Autor Thema: Rollenspiel und Cultural Studies  (Gelesen 5723 mal)

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Offline Jestocost

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Rollenspiel und Cultural Studies
« am: 18.11.2003 | 13:54 »
Ich möchte mich mit diesem Thread unserem Hobby mal wieder von der eher praktisch orientierten Theorieschneise nähern:

In 'The Fantasy Role-Playing Game: A New Performing Art' stellt Daniel McKay  die These auf, dass man im Rollenspiel populäre Genres wiederverwertet und nacherzählt.

Für mich war das auch ein Grund, das ich mit Fantasy aufgehört habe und eher in Richtung Gegenwartshorror gegangen bin - denn ich habe gemerkt, dass ich mich als SL moderne Themen immer nur fantasy-mäßig verpackt habe.

In wie weit halten bei euch moderne Themen fantasy-mäßig verkleidet Einzug ins Rollenspiel?

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #1 am: 18.11.2003 | 19:20 »
Moderne Themen eher weniger - zeitlose Themen allemal. Morde aus Eifersucht, manipulierte Erinnerungen, moralisch/ethische Fragen sind sicherlich keine sooo moderne Erfindung. Aber natürlich habe ich doch immer einen quasi-modernen Blickwinkel... meine D&D-Gruppe untersucht im Moment einen Mord, obwohl für den Rest der Stadtwache eigentlich alles klar ist. Ohne den modernen Blickwinkel "Welches Motiv hatte der Mörder?" wären sie gar nicht in die Story hineingekommen...
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Offline Roland

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #2 am: 18.11.2003 | 20:12 »
Was wären denn für Dich moderne Themen?

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #3 am: 18.11.2003 | 23:38 »
naja, was heisst hier moderne Themen, ich würde sagen, dass es immer wieder die selben alten Themen sind (Verbrechen aus Emotionen heraus/Machtstreben/usw.) die Story ist immer wieder ähnlich, nur das Bühnebbild ändert sich von der Burg zum Wolkenkratzer
Es gibt drei Arten etwas zu tun. Die richtige Art, die falsche Art und die Dash Bannon Art.

Offline Bitpicker

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #4 am: 19.11.2003 | 14:07 »
Ich sehe die Themen auch eher als zeitlos an, und außerdem den Genres übergeordnet, denn Themen wie z.B. 'Verbrechen aus Leidenschaft' oder 'Initiation' etc. kann man in jedes Genre transportieren. Das frühe Rollenspiel hielt sich aber peinlich genau an Genre-Grenzen, zuerst Sword & Sorcery und dann Hard SF und andere.

Das spätere Rollenspiel bricht aber auch Genre-Grenzen und ist in dieser Hinsicht oft progressiver als die Literatur; simpel gesagt, wen hätten Shadowrun-Romane interessiert, wenn es kein Shadowrun-Rollenspiel gäbe? Elfen und Cyberpunk, das sollte man eigentlich nicht versuchen... Die Genre-Grenzen weichen mittlerweile auch in Literatur und Film auf, aber Rollenspiele (und auch Comics) waren da Vorreiter.

Robin
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Offline Jestocost

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #5 am: 19.11.2003 | 14:22 »
Plots werden wohl immer wieder recycelt - das ist schon klar.

Shadowrun ist wohl eines der wenigen Beispiele, wo eine eine Genre-Vermischung stattgefunden hat - und interessanterweise beschäftigt sich gerade das Shadowrun Setting mit ernsthaften Problemen wie Rassismus und Vorurteilen und kann diese auch sehr explizit durch die Fantasy-Verschiebung behandeln.

Vampire auf der anderen Seite zieht - neben den Intrigen - seinen Spaß aus einer Art Generationenkonflikt: Die Alten sind da und von allein werden sie nicht weggehen.
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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #6 am: 19.11.2003 | 14:52 »
IMO ist Rollenspiel u. a. die Verarbeitung der Informationsflut, der wir ausgesetzt sind.

Es ist eine Möglichkeit die Infos nicht nur passiv zu empfangen, sondern auch aktiv weiterzugeben.

Klar wird Gesehenes und Gehörtes recycled, es ist eine Art Gruppenträumen, ein Info-Verwertungs-Mechanismus.
Die "popuären Genres" sind ein großer Bestandteil der auf uns einstürzenden Infrmationen und sind den gängigen RPGs thematisch nah, weshalb ihre Nacherzählung naheligt.

RPG stellt deshalb auch eine gute Möglichkeit dar, den Zeitgeist zu erfassen:
Was im Spiel behandelt wird, ist IMMER die Annäherung oder die Flucht in Bezug auf aktuelle Themen.  

Offline Bad Horse

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #7 am: 19.11.2003 | 18:56 »
Natürlich tauchen im Spiel auch immer mal wieder aktuelle Bezüge (dann häufig in satirischer Form) auf... z.B. starb in einer Mittelalterrunde ein NSC, weil in ein rücksichtloser Fahrer umheizte - und natürlich stammte der aus Waiblingen (Stuttgarter Autofahrer wissen, wovon ich rede  ;)).

Auch Bestechung, die in der augenblicklichen D&D-Stadtwachen-Runde, die ich leite, fröhliche Urstände feiert, ist ein Thema - bisher noch nicht allzu ernsthaft, aber das kann ja noch kommen...  ;D
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #8 am: 19.11.2003 | 21:11 »
Ok im Prinzip ist das hier so ungefähr das selbe, was Jestocost auch postuliert hat, aber da sich ja einige schon gegen die Prämisse (Vorraussetzung - keine GNS-Modewortschöpfung) des Threads gewehrt haben, sag ich jetzt halt einfach auch mal meine Meinung dazu:

Ich denke ebenfalls das die Thematik bei den klassischen Rollenspielen etc. die eher Richtung Fantasy gehen, zwar vielleicht scheinbar die selbe "zeitlose" ist wie bei modernen, aber letztendlich ist sie nur eins: Sie ist schöner verpackt.

