Autor Thema: Eclipse Phase - Firewall  (Gelesen 1787 mal)

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Ucalegon

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Eclipse Phase - Firewall
« am: 11.08.2015 | 23:24 »


tl;dr Auch wenn das Cover auf den ersten Blick Anderes befürchten lässt, der Band geht erfreulich wenig in Richtung "Murderhobo: The Shadowrunning" - oder "Quarantine Zones & Dragons", wie es in den SL-Tipps zu den sog. TITAN Hunters heißt (S.181). Der Untertitel "The Eclipse Phase Conspiracy Guide" trifft es da viel eher. Kurz: Firewall dürfte sich am meisten für Gruppen lohnen, deren stories sich um Spionage, politische Intrigen oder ideologische Richtungskämpfe drehen. Das Field Ops Kapitel ist allerdings ein must read für alle angehenden sentinels (und ihre SL).

Übersicht und Kommentar:
Firewall beginnt wie die anderen sourcebooks mit der üblichen Kurzgeschichte. Nostrum setzt El Destino Verde aus Panopticon fort und soll in X-Risks, dem nächsten Hardcover, beendet werden.

Die Seiten 14-26 enthalten einen wie gewohnt perspektivierten und damit nicht zwingend objektiven Abriss der Entstehungsgeschichte von Firewall. Der Abschnitt deutet auf die später dargestellten Konflikte innerhalb der Verschwörung hin, die teilweise auf die Unterschiede zwischen den Vorgängerorganisationen zurückgehen, aus denen Firewall entstanden ist. Neben origin stories für  SC oder deren proxies können Gruppen wie Bletchley Park oder das Machine Intelligence Directorate (MIND) den Ausgangspunkt für Plots bilden, in denen es um ihre während des Fall verschollenen Mitglieder oder Einrichtungen geht. Viele Details gibt es dazu aber nicht und das Ganze wird abgesehen von ein paar Andeutungen offen gelassen. Ein besonderes Ereignis in der Geschichte Firewalls, das sog. Titanian Schism bleibt mysteriös und kann je nach Bedarf mit Metaplot aufgeladen werden. Anregungen, was hinter diesem Bruch zwischen Firewall und dem Titanian Commonwealth stecken könnte, gibt es im SL-Teil am Ende (S. 182f). Obwohl die Verschwörung jetzt ihr eigenes sourcebook hat, bleiben auch im Folgenden immer wieder Punkte offen, die den SL überlassen werden.

Die  Seiten 26-46 befassen sich mit dem Aufbau von Firewall. Die bereits aus dem Grundbuch bekannte Aufteilung in Zellen und Server sowie die verschiedenen proxy-Rollen (crows, vectors, scanners etc.) bekommen mehr Details. Wirklich neu ist hier nichts und da die meisten SCs ohnehin sentinels sind, die normalerweise nur mit router und vector proxies zu tun haben, dürfte das Ganze vor allem SL interessieren, die einen Kampagnen-Server ausgestalten wollen (S. 162) oder Gruppen, die mit proxy SCs spielen (S. 163). Ab S. 41 werden Möglichkeiten für interne Konflikte vorgestellt (feindliche Infiltration, Korruption, aufmüpfige sentinels etc.). Auch hier gibt es keine echten plot hooks. Abschließend folgt eine kurze Übersicht zum Reputationsnetzwerk The Eye. Der wichtigste Punkt dabei: "How the hell does a clandestine conspiracy get away with its own social network?".

Von Seite 46-55 werden die fünf großen und einige kleinere Fraktionen innerhalb von Firewall beschrieben, jeweils mit einigen spielfertigen Beispiel-Servern. Wenn es um die großen Richtungskämpfe und damit quasi um den Firewall Metaplot gehen soll, sind die gegenüber dem Grundbuch deutlich erweiterten Beschreibungen der Cliquen sicher nützlich - insbesondere im Hinblick auf die jeweiligen Ressourcen und den Einfluss der einzelnen Fraktionen. Andererseits bieten die Cliquen natürlich auch Material für politische Differenzen unter den SC.

Das Field Ops Kapitel von S. 55-79 kommt als time accelerated simulspace briefing durch einen Beta Fork namens Factotum daher. 60 Stunden für die Einführung in die field operations. So lange  braucht man zum Lesen glücklicherweise nicht. Für mich sind die 20+ Seiten, die überdies sehr unterhaltsam geschrieben sind, vielleicht nicht der inspirierendste Teil des Bandes, aber auf jeden Fall der nützlichste. Wenn man mit dem Firewall Hintergrund spielt, kann man dieses in-setting briefing jedenfalls ohne Bedenken ausdrucken und an die Gruppe verteilen. Von der Vorbereitung und Koordination einer Mission über Ressourcen und Assets, die den sentinels zur Verfügung stehen, über Vorgehensweisen, besonders im Hinblick auf local authorities und Quarantäneprotokolle bis zu Debriefing, interner Sicherheit und Prävention, die verhindern soll, dass es überhaupt zum Einsatz von sentinels kommen muss, wird ein breites Spektrum an Firewall-Tradecraft abgedeckt. Dass dabei kaum eine Mission so ideal ablaufen wird, wie Factotum es gerne hätte, versteht sich von selbst.

