Spielzusammenfassungen aus Spielleiter-Sicht zu schreiben fällt mir ja immer etwas schwer. Das hat zu einem guten Teil damit zu tun, dass ich ein eher spontaner SL bin: Das konkrete Abenteuer entsteht häufig immer erst am Spieltisch. Natürlich mache ich mir dabei auch Notizen, aber das sind dann mehr so Gedankenstützen, damit ich den gleichen NSC nicht mit fünf verschiedenen Namen versehe.
Gestern habe ich für vier Spieler Leverage geleitet, ein selbst kreiertes Szenario, den Nest Egg Job (ist ja schließlich Ostern). Um es den drei anwesenden Leverage-Neulingen nicht zu schwer zu machen, hatte ich neben dem Abenteuer auch Charaktere vorbereitet. Es handelt sich um die Crew, die vor 40+ Jahren eine Bank ausgeraubt hat:
- Steve "The Hitter" Hackman: Ein Ex-Wrestler mit Witz, der jetzt als Bodybuilding-Trainer arbeitet, verheiratet ist und zwei Kinder hat.
- Peter "The Apprentice" Folsom: Schon damals fast ein Mastermind, heute genau das. Er plant noch immer große Coups.
- Paul "The Thief" Meredith: Kennt sich mit Technik aus und überwindet jede Alarmanlage. Heute geniesst er den Lebensabend mit Golf.
- John "The Hacker" Crunch: ehem. Soldat der Telefone hackt. Zahlt immer noch die Tagessätze für den Verkehrskamera Hack von vor 15 Jahren ab.
- Alex "The Grifter" Foley: Früher ein Charmeur der alten Schule mit jugendlichem Aussehen, heute Heiratsschwindler in Monaco.
- Marcus "Mastermind" Jameson: die Vaterfigur, die alle zusammenhielt, und jetzt der Klient.
Marcus Jameson wurde nämlich augenscheinlich übers Ohr gehauen: Ein gieriger Investment Banker hat ihm eine faule Orangenplantage auf Zypern angedreht, die sich mittlerweile als total wertlos entpuppt hat. Es ist also persönlich, Marcus Ehre muss wiederhergestellt werden, vom finanziellen Schaden mal ganz abgesehen.
Marcus Frau Gemma kontaktiert also Peter Folsom um ihn und seine Crew um Hilfe zu bitten...
Für die Einleitung und die Charaktere hatte ich
eine kleine Präsentation vorbereitet (und da mein Wohnzimmer zu klein, mein Arbeitsgeber aber gleichzeitig sehr entspannt ist, konnte ich auf den Konferenzraum mit Beamer etc. zurückgreifen...). Zu meinem Glück waren alle Spieler sehr von den Charaktervorschlägen angetan, und fühlten sich durch die gelieferten Bilder sofort eingestimmt. So motiviert ging es direkt ans Werk: Das Ziel wollte ausgekundschaftet werden.
An dieser Stelle fand ich persönlich es etwas schade, dass der einzige Leverage-erfahrene Spieler den Thief/Hacker abbekkommen hatte. Den hat er zwar sehr schön und mit Begeisterung gespielt, aber der Spieler ist selbst Programmierer und hat sich so deutlich mehr auf den Computer-Hacker-Aspekt des Charakters gestürzt, und das auch als Haupt-Problemlösungsquelle genutzt. Hätte ich hier nicht behutsam gebremst, wäre das Abenteuer wohl sehr viel virtueller verlaufen.
Zum Glück haben die anderen Spieler fast sofort begriffen, wie einfach man neue NSCs einführen kann, und links und rechts Kontakte und sonstige Personen hinzuerzählt. Dass dann bei der Kontaktaufnahme mit der jungen Frau des alten Lords permanent Komplikationen erwürfelt wurden kam mir dann sehr zurecht: Lady Judith Bale entpuppte sich also nicht als leicht beeindruckbare Gespielin aus welcher der Grifter Informationen ziehen konnte, sondern vielmehr als direkte Konkurrenz der Crew und am Ende sogar als Drahtzieherin der ganzen Angelegenheit!
So streuten die Spieler fleißig Falschinformationen über den seltenen Winselpieper (ein vom Aussterben bedrohter Vogel, wegen dem die EU wohl der geplanten Hotelanlage viel zu teure Umweltauflagen machen würde). Kurz darauf wurde auch die komplette Fabergé-Sammlung des Ziels geklaut (ohne dass dieser es merken würde, traut er sich doch wegen seiner Platzangst nur selten in seinen Tresorkeller), mit dem Ziel, ihm einen Versicherungsbetrug anzuhängen.
Gleichzeitig machte sich aber auch Unbehagen breit, konnte man dem Ziel doch nicht eine konkrete moralische Verfehlung nachweisen. Gut, er war ein reicher Investmentbanker, aber seiner Frau treu, zu seinen Angestellten freundlich, kein Schwarzgeld, nichts! Erst ein nachfragender Anruf beim Klienten ließ den Groschen fallen: Nicht der Banker Norbert Sorensen, sondern seine Assistentin Stefanie Eldenberg ist verantwortlich!
(Nicht, dass ich das von Anfang an so geplant hätte. Aber so kommt es ja irgendwie nie...)
Man forschte noch etwas weiter, legte falsche Fährten und nahm dann im furiosen Wrap-Up Job dem weiblichen Gaunerduo all das Schwarzgeld vom schweizer Nummernkonto ab, übergab der Polizei die Beweise über den Immobilienbetrug und schmuggelte auch noch die gestohlenen Fabergé-Eier in deren Besitz!
Wie eingangs gesagt: Mir fällt es extrem schwer, diese im Nachhinein doch eigentlich recht simple Geschichte adäquat wiederzugeben. Ich habe viel Spass als Spielleiter, aber es ist eine ganz andere Sorte Spass, als die, welche ich als Spieler habe. Vor dem Spielleiterschirm habe ich meinen Charakter im Blick, und die Geschichte, die sich um selbigen entspinnt. Hinter dem Schirm sehe ich in der Regel ca. zwanzig Geschichten gleichzeitig, von denen dann aber nicht einmal die Hälfte passiert. So wurde gestern nicht der Banker in seinem Fahrstuhl eingesperrt. Die Sekräterin hatte keine Affäre mit dem Grifter. Der Hitter hat sich nicht mit zyprischen Seeleuten geprügelt. Und kein Versicherungsagent hat ein falsches Fabergé-Ei entlarvt.
Also, auch wenn kein vernünftiges Diary von meiner Seite bei rauskommt - ich liebe meinen Job als Spielleiter an solchen Abenden!