Aus meinen Erfahrungen (mit Charakteren beider Seiten) muss ich sagen das mich "die Bösen" bei weitem mehr reizen als "die Guten".
Wenn ich ein wenig darüber nachdenke ist es in meinen Augen vergleichbar mit der Faszination welche die Nazis auch heute noch auf uns ausüben können: Wie kann ein empfindungsfähiger, intelligenter Mensch ein ideologisches System wie den Faschismus schlucken, und - in genug belegten Fällen - ohne jede Reue auf begangene Gräuel zurückblicken.
Sprich: Mich reizt der innere moralische Konflikt - oder eben die Gründe des Fehlens dieses Konfliktes.
Um das Ganze etwas konkreter zu machen stelle ich einen am "tiefsten" bespielten Charakter vor:
Meinen dunkelelfischen Vhaeraun-Kleriker, Andrzhel. Und da ich vorhin noch über die moralischen Tiefen geschwafelt habe erspare ich euch den Werte- und Skillporn
- und gehe statt dessen eher auf seinen Charakter, seine Motivation und Werte ein.
Die grundlegende Motivation / die Ziele:
* Als erfahrener Kleriker sieht er sich als Stimme, Faust und Werkzeug seines Gottes. Eine positiv verlaufene Begegnung mit Vhaeraun hat seine Ergebenheit vertieft, und er sieht sich in seinem Vorgehen bestätigt. Sprich: Ein religiöser Fanatiker.
* Die zweite große Motivation (auch religiös bedingt) ist der gesellschaftliche Umsturz der dunkelelfischen Gesellschaft:
Sturz der Lolth-Herrschaft, Auflösung des Matriarchats, Einstellung des Infights zwischen den Adelshäusern, Rückkehr an die Oberfläche.
Sprich: Ein Fanatiker mit einer Mission.
Seine normale Vorgehensweise um seine Ziele zu erfüllen ist
1. Unterwanderung: Als Hidden Priest (Pathfinder Cleric Variante) fällt es ihm nicht sonderlich schwer als Barde zu erscheinen. Und wenn das nicht klappt ist er auch noch ein begabter Koch.
2. Ein Netzwerk aufbauen: Unzufriedene oder verführbare / bekehrbare Dunkelelfen werden rekrutiert.
3. Zuschlagen: Nun wird getan was nötig ist. Mord, Entführung, Erpressung, Folter, Dämonenbeschwörung, Untote basteln.. alles für das Wohl der Drow. Und wenn möglich als schattenhafter Manipulator im Hintergrund. Schliesslich ist z.b. der Sturz eines Adelshauses schlichtweg zu viel Arbeit für eine Person. Und eine aufgedeckte Tarnung ist als Assasinenkleriker und Infiltrator nutzlos für die Zukunft.
Was heisst das für das eigentliche Spiel (als einziger böser Charakter in einer neutralen bis guten Runde):
A. sieht seine Mitstreiter als nützliiche Werkzeuge an. Sie werden benutzt, und wenn nötig dem höheren Ziel geopfert - das hatte beinahe zu einem Charaktertod geführt als er diejenige einer drohenden Gefahr entgegenwarf um selbst davon zu kommen. Es sind keine Dunkelelfen, damit sind sie Lebewesen zweiter Klasse.
Seine Rolle als Heiler und Supporter nimmt er widerstrebend war, nachdem es inzwischen einen SC-Gruppenvertrag gibt - als Rechtschaffen böser Charakter fühlt er sich er daran gebunden. Da inzwischen Verrat (seinerseits) durch den Vertrag weitestgehend ausgeschlossen ist hat sich seine Bereitschaft "dem nutzlosen Pack" zu helfen auch erhöht.
Hauptsächlich spiele ich ihn aber als provokativen Advocatus Diaboli, der mit philosophischen Fangfragen ("Ihr seid gegen Sklaverei? Erklärt mir doch bitte den Unterschied zu euren feudalen Leibeigenen" "Willst du mir ernsthaft sagen das du nicht bereit wärst mich auszuliefern wenn ich deinen Zielen im Weg stehe? Dann erspar mir das idealistische Rede von Loyalität und Freundschaft") sehr viel mehr "Schaden" an den Gesinnungen der Mitstreiter angerichtet hat als durch aktive Bekehrung.
Wie sieht er die Traditionen der Dunkelelfen (Folter, Meuchelmord, Sklaverei, Untote, Dämonen):
Positiv. Er begründet das sehr sozialdarwinistisch als Überlebensvorteil der Dunkelelfen, notwenige Mittel und Stärke seiner Rasse gegenüber den weichherzigen und naiven Oberflächenbewohner.
Ich musste mir im Vorfeld einen Haufen Gedanken machen, um dem Charakter ein schlüssiges Weltbild zu geben das von "Ich bin ein Pöser Drow.. Rawr..rawr.. muhaha" abweicht, aber in meinen Augen hat sich die Mühe gelohnt.
Und es hat mir definitiv geholfen um (auf abstrakte Weise) ansatzweise nachzuvollziehen, wie man eine korrupte und verdrehte Gesinnung vor sich selbst rechtfertigt.
Ich hoffe der Post konnte etwas helfen, und liest sich nicht allzu wirr. Es ist nicht immer ganz einfach für mich, die Denkarbeit welche in einem Charakter steckt niederzuschreiben.
Eure Rückmeldung würde mich interessieren, hört sich das auch für euch durchdacht an, oder nach "ich will halt böse spielen, lasst mich doch"