abhängig ist.
The bad: Mir erscheint das Pacing etwas vermurkst. Das Buch gibt zwar Anleitungen, wie man die Spielgeschwindigkeit den individuellen Bedürfnissen anpassen kann, aber irgendwie scheint man erst ein paar Runden gespielt haben zu müssen, um ein gutes Gefühl dafür zu bekommen. Es gibt so viele Dinge, die man anspielen will, ohne Zeit dafür zu haben. Es fehlt eine klare dramatische Struktur, physische Bedrohung folgt auf charakterzentrierte Szene folgt auf physische Bedrohung folgt auf charakterzentrierte Szene, ohne dass das System einen Spannungsbogen aufzeigt. Dies hing bei uns sicher auch mit den Pacing-Problemen zusammen, weil wir nach einer Runde auch schon mit dem ersten Akt fertig waren, d.h. dass bei einer Szene pro Spieler relativ wenig Spiel für Charakterentwicklung/dramatische Struktur blieb.
Die Bedrohungen waren auch irgendwie arbiträr (Computervirus im Raumschiff, pestbeulenverursachender Glibber im Raumschiff, Leck führt zu Sauerstoffverlust, fieses Alien erscheint) – vielleicht könnte man hier versuchen, stattdessen einen oder zwei Antagonisten der Gruppe zu definieren, die für diese Bedrohungen verantwortlich sind, um die Geschichte kohärenter zu machen.
Da die Charakterszenen immer durch Bedrohungen unterbrochen werden, die der Spieler zur Rechten des aktiven Spielers auswählt und irgendwann einwirft, sind wir oft aus dem Szenenspiel rausgeworfen wurden. Irgendwie war oft nicht klar, was das Ziel der Szene des aktiven Charakters ist, sodass wir die Bedrohungen oft viel zu früh eingeworfen haben (3-4 Minuten Spotlight, 10-15 Minuten Bedrohung). Dadurch haben wir fast gar keine Storypunkte durch das Ausspielen unserer vordefinierten Storykarten erlangen können und sind von einer Bedrohung zu nächsten gehetzt. Das ist ganz klar kein Problem des Systems (hoffe ich), sondern unsres gewesen, hat uns aber letztlich viel Spielspaß genommen.
The ugly: Ähnlich wie bei Dread, wenn auch ganz anders, unterstützt die mechanisch-visuelle Komponente des Spiels die Spannung ungemein – wenn man die Zahl der fiesen schwarzen Würfel der Bedrohung mit den wenigen Storypunkten vergleicht, die man noch hat, um sich der Bedrohung zu stellen, wird einem schnell flau im Magen. Trotzdem sind es grade die mechanischen Aspekte, die das Spiel sehr komplex machen, ohne dadurch viel zusätzliche Tiefe zu schaffen. Als ich gestern abend darüber nachgedacht habe, mit welchem andren Rollenspiel ich das so vergleichen würde, ist mir nur das Brettspiel Twilight Empire eingefallen, bei dem es auch 32487347832 Blips gibt, die alles verkomplizieren, ohne dadurch interessante Spielaspekte und Tiefe zu schaffen. Ein bisschen ging es mir hier auch so mit Touchstones, Abilities, Assets, Storydice, Eventpool, Plan-Pool. Ich sehe den Nutzen im Spiel (z.B. bei der coolen Charaktererschaffung), aber irgendwie hätte mir eine einheitliche, elegantere Lösung besser gefallen, zumal das Spiel dann sicherlich einfacher zu erklären und vermitteln wäre. Es kam mir irgendwie ein bisschen vor wie das DSA unter den Indies, die ich so kenne; ein bisschen mehr Savage Worlds hätte da gut getan. : )
Fazit: Ich hatte echt viel Spaß mit dieser Runde und bis auf die für mich zu schnelle Unterbrechung der Spotlight-Szenen und die dadurch resultierende geringe Fokussierung auf Charakterdrama lieft das Spiel so ab, wie ich es mir vorgestellt habe. Eigentlich sogar besser, weil ich angesichts der Komplexität der Regeln beim Lesen teilweise Bauchweh hatte, und dann froh war, dass sie scheinbar doch verständlich waren und dann auch relativ schnell umgesetzt werden konnten (und meine Mitspieler scheinbar schnelle Regellerner sind : )). Ich werde das Spiel sicher noch mal ausprobieren, es bietet für mich mit unterschiedlichen Playsets große Variationsmöglichkeiten, und gerade mit der größeren Erfahrung weiß ich jetzt auch, was ich beim nächsten Erklären stärker betonen muss.
Für mich bietet das Spiel sehr viel Potenzial für Charakterdrama und für die Auseinandersetzung mit der Frage, was man bereit ist aufzugeben und wie sich wirklich große Opfer tatsächlich anfühlen. Ich mag den Soap-Charakter der Spotlight-Szenen. Ich habe auch einen sehr hohen Grad an Immersion erlebt. Aber ich glaube auch, dass ich tatsächlich die einzige war, die an dem Abend richtig großen Spaß an dem Spiel hatte, während anderen Spielern das Worldbuilding zu wenig konkret/ausführlich war (hier wurde Shock als bessere Referenz heran gezogen) oder das Heraufbeschwören dramatischer Szenen aus dem Nichts als Spotlight als schwierig beschrieben wurde. Meine Mitspieler hatten alle nur wenig Indie-Erfahrung und v.a. mit leichtgängigen-absurden und emotional nicht intensiven Indies wie Fiasco, Inspectres, Shock, kannten aber kein Polaris, Grey Ranks oder Montsegur. Ich glaube, dass es schon ein bisschen Erfahrung mit interaktivem Geschichtenerzählen braucht, um aus dem System wirklich das heraus zu kitzeln, was man davon erwartet, und dass es sich nicht für total Indie-Anfänger eignet. Andererseits glaube ich auch, dass es mit Spielern, die viel Wert auf Soap, Drama und Charakterkonflikte legen, ein emotional sehr belohnendes Erlebnis sein kann, wenn alle einmal die Regeln verstanden haben und sich wirklich auf das Spiel einlassen können. Man muss sich aber, glaube ich, klar machen, dass es nicht einfach so flowt, wie das Fiasco oft tut, sondern ein bisschen mehr Investition seitens der Spieler benötigt, um wirklich gut zu werden.