Die Dauer der Charaktererschaffung ist mir ziemlich egal, ehrlich gesagt. Die korreliert höchstens symptomatisch; d.h. ein im Kampf langsames System ist meist ziemlich komplex, darum ist auch die Erschaffung der Charaktere oft entsprechend komplex, und darum langwierig. (...)
Außerdem muss ich ja die Charaktererschaffung - hoffentlich - nur selten durchlaufen, während es andererseits - hoffentlich - jede Sitzung Action gibt.
Wenn wir hingegen von einem bescheuerten Meatgrinder sprechen, bei dem man die Charaktere am besten gleich auf dem Abreißblock mitbringt, ja, dann würde die Generierung mit in die Systemgeschwindigkeit reinspielen. (...)
Auch ich merke in letzter Zeit immer mehr, dass ich vermutlich nicht das beste aus beiden Welten haben kann:
Möchte ich ein System, in der der Charakterbau schnell geht, die Charaktere sich jedoch besonders bei der Wahl derselben Klasse fast wie Klone spielen?
Oder möchte ich ein System, in welchem ich selbst bei Wahl der selben Klasse immer noch Unterscheidungsmerkmale haben kann, was jedoch meist Hand in Hand mit einer längeren (zeitaufwändigeren) Charaktererstellung geht? Ein System, in welchem viele Faktoren eine spürbare Auswirkung auf den Charakter haben und somit auch jede einzelne Steigerung den Charakter noch weiter individualisiseren kann?
Neulich habe ich mir z.B. für eine "spontane Charaktergenerierung" das
Portal-Regelwerk geschnappt.
Auch dort sind viele Fertigkeiten vorhanden, auf die man seine Punkte verteilen kann, egal ob Schwerter, Stichwaffen, Hiebwaffen, Bogen, Armbrust, Lesen&Schreiben, Staatskunst, Klettern & Balancieren, Lügen & Täuschen, Länder & Völker, Konzentration, Gesetz der Seefahrt, Kriegswesen und weitere Fertigkeiten.
Genauso kann jeder Zauber, egal ob "Vorahnung", "Untoten erwecken" oder "Feuerstrahl" einzeln gelernt und gesteigert werden.
Auch das Kampfsystem ist relativ detailliert: Attacke und Parade werden gewürfelt, danach wird noch der Rüstungsschutz zufällig bestimmt. Kampfmanöver wie die "kritische Attacke" (der Angreifer erlegt sich einen Malus auf, der ein vielfaches von -6 sein muss. Gelingt die Attacke trotzdem, erleidet der Verteidiger eine entsprechende Anzahl an zusätzlichen W6 TP [bei einem Malus von -12 beispielsweise 2W6])
Eine Sache, die aber besonders die Charaktererschaffung unnötig langsam macht, ist die Tatsache, dass es zwar Regeln für Traglast gibt (jedes Kilogramm Traglast, dass über der Summe aus [Stärke+Stärke+Willenskraft +/- Fertigkeitswert der Fertigkeit "Belastbarkeit"] liegt, beschert dem Helden einen Malus von -1 auf alle Proben), es jedoch -abgesehen von den Waffen- keine Gewichtsangaben der im Buch befindlichen Gegenstände gibt, sodass ich auf andere Regelwerke zurückgreifen muss.
Zudem müssen alle NSC ebenso aufwändig von Hand erschaffen werden. Lediglich bekannte Fantasy-Monster wie Goblins, Skelette, Oger, Wölfe, Hunde, Drachen etc. sind mit Kampfwerten ausgestattet.
Ja, ich äußere mich gerade kritisch über ein System, welches noch vor einiger Zeit auf meinem persönlichen Podest stand. Das, was das System "kann" (detaillierte Charakterentwicklung, relativ detailliertes Kampfsystem, skalierbare Zaubersprüche) kann das System weiterhin gut. Doch meinen Ansprüchen genügt es nicht mehr.
Bei Rolemaster - wo ich auch über einen "Neuanfang" nachgedacht hatte, ist die Gruppe jedoch auch dort während der Charaktererschaffung abgesprungen.
Und besonders bei Rolemaster kann ein Charakter schneller im Kampf sterben als einem lieb ist.
Auch hier ist die Charaktererschaffung wunderbar detailliert: Steigere ich lieber die Spruchliste "Schutz" oder die Spruchliste "Wege der Heilung"? Steigere ich lieber "Öffentliches Reden" oder "Überreden"? Steigere ich lieber meine Fertigkeit "Streitkolben" oder lerne ich lieber "Waffenloser Schlag - Grad 1"
Doch auch hier ist die Stärke gleich wieder die Schwäche:
Ich kann mich am Ende der Charaktererschaffung über einen detaillierten Charakter freuen - doch hält diese Freude noch immer an, wenn ich diesen Prozess zum dritten Mal durchlaufen "muss", weil meine beiden vorherigen SC durch "Glückstreffer" getötet wurden?
Besonders diese Erlebnisse haben mir noch einmal die Augen geöffnet und die Frage "Sind komplexe, langsame Systeme tatsächlich das Mittel meiner Wahl?", welche ich vorher fast selbstverständlich mit "ja" beantwortet hätte, nun mit einem "nein" beantwortet.
Was ist für mich der "Mindeststandart eines schnellen Systems"?- Ich kann mir bereits bei ersten Mal einen Charakter erschaffen, ohne allzu gravierende Fehler begehen zu müssen (also kein "Ach, ich hätte meinem Startvermögen mindestens Priorität B zuweisen sollen, damit ich mir ein vernünftiges Deck leisten kann?")
- Die Charakter-Erschaffung geht bei wiederholten Malen schneller von der Hand
- Nur ein Wurf pro normaler Fertigkeitsprobe, wenige Modifikatoren / Tabellen ("andauernde Fertigkeitsproben", z.B. größere Intrigen, Festungsbau oder Recherche sind eine Ausnahme)
- Kritische Treffer brauchen keinen Bestätigungswurf, sondern lassen sich direkt aus dem Ergebnis des Angriffswurf ablesen (z.B. Stunts in Fantasy AGE)
- Ich kann mir mit wenig Zeitaufwand bei Bedarf auch einen SC der 5. / 8. / 16. etc. Stufe einer eventuell unbekannteren Klasse erschaffen, ohne mich zu sehr zu "verskillen" und mich zuerst tagelang in die Charakterklasse vertiefen zu müssen und mir die Zauber / Spezialfertigkeiten aus 5 verschiedenen Quellen zusammenzusuchen. [Dies kommt mir als SL auch bei der Erschaffung hochstufiger NSC zugute]