Alles befindet sich in netten kleinen, harmlosen Metaphern.

Ich mein wer hat Angst Nachts in ner dunklen Gasse von einem geflügelten Dämon oder einer Gruppe Orks überfallen zu werden? Irgendwelche Meldungen?

Wenn das Rollenspiel aber die Thematik in ein moderneres Gewand packt, fehlt uns auf einmal die Distanz und wir werden direkter angesprochen.
Das ist dann schon was anderes.

Jungfrauen opfernde Schwarzmagier sind halt einfach nicht so erschütternd wie ein realer Vergewaltiger, obwohl ersteres letztendlich wohl eine Metapher für letzteres ist, die man eher verarbeiten kann.
Sie unterstützt also die Funktion des Spiels als so eine Art kindliche Vorstufe der Verarbeitung realler Problematik. Eben wie im Märchen..
Nichts ist falsch daran, aber eingestehen können sollte man es schon.

So gesehen sind eigentlich all die "zeitlosen" -oder eben als solche empfundenen- Thematiken eigentlich moderne Problematiken.
Letztendlich kann es garnicht anders sein, da wir uns den Dingen ja immer von einem "modernen" Standpunkt aus nähern. (Das Beispiel mit der Frage nach dem Motiv des Mörders zeigt das ganz gut.)

Apropos:

Gerade bei Tolkien merkt man noch relativ direkt, wofür seine Metaphern stehen, weil er sich noch auf "reale" Quellen -will heissen Mythen und Sagen der realen Welt- gestützt hat und nicht wie spätere Fantasy-Autoren eben auf andere Fantasy.
(Was dann wohl in den Geschmacklosigkeiten der 80er in diesem Genre gipfelte.)

Wenn Tolkien aber von "evil, dark men" spricht, muss man schon fast wissen, dass er damit Orks meint, und nicht den 'suspekten' Ausländer vor dem man eben Angst hat weil man seine "guturale Sprache" nicht versteht..
[Achtung: Einzige wirkliche Antwort auf Jestos ursprünglich im Thread gestellte Frage in diesem Posting.  ::) ]

So gesehen wäre Tolkien also meiner Meinung nach 'moderner' als all die späteren Fantasy-Autoren die sich auf ihn gestützt haben, da er einfach realitätsbezogener war.

Ich glaube daher auch, dass es eine Entwicklung zum "Erwachseneren" Spiel ist, modernere Dinge zu spielen. Das lässt sich sogar am Thread "Eure Rollenspiel Laufbahn!" belegen.

http://tanelorn.net/index.php?board=4;action=display;threadid=8226

Die meisten fangen mit DSA, AD&D oder anderen klassischen Fantasysystemen an, gehen dann zu Mers/RoleMaster(Tolkien) oder anderer "realitätsbezogenerer" Fantasy (auch Shadowrun) und landen schliesslich bei Dingen im moderneren Bereich, hauptsächlich bei Horror-, Punk- und SF- Spielen wie Vampire, Cyberpunk etc. pp.

Nicht absolut, aber die Tendenz ist sehr deutlich erkennbar.
« Letzte Änderung: 19.11.2003 | 21:15 von Tcharak »

Offline Bitpicker

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #9 am: 20.11.2003 | 09:50 »
@Jestocost: Bei den anderen World of Darkness-Reihen gab es mehr Möglichkeiten, Genre-Grenzen zu überschreiten. Die Umbra der Werwölfe und Magier z. B. lässt alles mögliche zu, von Fantasy bis SF, natürlich Horror, usw. usw. Überhaupt handelt es sich bei allen Spielen der Reihe zwar grundsätzlich um Horror, der aber an vielen Stellen um weiteres Material angereichert wird. Das klassische Beispiel ist Wraith, für das es den Quellenband 'The Shoah - Charnel Houses of Europe' gibt, in dessen Vorwort eine Roman-Autorin Stellung dazu nimmt, dass das Rollenspiel eben auch ein Medium ist, in dem -sicher in einem phantastischen Umfeld- selbst solche Themen wie der Holocaust angesprochen werden können, und zwar mit vermutlich größerem Erfolg bei der heutigen Jugend als mit irgendwelchen Dokumentarfilmen oder Geschichtstexten.

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Offline Arbo

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #10 am: 20.11.2003 | 20:13 »
@ Jestocost:

Zitat
Für mich war das auch ein Grund, das ich mit Fantasy aufgehört habe und eher in Richtung Gegenwartshorror gegangen bin - denn ich habe gemerkt, dass ich mich als SL moderne Themen immer nur fantasy-mäßig verpackt habe.

Hm, wo liegt das Problem?

Ich persönlich liebe eh leise Untertöne im RS und deshalb sind meine Runden meist etwas schlichter gehalten (d.h. "überdrehtes" Fantasy gibt es bei mir eigentlich kaum). Damit bin ich auch nie schlecht gefahren. Ganz zwangsläufig kommt es dabei dann schon dazu, dass moderne Themen eben anders verpackt dargeboten werden.

Nur schlecht halte ich dies überhaupt nicht.

