Also: je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr denke ich komplexe, realistische Welten, ellenlange Hintergründe und detailliert ausgefeilte NSC wie Abenteuerhintergründe sind für den Arsch. Im Prinzip sehe ich das eher als Rechtfertigungsversuche verzweifelter Erwachsener, die im alten Spiel ein "falsches, kindliches" zu entlarven versuchen und somit eine Idee eines "erwachsenen" Rollenspiels erenken, welches an sich gar nicht dem eigentlich Sinn dieses Genres auch nur ansatzweise nahe kommt.
Natürlich möchte ich hier keine Verurteilung und Bewertung von diesem oder jenem Spielstil abgeben; aber dennoch: mir stößt es jüngst doch sehr auf, wie auch einge Menschen aus meinem weiteren Umfeld die eigene simulationisch-narrative Spielform als den Gipfel der Rollenspielevolution betrachten und dennoch nur Spielabende produzieren, die einen wieder von der "guten alten Zeit" schwärmen lassen.
Daher auch der Grundgedanke: was war denn wirklich anders, jenseits des Reizes des Neuen?
Generell fällt mir dazu ein:
a) einfachere Regeln. Die Spielsysteme der Moderne (jenseits der Retroklone) sind eben doch eher kompliziert als komplex. Demnächst gibt es wahrscheinlich noch Regeln für die Verletzungswahrscheinlichkeit beim Stuhlgang, oder einen Wurf um ein Objekt vom Tisch aufzuheben (könnte ja kritisch schief gehen...). Durch kompliziertere Regeln wird das Spiel nicht besser (mMn noch nicht mal durch komplexe). Freiräume werden abgebaut, Master zu Spielleitern (oder noch schlimmer: zu Spielern) degradiert und Spieler werden ermuntert das Regelwulst besser zu kennen und alle taktischen Optionen bereit zu haben, als das es zum Entwickeln einer guten geschichte nötig wäre, egal ob es nun Pathfinder, 3.X, 4E, DSA4, Midgard die aktuelle oder wasweisichwas ist. Da scheint sich das Rollenspiel langsam zum taktischen kampfspiel zurückzuentwickeln.
b) einfache Welten mit viel Platz für eigene Phantasie. Mir ist es doch im Prinzip wurscht ob ich in einer realistischen Welt mit sinnvoller politischen Lage und an historischen Vorbildern geknüpften Kultuten spiele, oder nicht. Errr ... nein ... eigentlich will ich genau das immer weniger. Rollenspiel war einst die Möglichkeit die eigene Phantasie einzubringen und echte Abenteuer zu erleben. Heute ist es vielerorts zu realistisch und bringt daher auch idiotische Debatten zu Tage. Battlemat statt Gedankenfreiheit, Minis statt Phantasie und jede Menge pseudorealistisch durchverdauter halbgarer Hirnkacke anderer Menschen, die glauben die einzig gültige Wahrheitssicht eingeboren bekommen zu haben. Brauch ich nicht, will ich nicht, nützt niemandem.
Diese beiden Punkte wurden nun natürlich in Endlosschleife in allen Foren X-mal durchgekaut, aber das alleine scheint mir die Erklärung noch nicht zu bieten (und Zeitgeist und generelle Verfügbarkeit von Alternativen aus der "wo sind die jungen Spieler" Debatte brauch hier auch nicht wiederzukäuen). Wenn ich nun gleichzeitig auch mal einen Blick auf die Romanlandschaft setzte stelle ich einmal mehr fest: da geht es nicht um Hintergründe, ausgefeilte Charaktermerkmale, Oskarreife NPCs, historische Welthintergründe und weisderGeiernoch so einen Krempel, sondern oftmals geug um einen oder mehrere Helden die eine wie auch immer gestellte Bedrohung meistern. Eben um helden, die ein Abenteuer erleben. Selbst beim Hobbit erfahren wir zunächst nur das Nötigste über die Hauptcharaktere und die Welt - und dann mal ab ins Abenteuer!
Im weiteren Verlauf der Geschichte mag man an passender Stelle ja mehr und emhr von Welt und Bewohnern erfahren, aber eben nach und nach, nicht unbedingt und später; und genau DAS hat sich meines Erachtens in vielen von mir besuchten Gruppen gegenüber früher verändert. heute will man "erwachsen" spielen, macht sich im Vorfeld tausend Gedanken um Spielwelt, Politik, Reiche, NPC, Gilden etc. ... um dann unfertige Charaktere zu spielen (unfertig im Sinne von "keine Helden") die in dieser Kulisse ein Laienspiel vollziehen und bereits mit einem weitgehend fertigen Hintergrund erscheinen, der sich wie eine Bewerbung um einen Posten im Geheimdienst liest, incl. polizeilichem Führungszeugniss, Lebenslauf und Stammbaum.
Früher hingegen war eine Beschreibung von "ein zwei Meter großer Krieger mit Kettenhemd und Barbarenstreitaxt" zunächst völlig ausreichend, Nachnamen bekamen Helden meist zufällig weil der Master so ein geiles Abenteuer inszenieren konnte "tja Rauwulf, dein Vater der Baron von Hengisttorf lässt nach dir schicken weil der böse Magier Rebenzahl das Familiengrab gestürmt hat um das magische Schwert Wurmzwinger deines Großvaters Isegrimm zu rauben ..." "Was? ich bin adelig? Cool ..." udn auch wichtige Schauplätze ergaben sich erst bei Bedarf "das Nachbarkönigreich Dorfstred hat euch den Krieg erklärt und König Orogan von Gandar bittet euch um Hilfe ...".
es war eben nicht so, dass auf narrative und simmulationistische Elemente verzichtet wurde, aber sie wurden eben nur dann bedeutsam, wenn sie für eine erlebbare Geschichte, ergo ein Abenteuer an Bedeutung gewannen. Charakter und Spielwelt wuchsen wie ein Baum: während des Spiels in beide Richtungen, die Äste ins Licht dem Neuen entgegen und das Fundament, die Wurzeln wuchsen auch in den Hintergrund und die Geschichte hinein, aber genährt wurde alles vom guten Boden "Abenteuer".
Und genau da will ich eigentlich wieder hin: zu einem Spiel, in dem das Spiel, das Abenteuer im Zentrum steht und nicht das drummherum, in dem es erst mal nicht wichtig ist wer wo was warum getan hat - es sei denn ich brauche es aktuell für die Geschichte, die ich Abenteuer nenne. Zu einem Spiel in dem die Helden zu Anfang an Helden sind (die natürlich auch besser werden) und nicht die Fußabtreter der ach-so-realistischen Nation, in der Monster vernichtet werden müssen, in der Schätze von helden geborgen werden und ich nicht jede magische Waffe in den Händen der Monsterbosse finde. in der ich ohne Battlemat spielen kann - weil die Reegeln keine brauchen und in der die Taktik des Kampfes und die Werte eines Monsters weit weniger wichtig sind als die Spannung des Erzählten (Kampfes) und der knappe Ausgang der bedrohung. In einer Welt in der nicht jede phantastische Idee und Innovation durch eine Regel blockiert wird (das geht nur wenn du den Feat XY gewählt hast) und in der geile Aktionen aktiv vom Master gefördert, statt passiv vom Spielleiter mittels Regeln gemanaged werden, in dem ich also wieder das Gefühl habe jung und unverbraucht in ein phantastisches Hobby hineinzugleiten. Ein Spiel auf das ich hungere und auf dessen Fortgang ich lechze, während ich den Alltag mit all seinen Sorgen und Routinen zu meistern versuche.