Letzter Teil:
Am Abend berichtete Aeron Hawick seiner Frau von dem Besucher auf seinem Schiff. Sunniva, die ahnte, dass ihr Gemahl sich Stannis Baratheon anschließen wollte, wusste, dass sie seine Pläne durchkreuzen musste, wenn sie ihren Plan, Rowans Sohn als Erben von Saltpans und Longsister einzusetzen, in die Tat umsetzen wollte. Sie fragte ihren Gemahl, ob sie noch einmal mit Rowan reden sollte. Nur zu gern nutzte sie diesen Vorwand, um ihren Bruder aufzusuchen. Sie beschwor Rowan, sich ihr anzuschließen, und sie beschwor die Liebe, die einst zwischen ihnen gewesen war. Und diesmal stieß Rowan seine Schwester nicht von sich, sondern gab sich seinen Gefühlen hin.
Aeron unterdessen war schlaflos und wandelte durch den Bergfried, bis er auf Lord Rolland traf. Dieser wusste, was sein Sohn und seine Stieftochter in Rowans Gemach taten, und er beschloß, die Dinge auf seine Art voranzutreiben. Er führte Aeron in einen Gang, von dem aus man einen Einblick in Rowans Gemach und die Dinge, die darin vorgingen, hatte. Und wie es Rolland geplant haben mochte, wurde Aeron rasend vor Eifersucht und rannte mit gezogenem Schwert in das Zimmer seines Nebenbuhlers. Er erwischte die Liebenden in flagranti, und sein erster Impuls war es, Rowan mit dem Schwert zu durchbohren, auch wenn er dabei seine eigene Ehefrau töten würde. Doch das war ihm in diesem Moment gleich, das, was er gesehen hatte, machte ihn so wütend, dass er, der doch bisher nur ein Mann der Bücher gewesen war, nun zum Schwert griff. Natürlich war er auch im Vorteil, denn er war bewaffnet und bekleidet, doch es gelang Rowan ebenfalls, Aeron einige Hiebe zu versetzen, als er nach seinem Schwert greifen konnte. Doch dann geriet er ins Taumeln, und fiel, und beinahe hätte Aeron Hawick ihn mit seiner Klinge durchbohrt, wäre nicht Sunniva mit einem schweren Kerzenständer dazwischen gegangen.
Natürlich war der Kampf nicht unbemerkt geblieben, und so standen kurze Zeit später die Wachleute des Hauses Longthorpe in Rowans Gemach, genauso wie Lord Rolland und Ser Ormallos Hawick, der Waffenmeister des Hauses Hawick. Sunniva, noch immer außer sich vor Wut, behauptete, Aeron sei verrückt geworden und habe ohne ersichtlichen Grund Rowan Longthorpe angegriffen. Sie selbst sei vom Kampflärm erwacht, und habe versucht, ihren Bruder zu retten. Doch Ormallos Hawick war kein Dummkopf. Wohl war ihm bewusst, dass Lady Sunniva keine Schuhe trug, und dass sie unter ihrem dünnen Morgenmantel nackt war. Doch bevor er sprechen konnte, hieß Lord Rolland die Wachen Lord Aeron festhalten. Er ließ nach dem Maester schicken, nach dem Sunniva schon seit dem Eintreffen der Wachen verlangte, und der schließlich aufgeregt und verängstigt eintraf und sich daran machte, Rowan zu versorgen. Aerons Schwert hatte ihn hart getroffen, auf dem einen Auge würde er nie wieder sehen können.
Noch während der Maester und auch Sunniva sich um Rowan kümmerten, und Lord Rolland versuchte, herauszufinden, was passiert war, erschien auch Lady Dayana in der Tür. Als sie sah, was passiert war, wurde sie kreidebleich. „Sie ist schuld!“ entfuhr es ihr, während sie mit dem Finger auf Sunniva zeigte, „sie ist keine Longthorpe. Sie ist eine Stone!“
Für einen Moment war es totenstill im Raum, doch dann kam wieder Bewegung in die Leute. Lord Rolland erklärte, dass er die Mitglieder des Hauses Hawick fürs Erste festnehmen wollte, um am nächsten Morgen zu klären, was genau passiert war – auch wenn er genau wusste, dass er nicht ganz unschuldig war an Aerons Tat. Und Aeron dachte gar nicht daran, sich von Lord Longthorpe befehlen zu lassen, was er zu tun oder zu lassen hatte. Voller unterdrückter Wut reagierte er auf die Enthüllung seiner Mutter, indem er seinen Leuten befahl, dass sie packen sollten. Sunniva wusste, dass sie jetzt handeln musste. „Heute nacht sollte das Haus Hawick untergehen!“ schleuderte sie ihrem Ehemann entgegen, und von ihrer Zuneigung zu Aeron war nichts mehr zu spüren. Aeron hingegen erklärte, dass seine Mutter nach den Kindern sehen sollte, denn er gedachte, die Insel mit seiner Frau und seinen Kindern zu verlassen. Das konnte Sunniva jedoch nicht zulassen. Sie hob Rowans Schwert auf, um sich ihren Weg zu ihren Kindern notfalls mit Gewalt zu bahnen. Doch Aeron wollte sie daran hindern, den Raum zu verlassen, fest sah er ihr in die Augen und wiederholte: „Ich werde die Insel mit dir und meinen Kindern verlassen.“ In ihrer Verzweiflung spielte Sunniva ihre letzte Trumpfkarte: „Du wirst meine Kinder nicht mitnehmen. Du hast keinen Erben, Hawick.“ Aber entweder hatte Aeron ihre Worte nicht gehört, oder er wollte sie nicht hören, er beharrte weiter darauf, dass die Männer von Hawick packten und Burg Longthorpe verliessen.