Im Gegenteil! Es gibt dadurch die Möglichkeit, moderne Themen mit anderen Perspektiven anzureichern. Gewalt, Massenmord, Diskriminierung usw. sind alles Themen, die sich im Fantasy auch wunderbar eignen. Und wenn man es wirklich nicht nur 0815 spielt, den Spielern individuelle Freiheiten und die Spielwelt reagieren lässt, dann können bei den Spielern Prozesse in Gang gesetzt werden, welche Du mit einer 1:1-Umsetzung in der Jetztzeit (oder halt Tatzeit) wohl so nicht heraufbeschworen hättest. Dadurch entstehen absolut interessante Konflikte.

Bei Gegenwartsrollenspielen habe ich dagegen meist das Problem, dass, wenn es um bestimmte Probleme geht, das Ganze zu aufgesetzt wirkt. Irgendwelche Themen werden tlw. so erzählt, dass sie dennoch nicht 'alltäglich' sind. Problematisch ist es, wenn moderne Rollenspiele versuchen, irgendwie aus dem Rahmen zu fallen. Dann kannst Du auch einen Gegentrend erleben, der eher das Moderne mit Fantasy durchtränkt. Nimm als ls ganz krasses Beispiel das oben erwähnte SR. Im Umkehrschluss darfst Du dort fragen, wie weit Fantasythemen in moderner Verkleidung daherkommen ;)

Generell bin ich der Meinung, dass sich jede Geschichte, die ein SL als Rahmenhandlung hat, in (fast) jeder Rollenspielwelt und mit (fast) jedem System erzählen lässt. Es gibt für mich nicht die typischen Fantasythemen oder modernen Probleme. Das, was die Rahmenhandlung dann jeweils belebt, ist dann von der Welt abhängig und verschafft die jeweiligen Perspektiven (welche oben erwähnt sind).

Naja, aber vielleicht sollte ich Dich auch noch fragen, was Du für moderne Themen hältst?

@ Bitpicker:

Zitat
in dessen Vorwort eine Roman-Autorin Stellung dazu nimmt, dass das Rollenspiel eben auch ein Medium ist, in dem -sicher in einem phantastischen Umfeld- selbst solche Themen wie der Holocaust angesprochen werden können, und zwar mit vermutlich größerem Erfolg bei der heutigen Jugend als mit irgendwelchen Dokumentarfilmen oder Geschichtstexten.

Dem würde ich zustimmen, nur muss dann auch das Werk die Problematik entsprechend vielseitig und gut recherchiert behandeln ... gerade im RS-Bereich ist derartig viel Schund auf dem Markt, dass ... naja ... wir dann eigentlich bei der oben von mir angesprochenen 'Verfantasysierung' sind ;)

-gruß,
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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #11 am: 20.11.2003 | 21:29 »
Natürlich greift das Rollenspiel oft altbekannte Grene auf und verwendet sie als grundlage. Das hat den Vorteil, dass es den Spielern die Orientierung erleichtert. Die Spieler wissen, wie eine Fantasy-Welt funktioniert, sie wissen das Elfen arrogant, aber gut sind, Zwerge geldgierig und Orks blutrünstig, um das Fantays-Grene als Beispiel zu nehmen. Der SL kann damit rechnen, dass die Spieler sich innerhalb der Grenzen bewegen werden, die ihnen ihr Charakter vorschreibt. Das erzeugt ein Gefühl der Sicherheit, des Überblicks und der Kontrolierbarkeit der Ereignisse und deshalb funktioniert ein Rollenspiel, IMHO.

Wenn die Spieler absolut kein Vorwissen über die Welt und die zu erwartenden Probleme besitzen, so werden sie zögerlich und unsicher handeln und eher  aus der ungewohnten Rolle fallen und ihre eigenen Methoden zur Problemlösung anwenden, anstatt in-Charakter zu bleiben und durchzuziehen, was der Charakter täte.

Im RL ist genau diese Sicherheit und Übersichtlickeit nicht gegeben. Klischees greifen allgemein nicht, alles kann vollkommen anders sein und man ist zahlreichen, nicht von einem selbst abhängigen Einflüssen ausgesetzt denen man *vernünftigerweise* nachgeben wird. Deshalb ist das Leben so viel schwerer zu handhaben, als das Rollenspiel. Wir glauben nicht, dass wir alles ändern können nur weil es uns stört. Gewisse Dinge existieren anscheinend unabhängig und unbeeinflussbar von uns. Wir haben keine Kontrolle über sie und dieser Mangel an Einflussmöglichkeiten macht uns Angst, IMHO und verhindert, dass wir immer so handeln, wie wir es für am Besten empfinden.

Im Rollenspiel kann aber eine Sicherheit im Umgang mit der Welt aufgebaut werden, indem man sie mit bekannten und sich öfters erfüllenden Klischees anreichert. Dadurch scheint die Welt Übersichtlicher und Kontrollierbarer und das erzeugt Sicherheit. Wenn dieses Geühl der Sicherheit einmal aufgebaut ist, können Themen wie Holocaust, Massenmord und Vergewaltigungen sehr gut ins Spiel gebracht werden und die Reaktion der Spieler darauf wird ehrlicher sein, als im RL, IMHO.

Aus diesem Grund ist es notwendig, auch eine 'moderne' RPG-Welt mit Fantasy- oder anderen Grene- Klischees anzureichern. In einer annähernd realistisch ausgespielten Welt sähe sich der Spieler wieder Einflüssen ausgesetzt, denen der nicht entgehen kann und seine Freiheit wäre eingeschränkt dadurch, dass die Welt unabhängig von ihm läuft und sich nicht beeinflussen lässt oder irgendwie vorraussehbar reagiert.

Natürlich spielt man im RPG auch mit den Klischees, man bricht und verbiegt sie sogar, aber wenn man sie außer Kraft setzt, dann 'tötet' man IMHO die Erfahrung der Sicherheit, die einem das Spiel bieten kann und damit das Spiel selbst.