Die Seiten 79-86 geben eine Übersicht über insgesamt 38 laufende Firewall Projekte. Im Prinzip eine Liste von Kampagnen-hooks bzw. -Rahmen mit viel x-threat Potential. Empfehlenswert.

Die Seiten 86-100 beschreiben eine Reihe von Orten und Einrichtungen, die zu Firewall gehören. Teilweise ist mir der Abschnitt zu klischeehaft/over-the-top. Beispiele wären das Simulspace Spiel Breakout, das Firewall zur Rekrutierung benutzt oder einige ultrageheime Megaprojekte mit gefühlten tausend failsafes, die für mich einfach nicht mehr zum Verschwörungscharakter passen. Auf S. 90f versteckt sich allerdings eine schöne Doppelseite mit einer abstrakten Übersicht über kleinere, dezentralisierte Orte wie caches oder safehouses.

Das Kapitel zu den Notable Operatives von S. 100-110 ist für mich das schwächste in Firewall. Einmal tauchen Personen auf, die in anderen Publikationen bereits ausreichend charakterisiert worden sind. Zum anderen finden sich hier für meinen Geschmack deutlich zu viele special snowflakes. Statt den Besten der Besten hätte ich gerne mehr "normale" sentinels und proxies gesehen, vielleicht auch mit kurzen Einblicken in deren Alltag.

Ein Abschnitt von  S. 110-115 behandelt die Beziehungen zwischen Firewall und anderen Fraktionen im Sonnensystem. Der Abschnitt weist auf Besonderheiten hin, die sentinels und proxies zu beachten haben, wenn sie im Einflussbereich einer bestimmten Fraktion aktiv werden. Kurz und knapp das Wichtigste zusammengefasst: Ein nützlicher Einschub.

In eine ähnliche Richtung gehen die Seiten 118-159. Hier werden in einer umfangreichen Übersicht alle anderen Fraktionen und Gruppierungen/Einrichtungen innerhalb dieser Fraktionen beschrieben, die sich ebenfalls mit möglichen x-threats auseinandersetzen. Vom Apollo Project der argonauts über die Behördenstrukturen der Jovian Republic und des Titanian Commonwealth bis zu den aus Million Year Echo bekannten islamischen Reclaimern von White Butterfly bietet das Kapitel mal mehr, mal weniger interessante Details, Organisationen und Personen. Wenn man - abgesehen von Project Ozma, das hier nicht auftaucht -  Konkurrenz (evtl. auch Unterstützung) für Firewall sucht, findet man hier sehr viel Hintergrund dazu. Teilweise, z.B. bei den Jovians,  war mir der Inhalt nicht spielrelevant genug.     

Den letzten Abschnitt (S. 162-184) bildet wie in jedem sourcebook das Kapitel Game Information. Crunch gibt es hier wenig, interessant sind höchstens die Regeln zur exsurgent virus detection, das Plasmaschwert ist dagegen einer der zum Glück raren wtf Momente im Band. Die SL-Tipps sind gut, wenn man sich nach dem Lesen etwas erschlagen fühlt und sich fragt, wie man die Firewall Cliquen oder die anderen Fraktionen sinnvoll ins Spiel bringen kann. Das Highlight sind aber die beiden Kästen auf den Seiten 167 und 172. Hier sind Spekulationen zu Firewall und den Prometheans aufgeslistet, die ordentlich Potential für setting twists und big reveals hergeben, je nachdem was davon wahr ist oder eben nicht; übrigens genauso wie die zahlreichen paranoiden "Forenposts" und "Chat-Protokolle", die wieder in schöner Regelmäßigkeit den Text auflockern. Ganz großes Kino. Mit der Zufallstabelle für scratch spaces (= green boxes) schließt ein netter Verweis auf Delta Green den Band ab. Es folgen nur noch die obligatorischen Beispielcharaktere.

Die Illustrationen sind wie immer gut bis sehr gut mit ein paar Totalausfällen.

Fazit:
Firewall war irgendwo ein notwendiger Band, weil er wie Panopticon komplexe Prämissen des Settings detailliert ausführt und Fragen beantwortet. Darunter leidet ein wenig die Spielrelevanz - gerade im Vergleich zu den Krachern Sunward/Rimward, wo einem die plot hooks nur so um die Ohren geschleudert werden.

Trotzdem: Gruppen, die auf Politdrama, Verschwörungen und Spionage als Teil des EP Settings stehen oder bisher das Gefühl hatten, Firewall sei als zentraler Auftraggeber nicht detailliert genug beschrieben, sollten den Band definitiv in ihre Kampagne einbauen. Für Metaplot-Interessierte gibt es auch Einiges an interessantem Material und wenigstens das Field Ops Kapitel lohnt sich eigentlich für jede Gruppe, bei der Firewall Missionen mehr sind als bloßes seek & destroy. Auf der anderen Seite bietet Firewall für andere Settingaspekte wenig Material. Actionlastig geht es bei den Erasure Squads, Titan Hunters und Ultimates zu. Horror schimmert an den Stellen durch, wo sich die sentinels unsicher sein müssen, für wen oder besser für was sie in Wahrheit arbeiten.  Ich hoffe, das kommende X-Risks hat da mehr zu bieten.

Ich gebe Firewall 7 von 10 QE-getriggerten Antimateriebomben.
« Letzte Änderung: 11.08.2015 | 23:57 von Ucalegon »