FAKT in obigem Beispiel ist doch: Die Würfel sind gefallen. Zu Gunsten des SL /des NSCs bzw. zu Ungunsten des Spielercharakters. Und jetzt sagt der Spieler oder die Spielerin: "Nö, ich will das aber nicht, dass mein Charakter verführt wird" oder: "Mein Charakter würde mit dem/der nie ins Bett steigen.." Tja aber: Die Würfel sagen etwas anderes bzw. sprechen eine andere Sprache.
Deswegen hab ich persönlich Probleme mit Systemen, die komplexe Mechanismen wie soziale Interaktionen versuchen durch vereinfachte Würfel abzuhandeln. "Ich habe einen Erfolg auf meinen "Verführen" Wurf und deswegen steigt die jetzt mit mir ins Bett" ist auf so vielen Ebenen problematisch, vor allem aber weil es den Handlungsspielraum verkürzt und die zugrunde liegenden Bedingungen völlig entstellt. So funktionierts halt einfach nicht, ganz gleich wie gerne einige Spieler das wohl gerne hätten.
Nehmen wir mal an, wir regeln "verführen" nur über einen Wurf. Damit lassen wir erstmal außer Acht, dass neben dem möglicherweise für den Wurf relevanten Attribut "Charisma" oder so auch noch unter anderem folgende Dinge eine elementare Rolle spielen:
- Chemie zwischen den beteiligten Charakteren
- Eventuelle Vorgeschichten
- Situation und Stimmung beider Beteiligten
- Typ-Präferenzen
- Sozialer Kontext, eventuelle soziale Zwänge, unterschiedliche Stellung in der Gesellschaft etc.
Die könnte man jetzt, theoretisch, durch eine erhöhte Schwierigkeit beim Wurf, bzw. durch Boni und Mali abdecken. Wenn man das dann auch noch konsequent macht, dürfte jeder "Verführen"-Wurf, der keinen bekannten NSC trifft, der den Verführenden attraktiv findet, in der Stimmung und in der Lage ist, exorbitant unmöglich sein. Was ja nicht unbedingt unrealistisch ist.
Berücksichtigt man das alles nicht, übergeht man zusätzlich - wenn man "kalt" anfängt, also "ich geh mal zu der rüber und verführ die *würfel* geschafft!" - noch dazu ungefähr ein Dutzend dazwischen liegende Schritte der Interaktion. Und selbst die vereinfachte Auflistung von "Kennenlernen, Reden, Komplimente machen, Umwerben etc." führt dann, außer in Pornos, nicht einfach zu "Schnitt, Poppen!". Und was man auch immer spielt, das Niveau-Label "Porno" schreibt sich erfahrungsgemäß dann doch keine Gruppe gerne auf die eigene Runde.
"Mein "Verführen"-Wurf ist erfolgreich, deswegen steigst du jetzt mit meinem Charakter ins Bett" ist also in ungefähr so praktikabel und sinnvoll wie "Mein "Überzeugen"-Wurf ist erfolgreich, deswegen ernennt mich der amtierende König zum neuen Herrscher und baut mir ein Traumschloss." - und ich kenne sehr wenige Runden die Letzteres zulassen, weil die Würfel das nunmal sagen. Auch da würde man sofort "Kontext!" rufen und argumentieren, dass - bis der Herrscher sich DARAUF einlässt - ne ganze Menge mehr passieren muss.
Tja, das muss es eben in aller Regel auch, bevor es zu Sex (mit Fremden / Unwilligen) kommt.
Deswegen gehen einige Systeme, die das meiner Meinung nach etwas besser handeln, auch von erweiterten und teilweise konkurrierenden Würfeln aus, wo erstens beide Parteien potentielles Mitspracherecht genießen, höhere Wahrscheinlichkeiten sind zu scheitern oder zu unterbrechen und ein etwas realistischer Schlagrahmen vereinbart wird.
Und als persönliche Note: abgesehen davon genießen auch bei mir Spieler Hoheitrecht, was solche Dinge angeht. Den Charakteren passiert nicht einfach was, worauf die als Spieler keinerlei Einfluss haben. Und wenn dann auch noch expliziter Unwille oder sogar Unbehagen im Bezug auf eine Spielsituation zum Ausdruck gebracht wird is sowieso Feierabend.