Offline Bitpicker

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #12 am: 20.11.2003 | 21:32 »
@ Arbo: meiner Meinung nach ist die Darstellung in dem besagten Buch hervorragend gelungen. Ein typischer Fantasy-Ansatz wäre es gewesen, allen Horror den Vampiren oder anderen Mächten zuzuordnen, aber das ist nicht geschehen: alles, was sich ereignet hat, ist das Werk der Menschen, und es gibt auch abgesetzte Texte, die die historischen Tatsachen wiedergeben.

Und da liegt auch das Hauptproblem der Fantasy in meinen Augen: ich finde, dass man Themen wie Rassismus oder Völkermord im typischen Fantasy-Rollenspiel eben nicht adäquat behandeln kann, weil Völkergruppen wie Orks ganz offensichtlich als 'Untermenschen' dargestellt und behandelt werden. In wie vielen Spielen sind denn Orks wesentlich mehr als Kanonenfutter? In wie vielen haben sie eine Kultur, die sich z. B. in Friedenszeiten mit der menschlichen mischt oder in friedlichen Kontakt kommt?

Sicher ist es möglich, so etwas zu machen, in einem Fantasy-Spiel den Orks eine menschlichere Note zu geben, sie eben nicht als minderwertig zu behandeln, aber geschieht das irgendwo? (Keine rhetorische Frage, echtes Interesse - gibt es das?) Selbst in Shadowrun sind die Orks und Trolle, also diejenigen, die besonders diskriminiert werden, eben die äußerlich schon abstoßenden Wesen. Auf der anderen Seite überschreiten die Mutationen die Grenzen der tatsächlichen Bevölkerungsgruppen, so dass die real diskriminierten Indianer ebenfalls alles von Elfen bis zu Trollen in ihren Reihen haben. Für irgend einen ordentlichen Bezug zur Gegenwart ist dieses Kuddel Muddel m. E. auch nicht wirklich geeignet.

Ein weiteres Problem typischer Fantasy-Welten ist ihr unorganischer Aufbau. Damit meine ich, dass typische Fantasy-Welten in Literatur, Film und Spiel nicht den Anschein machen, aus irgend einem Entwicklungsprozess hervorgegangen zu sein; sie haben selten eine nennenswerte und kohärente Geschichte. Ein Beispiel für eine solche Welt wäre die von Conan, bei der die Geschichte ausschließlich aus unerklärten Ruinen besteht, in der völlig unterschiedliche Völker wild durcheinander gewürfelt in Ländern wohnen, die sich in der Namensgebung und der skizzenhaften Kulturbeschreibung auf irgendwelche mythischen, religiösen oder (pseudo-)historischen Vorlagen beziehen, die ebenfalls ohne Rücksicht auf Verluste vermischt werden. So liegt z. B. das der Bibel entnommene reiche Punt plötzlich etwa da, wo heute die Schweiz ist, es wird also ein Name mit einer zeitgenössischen Assoziation verbunden und fertig.

Vor einem solchen Hintergrund entstehen keine Bezüge zu realen Situationen, weil der Hintergrund selbst nicht annähernd real ist. Z. B. kann man Sklaverei in einem historischen Setting thematisieren und aufzeigen, dass Sklaverei zwar vielleicht nach unserem heutigen Verständnis unrecht ist, in der Geschichte aber eine unabdingbare Notwendigkeit für den Erhalt vieler Zivilisationen war. In einem eigentlich unrealistischen Umfeld, das nur durch die Bereitschaft der Spieler, seine mögliche Existenz wohlwollend anzunehmen, Bestand haben kann, weil es sonst an inneren Logikproblemen zerbrechen würde, kann das nicht gleichermaßen deutlich gemacht werden.

Es gibt natürlich auch organischere Welten mit einer tatsächlich gewachsenen Geschichte, das klassische Beispiel wäre Mittelerde. Tolkien hat (mit dem Hauptaugenmerk auf Sprachentwicklung) das geschichtliche Wissen seiner Zeit und einen eigenen Mythen-Katalog mit einfließen lassen. Und dennoch sind Orks dort Untermenschen.

Da ist es wesentlich eher möglich, Diskriminierung in Lovecrafts Werken zu entdecken, bei dem alles bedrohlich und degeneriert ist, was aus fremden Ländern kommt, wo man gurgelnde Sprachen spricht. Lovecrafts Orks sind die Polen und Polynesier, nicht die Ghule; echte Menschen eben. Womit nicht gesagt sein soll, dass sich CoC für eine Behandlung des themas Rasismus besonders eignet; erfahrungsgemäß folgt der CoC-Spieler diesem politisch unkorrekten Vorbild genauso fröhlich, wie der Fantasy-Spieler Orks am liebsten dutzendweise metzelt.

Robin
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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #13 am: 20.11.2003 | 23:46 »
Zitat
Ein Beispiel für eine solche Welt wäre die von Conan, bei der die Geschichte ausschließlich aus unerklärten Ruinen besteht, in der völlig unterschiedliche Völker wild durcheinander gewürfelt in Ländern wohnen, die sich in der Namensgebung und der skizzenhaften Kulturbeschreibung auf irgendwelche mythischen, religiösen oder (pseudo-)historischen Vorlagen beziehen, die ebenfalls ohne Rücksicht auf Verluste vermischt werden. So liegt z. B. das der Bibel entnommene reiche Punt plötzlich etwa da, wo heute die Schweiz ist, es wird also ein Name mit einer zeitgenössischen Assoziation verbunden und fertig.
Ich weiß nicht, ob du die Neuauflage der Geschichten des Conan-Erfinders Robert E. Howard gelesen hast, aber Conans Welt ist kein Ergebniss eines ahistorischen Schöfpungsprozesses. Howard hat sich durchaus die Mühe gemacht, die grobe Entwicklung seiner Welt und deren Bewohner niederzuschreiben, aber eben nur die grobe. Die Entwicklung überstreckt sich nämlich über Jahrtausende, in der Teile der Menschheit immer wieder auf die Stufe der Tiere zurückfallen, sich aus Zufall heraus wieder aus der Tierhaftigkeit erheben irgendwann wieder untergehen.
Das Hyperboräische Zeitalter Conans ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt, den er wählte. Der ganze Große Rest der Geschichte ist dazu da, um eine grobe Genanologie der Völker,ihrer Bewegungen und die Entwicklung ihrer Eigenheiten festzulegen.

