Ganz kurz ein paar Gedanken zum Topic:
1. "Dreckig" und "heldig" kann ich schlecht als zwei Seiten eines Spektrums wahrnehmen. "Dreckig" scheint mir immer eher auf das Setting abzuzielen. Also: Welche Themen, Elemente etc. kommen vor? Welche Stimmung wird aufgebaut? Neo Noir zum Beispiel, das ist nach der Definition eher dreckig.
"Heldig" hingegen scheint mir eher eine Verortung eines SCs in einem Macht- und Rollenspektrum zu sein: Welche Rolle spielt der SC in der Welt? Wie stark ist er? Wie geht er die Probleme, die sich ihm stellen an (oder besser, wie wird der SC dabei präsentiert)? Mit einem Helden verbinde ich (im Gegenteil zu einem bloßen
Protagonisten) einen Hang zum Mythologischen, zum Aktiven, zum Selbstaufopfernden. Luke Skywalker ist ein Held. Hamlet ist keiner. Beides sind Protagonisten. Und beide sind, finde ich, nicht auf der absolut bösen Seite zu verorten.
Das bedeutet auch: Es gibt "dreckige Helden". Das wäre am ehesten das, was man unter dem "moralisch grauen Helden" verstehen würde. Der Antiheld quasi. Batman. Jack Sparrow. Walter White. Rick Grimes. (mal aufsteigend nach "Dreckfaktor").
"Heldig" sind die irgendwie alle, denn sie haben klassische Attribute von Helden. Wobei nicht alle so überlebensgroß und opferbereit sind, wie Helden in der Regel gedacht werden.
Bezogen auf das Setting bräuchten wir, finde ich, einen anderen Begriff. Ich schlage
idyllisch oder
freundlich vor. Vor allem das erste scheint mir ein gutes Gegenstück zu dreckig zu sein.
Ein Gegenteil von "heldig" fällt mir aber gerade nicht ein. Dafür hat das Wort für mich zu viele Einzelaspekte.
2.Ich habe keine Ahnung, was
dreckiger und
am dreckigsten sein soll. Wo fängt das an, wo hört das auf? Zurück zum Beispiel Neo Noir. Ist "Sieben" noch dreckiger oder schon am dreckigsten? Ist "Casablanca" dreckig? Wie steht's mit "Fluch der Karibik"? Dreckig? Also ich habe keine Ahnung, was das für ein Spektrum ist und was wozu gehört.
Fast man "dreckig" und "normal" ein bisschen milder, bin ich sogar der Ansicht, dass so gut wie
kein Rollenspielsetting auf dem Markt ist, die Definition von "heldig" (bzw. idyllisch/freundlich) überhaupt erfüllt. Aventurien ist normal, denke ich. Shadowrun ist irgendeine Form von dreckig. D&D ist normal. Exalted ist dreckig. Legend of the Five Rings ist dreckig. Der Eine Ring ist normal.
Selbst mit der Dualität "gut/böse" kommt man da nicht weit. Die meisten Rollenspielsettings sind an moderne Seh-/Lesegewohnheiten angepasst. Bedeutet: Massig Grautöne. Überall Ambivalenzen. Und ich glaube, wenn wir ehrlich sind, spielen wir unterbewusst auf diese Sachen hin.
Wirklich "idyllisches" Rollenspiel ist nur da möglich, wo die Konflikte auch keine dreckigen Elemente beinhalten. Mir fielen ein:
- Golden Sky Stories (niedliche Tiergeister in einem japanischen Dorf, die Konflikte laufen ohne Gewalt oder Psychoterror ab und sind relativ harmlos)
- Do: Pilgrims of the Flying Temple (nur mutmaßlich, die Konflikte können krass sein, aber das ist nicht im Sinne des Spiels)
- Plüsch, Power und Plunder (man spielt Stofftiere, also geht's auch da wohl eher harmlos zu)
Und ab da fällt mir schon nichts mehr ein... ich glaube die meisten Settings lassen diverse moralisch ambivalente Hintertüren offen.
3.Ich verstehe diese Streiterei zwischen den Befürwortern "Nein, mein Charakter muss sich heldenhaft und moralisch gut verhalten, sonst ist er kein guter Charakter" und den Befürwortern "Nein, mein Charakter muss sich unmoralisch verhalten, sonst ist er kein guter Charakter" überhaupt nicht.
Es geht nicht um die Moralität eines Charakters, sondern um die Ausgestaltung. Ein Charakter wird nicht dadurch interessant, dass er moralisch verwerfliche Dinge tut. Und er wird auch nicht dadurch sympathisch, dass er moralisch gute Dinge tut. Beides hängt davon ab,
wie seine Gründe aussehen. Tiefe entsteht durch Motivation, nicht durch die Moral des Charakters. Zumindest sehe ich das so.
Die Frage ist nicht, ob ein Charakter eine Missetat begehen würde, sondern warum er sie begehen würde. Und wenn man das weiß und der Charakter seine Moral an die Situation anpasst, in der er gerade ist... dann erst habe ich das Gefühl, er ist ein runder Charakter. Wenn er moralische Prinzipien hat, die miteinander in Konflikt stehen. Sogar der vielzitierte ach-so-heldige "Herr der Ringe" hat das auf dem Schirm.
Boromir is conflicted. Aragorn is conflicted. Frodo is conflicted. Es ist keine Frage von "ist der gut oder ist der böse". Tatsächlich kann ich diese komischen Moralbegriffe nicht mehr hören. Sorry, wenn's jetzt rantig wird, aber die sind für mich für die Mülltonne. Ein Charakter braucht innere, moralische Hürden, damit ich ihn langfristig spielen will. Sonst kann ich's gleich sein lassen.
4.So, dann antworte ich mal auf die Frage: Alle meine Lieblingscharaktere waren
moralisch ambivalente Charaktere. Bei den Meisten hat am Ende das Gute gewonnen, aber meine Settings bevorzuge ich trotzdem mit
einem Hauch von Dreck. Nicht immer, denn ich liebe "Golden Sky Stories" und gucke mit meiner Frau gerade die "Full House"-Serie durch. Also durchaus Platz für Idylle. Aber: Eine meiner Hauptspaßquellen im Rollenspiel sind moralische Dilemmata. Ich habe nicht mal wirklich ein Problem mit Ausweglosigkeit, solange sie der Spielgruppe klar kommuniziert wird und nicht herbeigerailroadet wird. All das kriege ich am ehesten in dreckigen Runden. Zumindest in leicht dreckigen Runden.
That's how I roll.