Jetzt wusste Sunniva sich nicht mehr zu helfen. Sie fürchtete um Rowans Leben, der noch immer bewusstlos und schwerverletzt am Boden lag, während der Maester versuchte, seine Blutungen zu stillen, und um das ihrer Kinder. Ihre einzige Hoffnung war nun der Mann, der sie Zeit ihres Lebens versucht hatte, zu ignorieren, der scheinbar tatenlos zusah, wie sein einziger Sohn und Erbe starb. „Tu einmal das Richtige!“ schrie sie Lord Longthorpe an, und dieser reagierte. Schneller, als man es einem Mann seines Alters zugetraut hatte, lief er auf Aeron Hawick zu, packte ihn um die Hüfte und stürzte sich mit ihm aus dem Fenster zum Hof. Aeron lag bewusstlos, aber lebend im Hof, während Rolland sich aufrappelte und einen großen Pflasterstein aufhob. „Zieht euch zurück,“ rief er Ser Ormallos zu, der oben in der zerstörten Fensterlaibung erschienen war, „oder ich töte Aeron Hawick!“ Doch Ser Ormallos glaubte der Drohung des alten Mannes nicht, und darüber hinaus war Ormallos Hawick nach Sunnivas Enthüllung Aerons Erbe, und er war seinem Vetter niemals wirklich zugetan gewesen. Mit einem verächtlichen Schnauben wollte er sich umdrehen, doch da liess Lord Rolland den Stein fallen und beendete so das Leben von Aeron Hawick, dann wandte er sich an seine Männer. „Tötet sie alle!“ schallte es durch den Hof von Longthorpe Hall.
In diesem Moment stürmte Sunniva mit ihrem Schwert heran, auch wenn sie nicht die nötige Kraft hatte, die schwere Waffe zu heben und zu führen, so gelang es ihr doch, dass Ser Ormallos das Gleichgewicht verlor und ebenfalls aus dem Fenster stürzte. Doch Ormallos konnte sich abfangen, und im Hof hatte er als Gegner nur Lord Rolland Longthorpe, den er nach kurzer Zeit überwältigen konnte. Auch wenn der alte Mann sich mit Händen und Füßen wehrte, gelang es dem Waffenmeister doch, ihn wieder zurück in den Bergfried zu schleppen.
Sunniva unterdessen hatte nur einen Gedanken: Ihre Kinder! Sie musste verhindern, dass Lady Dayana, die sich nach ihrer Enthüllung wie ein geisterhafter Racheengel davongeschlichen hatte, ihrer habhaft wurde. Aus den Augenwinkeln nahm Sunniva wahr, dass Aeron Hawick mit zerschmettertem Haupt im Innenhof lag, doch sie verlor ihr Ziel nicht aus den Augen. Eine Kinderfrau und Lady Dayana waren bei Jon und Melissa, als die ehemalige Lady Hawick das Zimmer betrat, blutverschmiert, barfüssig und nackt unter ihrem Morgenmantel, und in der rechten Hand das Schwert ihres Bruders und Geliebten. „Geh,“ sagte sie zu Lady Dayana, und die alte Frau wusste, dass nun alles vorüber war. Sie verließ ohne ein weiteres Wort das Kinderzimmer, und auch die Kinderfrau ging, während Sunniva bei ihren schlafenden Kindern blieb.
In Longthorpe Hall währenddessen tobte der Kampf zwischen dem Haus Hawick und dem Haus Longthorpe ununterbrochen weiter. Zuerst hatten die Männer des Hauses Longthorpe gezögert, denn sie wollten ihren Lord nicht gefährden, doch Lord Rolland hatte ihnen einen unmissverständlichen Befehl entgegen gebrüllt: „Tötet sie alle!“
So gelang es einigen wenigen des Hauses Hawick zwar, Longthorpe Hall zu verlassen, doch auf dem Weg zum Hafen wurden auch sie im Pfeilhagel niedergestreckt, als letzter fiel Ser Ormallos Hawick und seine Geisel, Lord Rolland.
Doch es heisst, dass Lord Rollands Geist seinen Körper kurz vor seinem Tod verließ und er in eine der Schattenkatzen fuhr, die durch die Wälder streunen. Die Schattenkatze sei zu einer Höhle gelaufen, hieß es, in der die Lange Schwester wohnte, ein Wesen halb aus Stein und halb aus Fleisch und Blut, und dort lebe er in der Katze weiter.
Sunniva und Rowan verließen die Insel, wie Sunniva es sich immer gewünscht hatte, mit Sunnivas Kindern stachen sie in See, Richtung Braavos.
Aeron Hawick wurde mit seinen Männern in einem Massengrab verscharrt, am nächsten Tag erinnerte nichts mehr daran, dass das Haus Hawick jemals vor Longsister Anker geworfen hatte.
Und so endet die Geschichte vom Untergang zweier Häuser und einer Insel, die niemand gehen ließ, auch wenn er sie schon lange verlassen hatte.“
Mit diesen Worten schloss der Einäugige seine Geschichte. „Und woher wisst Ihr dies alles?“ wollte die Kurtisane wissen, während sie sich noch einen Becher Rotwein eingoss. „Heute, Mylady, bin ich nur ein armer Geschichtenerzähler und Händler, der nun zu Frau und Kind zurückkehrt. Aber früher, im Norden auf See, da nannte man mich Rowan Longthorpe.“