Die Namen hat er bewusst gewählt, er wollte eine Welt schaffen, die den Leser an untergegangene Zeiten denken lässt. Dies schien ihm das geeigneteste Mittel.

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #14 am: 21.11.2003 | 00:24 »
Sicher ist es möglich, so etwas zu machen, in einem Fantasy-Spiel den Orks eine menschlichere Note zu geben, sie eben nicht als minderwertig zu behandeln, aber geschieht das irgendwo? (Keine rhetorische Frage, echtes Interesse - gibt es das?)

WarCraft, 4. Zeitalter in dem die Orks den Blutfluch eines Dämonen abgeschüttelt haben. Das ist eben jenes Zeitalter, in dem das Rollenspiel angesiedelt ist.

Obwohl ich denke das ein Computerrollenspiel nicht zählt, würde "Arcanum" die Anforderung an eine viktorianische Fantasy-Spielwelt erfüllen. Orks sind auch dort etwas ungestalt und nicht ganz "rüpelhaft" sind aber mit der menschlichen/elfischen Gesellschaft durchmischt.
« Letzte Änderung: 21.11.2003 | 00:47 von Dogio »

Offline blut_und_glas

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #15 am: 21.11.2003 | 01:06 »
Sicher ist es möglich, so etwas zu machen, in einem Fantasy-Spiel den Orks eine menschlichere Note zu geben, sie eben nicht als minderwertig zu behandeln, aber geschieht das irgendwo? (Keine rhetorische Frage, echtes Interesse - gibt es das?)

WarCraft, 4. Zeitalter in dem die Orks den Blutfluch eines Dämonen abgeschüttelt haben. Das ist eben jenes Zeitalter, in dem das Rollenspiel angesiedelt ist.

Obwohl ich denke das ein Computerrollenspiel nicht zählt, würde "Arcanum" die Anforderung an eine viktorianische Fantasy-Spielwelt erfüllen. Orks sind auch dort etwas ungestalt und nicht ganz "rüpelhaft" sind aber mit der menschlichen/elfischen Gesellschaft durchmischt.

Earthdawn könnte man ebenfalls einreihen.

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #16 am: 21.11.2003 | 10:29 »
DSA auch, wenn ich mich nicht täusche - da sind die Orks ja auch einfach sowas wie (nicht ganz so) Edle Wilde.

Oder täusche ich mich da?

@Arbo
Ich möchte keinesfalls, dass der Eindruck aufkommt, ich hätte was dagegen, echte Themen in der Fantasy zu verwenden - im Gegenteil: Das kann sehr gut funktionieren. Aber mich selbst macht halt Fantasy einfach nicht mehr an (obwohl ich immer noch Bock hätte, eine schöne düstere und sinnliche Sword & Sorcery Kampagne zu leiten - back to the roots halt).

Rollenspiele - wie die meisten Medien - arbeitet mit Stereotypen, wie es bei Walter Lippmann heisst: Komplexe Sachverhalten und Verhaltensweise werden auf leicht verständliche Muster heruntergebrochen: Das vereinfacht die Identifizierung und schafft eine gemeinsame Basis.

Aber Bitpickers Einwand zum Rassismus im Rollenspiel hat Hand und Fuß: Durch die Einführung der Fantasy-Rassen wurde dieser Themenkomplex meist elegant ausgeklammert. Und auch das Gut-Böse Schema der Fantasy macht das Genre auch nicht besser: Aber vielleicht führt die Unzufriedenheit damit auch zu diesen ganzen Dark Fantasy Welten.

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #17 am: 21.11.2003 | 11:42 »
@ Bitpicker:

Das von Dir benannte Buch kenne ich nicht und deswegen kann ich zum konkreten Werk nichts sagen. Allerdings geistert irgendwo im "D20"-Forum z.B. ein Strang rum, in dem u.a. "Oberflächlichkeiten" bzgl. der Charakterisierung etwas kritisiert wurde (Stichwort: Nationalitäten). Mein Einwurf war deshalb nur als Ergänzung gedacht, weil es offensichtlich auch Schund gibt.

Zitat
ich finde, dass man Themen wie Rassismus oder Völkermord im typischen Fantasy-Rollenspiel eben nicht adäquat behandeln kann, weil Völkergruppen wie Orks ganz offensichtlich als 'Untermenschen' dargestellt und behandelt werden. In wie vielen Spielen sind denn Orks wesentlich mehr als Kanonenfutter? In wie vielen haben sie eine Kultur, die sich z. B. in Friedenszeiten mit der menschlichen mischt oder in friedlichen Kontakt kommt?

Sicher ist es möglich, so etwas zu machen, in einem Fantasy-Spiel den Orks eine menschlichere Note zu geben, sie eben nicht als minderwertig zu behandeln, aber geschieht das irgendwo? (Keine rhetorische Frage, echtes Interesse - gibt es das?)

Ich muss Dir da komplett widersprechen. Rassismus und Völkermord SIND Themen, die sich auch wunderbar für Fantasy eignen. Hier ist ggf. nur von einer anderen Seite heran zu gehen - andere Blickwinkel. Und wenn Spielercharaktere damit nicht klarkommen, ist es durchaus auch O.K., wenn sie anders handeln (a la "Nee, den Trupp Orken haue ich nicht um ... der besteht doch nur aus Verwundeten und ist eh auf dem Rückzug.") ... dann haben sie sich allerdings mit den Konsequenzen der Spielwelt auseinander zu setzen.

Und darin unterscheidet sich Fantasy von Jetztzeit. Wo ein Massenmord heute in aller Regel verurteilt wird, sieht man es in den Fantasybereichen nicht so ernst. Aber ... WIR leben in der Jetztzeit, d.h. der Konflikt bleibt. Und genau darum geht es eigentlich, wenn ein SL mit bestimmten Themen arbeiten will. Eine Vorschrift, wie sich die Spieler zu verhalten haben, setze ich z.B. nie - soweit gehe ich nicht.

Aber Du hast Recht. Viele Rollenspiele aus dem Fantasybereich gehen nicht über das "Kanonenfutterniveau" hinaus. Wer da was ändern will, muss SELBST etwas ändern. Ich mache dies ständig (bei Bedarf kann ich Dir gern ein Praxisbeispiel einer meiner letzten Runden geben). Ich persönlich wehre mich deshalb etwas dagegen, dass, wenn etwas im Rollenspielsystem nicht erwähnt wird, man deshalb "oberflächlich" mit diesen Themen umgehen muss.

Andererseits gebe ich auch zu, dass der Wunsch jener Spieler, die sich "Oberflächlichkeit" wünschen, respektiert werden muss. Es muss nicht immer die "Moralkeule" geschwungen werden ;)

Zitat
Selbst in Shadowrun sind die Orks und Trolle, also diejenigen, die besonders diskriminiert werden, eben die äußerlich schon abstoßenden Wesen. Auf der anderen Seite überschreiten die Mutationen die Grenzen der tatsächlichen Bevölkerungsgruppen, so dass die real diskriminierten Indianer ebenfalls alles von Elfen bis zu Trollen in ihren Reihen haben. Für irgend einen ordentlichen Bezug zur Gegenwart ist dieses Kuddel Muddel m. E. auch nicht wirklich geeignet.

Das Problem auch hier ... was auf Rollenspielebene daraus gemacht wird. Ich kann da nicht aus eigenen Erfahrungen sprechen, aber ein Bekannter von mir, der regelmäßig SR spielt, regte sich mal auf, dass ebene jene Probleme die bei Orken oder Trollen entstehen können (nicht nur Diskriminierung) oft gar nicht ausgespielt werden.

Zitat
Ein weiteres Problem typischer Fantasy-Welten ist ihr unorganischer Aufbau. Damit meine ich, dass typische Fantasy-Welten in Literatur, Film und Spiel nicht den Anschein machen, aus irgend einem Entwicklungsprozess hervorgegangen zu sein; sie haben selten eine nennenswerte und kohärente Geschichte.

Damit sprichst Du m.E. ein schwieriges Problem an, welches sich allerdings auch nicht nur auf die Fantasy verallgemeinern lassen kann. Wie soll eine Rollenspielwelt aufgebaut sein? Dynamisch oder eher starr? Hat sich eine Rollenspielwelt entwickelt? Darf sie sich entwickeln?

Ich meine, es lassen sich durchaus Beispiele für gut ausgearbeitete Welten finden. Dieser Punkt kann durchaus bearbeitet werden. Nur wie macht man das aber mit der Dynamik? Dies geht m.E. nur bei Welten, die als Produktreihe auch entsprechend gefördert werden - siehe Zeitreihe bei DSA oder ggf. auch bei SR.

Zitat
In einem eigentlich unrealistischen Umfeld, das nur durch die Bereitschaft der Spieler, seine mögliche Existenz wohlwollend anzunehmen, Bestand haben kann, weil es sonst an inneren Logikproblemen zerbrechen würde, kann das nicht gleichermaßen deutlich gemacht werden.

Fragt sich, wie realistisch "Reallife"-Rollenspiele sind. Wird da nicht auch simplifiziert was das Zeug hält? Ist man da als SL nicht auch auf die Bereitschaft der Spieler angewiesen?

Zitat
Tolkien hat (mit dem Hauptaugenmerk auf Sprachentwicklung) das geschichtliche Wissen seiner Zeit und einen eigenen Mythen-Katalog mit einfließen lassen. Und dennoch sind Orks dort Untermenschen.

Stimmt schon, nur hat der die Orken absolut miserabel beschrieben ... passt aber in den Kontext seiner Heldensaga (wo soll denn bitteschön ein Held Held sein können, wenn die Gegner nicht abgrundtief böse sind ;) ).

An dieser Stelle nochmal mein Alltime-Tipp zum Thema Orken. Mal unabhängig von allen womöglichen Vorurteilen bzgl. DSA kann ich Dir nur den Quellenband (das Quellenmaterial) bzgl. Svelttal bzw. Orkenland (???) wärmstens empfehlen. So schön und super wie dort habe ich sonst nirgends Orken beschrieben gefunden.

Zitat
Womit nicht gesagt sein soll, dass sich CoC für eine Behandlung des themas Rasismus besonders eignet; erfahrungsgemäß folgt der CoC-Spieler diesem politisch unkorrekten Vorbild genauso fröhlich, wie der Fantasy-Spieler Orks am liebsten dutzendweise metzelt.

Sag ich doch ... liegt alles daran, was man im Rollenspiel daraus macht ;)

Auf der anderen Seite stelle ich es mir aber auch schwer vor, z.B. das Thema Rassismus in einem Jetztzeitrollenspiel zu bearbeiten.  Ist aber nur meine Meinung (mein Geschmack ;) ).

-gruß,
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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #18 am: 21.11.2003 | 11:42 »
@ Jestocost:

Zitat
Aber mich selbst macht halt Fantasy einfach nicht mehr an (obwohl ich immer noch Bock hätte, eine schöne düstere und sinnliche Sword & Sorcery Kampagne zu leiten - back to the roots halt).

Ich glaube, darin liegt wahrscheinlich des Pudels Kern ;)

Zitat
Aber Bitpickers Einwand zum Rassismus im Rollenspiel hat Hand und Fuß: Durch die Einführung der Fantasy-Rassen wurde dieser Themenkomplex meist elegant ausgeklammert. Und auch das Gut-Böse Schema der Fantasy macht das Genre auch nicht besser: Aber vielleicht führt die Unzufriedenheit damit auch zu diesen ganzen Dark Fantasy Welten.

Ich möchte dem nicht gänzlich widersprechen, da es durchaus so sein kann. Allerdings muss dann natürlich auch gefragt werden, ob dies bewusst so geschehen ist. Und dann wird wieder völlig außer Acht gelassen, dass es nicht die Regelwerke und auch nicht die Macher von Rollenspielen sind, welche in erster Linie Rollenspiel betreiben, sondern die Rollenspieler selbst. Wird also die Oberflächlichkeit der Regelwerke wirklich übernommen oder machen Rollenspieler etwas besseres daraus?

Den Begriff Dark-Fantasy halte ich übrigens für einen recht guten Marketing-Trick - mehr nicht. Sicherlich kann es Unzufriedenheit bei den Spielern geben. Mir zeigt sich dadurch aber eher das Unvermögen, selbständig etwas kreativ umzugehen. Es gibt genügend Regelwerke und Welten, die auch schon vor Dark-Fantasy-Zeiten dark waren (oder gespielt wurden) ;) Wenn ich danach gehe, habe ich immer schon dark gespielt.

Und wenn Du dass zum Anlass nimmst, aufzuzeigen, dass Fantasy-Rollenspiele 'modern' (realistischer, dark) werden, kann ich im Gegenzug nur nochmals auf die Tendenz von modernen Rollenspielen hinweisen, welche stärker durch Fantasy-Elemente getragen werden.

Ich denke, der Kern liegt in dem, was Du für Dich oben schon richtig erkannt hast. Etwas macht Dich nicht mehr so sehr an. Mit anderen Worten: Es ist Geschmacksache.

Wer Fantasy nicht mag, dem kann ich ein Problem wie Rassismus nicht im Fantasyoutfit anbieten - es muss von mir anders umgesetzt werden. Wenn im Gegenteil jemand dieses Genre mag, dann werde ich eine entsprechende Thematik eben in eine Fantasywelt einbetten (müssen).

Über entsprechenden Geschmack zu streiten ist m.E. mühselig und bringt nicht viel. Und etwas anderes ist es im Endeffekt auch nicht: Es wird um Geschmack gestritten.

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #19 am: 21.11.2003 | 13:43 »
Ich weiß nicht, ob du die Neuauflage der Geschichten des Conan-Erfinders Robert E. Howard gelesen hast, aber Conans Welt ist kein Ergebniss eines ahistorischen Schöfpungsprozesses.

Ich habe nicht alle Conan-Romane gelesen und möchte nicht behaupten, dass ich die Howard-Romane von denen späterer Autoren unterscheiden kann; ich stütze mich weitestgehend auf die Beschreibungen der Gegenden usw. in 'Erhard Ringer - Das Conan Universum', das im übrigen auch Howards Vorüberlegungen enthält. Das Ganze macht auf mich nicht den Eindruck einer homogenen Geschichte, was vielfach aber auch daran liegen mag, dass eben Begriffe aus der Realwelt (Pikten, Atlanter, Lemurier, Stygien, Punt, Asgard, Anaheim usw.) ohne Sinn und Verstand durcheinandergewürfelt werden; eben nur für den Effekt, dass man an etwas Altes denkt.

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #20 am: 21.11.2003 | 13:52 »
@ Arbo:

In den meisten Fällen ist es aber so, dass man eine Menge Arbeit investieren muss, um die Orks oder was auch immer aus dem Sumpf der Untermenschlichkeit zu holen, weil das Regelwerk sie eigentlich nur als 'das Böse' darstellt. Wenn du ein in der Realwelt angesiedeltes Spiel spielst, gibt es dieses Problem nicht; jede unterdrückte Bevölkerungsgruppe hat eine recherchierbare Geschichte und Kultur, die man einfließen lassen kann. Außerdem ist es meist einfacher, die Spielercharaktere gleich zu den Unterdrückten zu machen...

Jedenfalls muss ich sagen, dass meine Recherchen zur Epoche von Hammurabi (Babylon 1700 v.u.Z.) und zur Besiedlung Englands durch die Angelsachsen (450 u.Z.) binnen kurzem eine Fülle an historischem kulturellem Material ergeben haben, die jede mir bekannte Fantasy-Welt aus RPG und Literatur weit in den Schatten stellt.

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #21 am: 21.11.2003 | 13:54 »
Im Prinzip haben sowohl Bitpicker als auch Ianus Recht. Howard hat zwar eine mehr oder minder historische Übersicht über die Entwicklung seiner Völker zusammengeschrieben, aber meines Wissens auch erst später. Und sein Hyborisches Zeitalter wimmelt von Anachronismen und Logikfehlern - aber das sollte niemand stören: Es kommt einfach cool rüber.

Aber nochmal zum Thema:

Bis auf Shadow Run und wahrscheinlich Nobilis haben die meisten Rollenspiel doch eher Genres recyclet. Ist natürlich kein Wunder, da ein Rollenspiel ja auf etwas bekanntem aufsetzen muss, um Spieler zu gewinnen - sonst müsste man ja in einem Vakuum beginnen (diese Nähe zum bekannten hat z.b. auch dafür gesorgt, dasss eine wirklich geniale Spielwelt wie Tekumel kaum bekannt ist).



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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #22 am: 21.11.2003 | 18:24 »
@ Bitpicker:

So, jetzt bin ich mal ganz gemein ;)

Du schreibst ...

Zitat
In den meisten Fällen ist es aber so, dass man eine Menge Arbeit investieren muss, um die Orks oder was auch immer aus dem Sumpf der Untermenschlichkeit zu holen, weil das Regelwerk sie eigentlich nur als 'das Böse' darstellt.

und dann sofort im Anschluss

Zitat
Wenn du ein in der Realwelt angesiedeltes Spiel spielst, gibt es dieses Problem nicht; jede unterdrückte Bevölkerungsgruppe hat eine recherchierbare Geschichte und Kultur, die man einfließen lassen kann. Außerdem ist es meist einfacher, die Spielercharaktere gleich zu den Unterdrückten zu machen...

Für mich ist es vom Aufwand her nun kein Unterschied, ob ich mir einen neuen Hintergrund ausdenken oder ob ich für eine Bevölkerungsgruppe einen Hintergrund nachrecherchieren muss.

Bitte nicht falsch verstehen. Ich sehe es so ähnlich wie Du, dass in manchen Regelwerken, Welten und Systemen bspw. Orken sehr stark vereinfacht als DAS Böse dargestellt werden - der Freibrief zum Metzeln.

Nur sind wir mal ganz ehrlich ... bei den sogenannten modernen Rollenspielen ist das genau so. Wie Jestocost oben richtig schrieb, wird im Rollenspiel verallgemeinert. Da ist es egal, ob es sich um ein Fantasyrollenspiel oder um ein modernes Rollenspiel handelt. Die 0815-Helden-Epen funktionieren nun mal immer bei einer Schwarz/Weiß-Betrachtung.

Richtig interessant wird es, wenn die Zwischentöne einfließen. Wenn das Schwarz/Weiß verwischt wird und einen Grauton annimmt. Wenn Du so willst, ist es das, was ich als modernes Rollenspiel verstehe. Und dies ist für mich unabhängig vom jeweiligen Genre.

Zitat
Jedenfalls muss ich sagen, dass meine Recherchen zur Epoche von Hammurabi (Babylon 1700 v.u.Z.) und zur Besiedlung Englands durch die Angelsachsen (450 u.Z.) binnen kurzem eine Fülle an historischem kulturellem Material ergeben haben, die jede mir bekannte Fantasy-Welt aus RPG und Literatur weit in den Schatten stellt.

Unbestritten ... und damit wirst Du Material in die Hände bekommen haben, welches vielleicht jede herkömmliche Fantasyrunde extrem aufwerten kann. Dies ist u.a. auch das, was ich als modern bezeichnen würde. Modern ist, aus dem S/W-Rahmen auszubrechen.

Die Tendenz, einen festen Rahmen zu stricken, ist aber nicht nur eine Krankheit von Fantasyrollenspielen.

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #23 am: 21.11.2003 | 23:32 »
@ Bitpicker:

So, jetzt bin ich mal ganz gemein ;)

(...)

Für mich ist es vom Aufwand her nun kein Unterschied, ob ich mir einen neuen Hintergrund ausdenken oder ob ich für eine Bevölkerungsgruppe einen Hintergrund nachrecherchieren muss.

Das ist nicht gemein, das ist wahrscheinlich der Unterschied zwischen uns. Recherchieren muss ich den Hintergrund in einem Fantasy-Spiel auch, wenn er groß genug ist (was habe ich Stunden damit verbracht, in den Vampire- und anderen Regelwerken die offiziellen Aussagen über die genannten Zeiträume zusammenzusuchen). Und weil ich Recherche einfach liebe, macht mir das auch nichts aus; während 'selbst erfinden' für mich wirklich ätzend ist. Meine Fantasie ist einfach nicht so krank wie die wirkliche Welt.

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Re:Rollenspiel und Cultural Studies
« Antwort #24 am: 15.12.2003 | 03:52 »
@ Arbo:

In den meisten Fällen ist es aber so, dass man eine Menge Arbeit investieren muss, um die Orks oder was auch immer aus dem Sumpf der Untermenschlichkeit zu holen, weil das Regelwerk sie eigentlich nur als 'das Böse' darstellt.

imho macht gerade das die kritische auseinadersetzung mit dem thema gut möglich:

irgendein kleriker metzelt orks wie nichts, und irgendwann träumt er (visonär) aus der sicht der opfer eines massenmörders, der die kleidung seines ordens trägt.

als "guter" will er nun diesen massenmörder seiner gerechten strafe zuführen. und irgendwann muss er feststellen: er selbst wars (aus der sicht der opfer sieht er ja die opfer nicht.

sobald dann kommt "aber orks sind doch böse" kann man fragen, warum. sobald sowas wie "aber in den regeln.." kommt, kann man kontern, dass da steht "der meister hat recht".
alle anderen erklärungen kann man recht einfach wiederlegen.

gerade das "wissen", das orks böse sind, was aus einer "unfehlbaren" quelle stammt, ist doch die perfekte darstellung des fundamentalismus. das gibt auch dem dümmsten genug zu denken ;)