Autor Thema: Im Gaslicht  (Gelesen 4152 mal)

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Online JohnnyPeace

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Im Gaslicht
« am: 29.11.2016 | 21:36 »
Moin! Im Prinzip ist dies keine cthulhu-spezifische Frage, aber ich wusste nicht recht, wo ich sie sonst stellen sollte.

Wir spielen eine Kampagne, aktuell in New York, im Gaslicht-Setting und ich bin auf der Suche nach Szenen oder Begebenheiten, die die Zeit oder den Zeitgeist des Gaslicht-Zeitalters generell (bzw. in Amerika bzw. in NY) gut illustrieren.
So etwas wie der Kontrast zwischen den ersten hochmodernen, nach Ozon riechenden Stromleitungen am Straßenrand und den handbeladenen Segelschiffen auf der anderen Seite.

Kann mir da jemand Hilfestellung leisten und hat ein paar gute und stimmige Elemente? Es geht mir nicht um ganze Handlungsstränge, eher um Szenen, die die Stimmung kolorieren. Oder ggf. gute Quellen für sowas?

Auf jeden Fall vielen Dank!  :)
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Offline Scimi

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #1 am: 29.11.2016 | 21:52 »
Cthulhu Gaslight spielt ja in den 1890ern. Aber speziell in New York endet das Gaslichtzeitalter 1880 mit der elektrischen Beleuchtung des Broadway, bis 1884 erstrahlen alle wichtigen Straßen in Manhattan In Glühlampenlicht. Speziell New York ist Ende des 20. Jahrhunderts verglichen mit Metropolen wie London, Paris und Berlin eine Science Fiction-Stadt mit Hochhäusern, elektrischem Strom und Automobilen.

Da zu der Zeit der technische Fortschritt deutlich sichtbare Sprünge macht, wäre es interessant, zu wissen, wann genau ihr denn spielen wollt.

Online JohnnyPeace

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #2 am: 30.11.2016 | 08:02 »
Danke für die Info mit der elektrischen Beleuchtung in Manhattan.

Da zu der Zeit der technische Fortschritt deutlich sichtbare Sprünge macht, wäre es interessant, zu wissen, wann genau ihr denn spielen wollt.

Ok, wenn Du so präzise Beispiele machen kannst, ist das ja super. 1890 - 1893 ist das Zeitfenster. Wobei wir jetzt nich 100% Wert auf historische Akkuratheit legen.
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Offline Scimi

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #3 am: 30.11.2016 | 12:13 »
Ich bin kein Historiker und bei Recherche fürs Rollenspiel achte ich vor allem darauf, was mich interessiert inspiriert, auch wenn ich mich dabei auf Unwichtiges konzentriere, Wichtiges in den Hintergrund stelle und manche Ereignisse ein paar Jahre vor- oder zurückverlege.

Nach dem Ende des Sezessionskriegs (1865) beginnt für die USA ein Goldenes Zeitalter mit gewaltigem Wirtschaftsboom und rasendem technologischen Fortschritt und hängt dabei langsam das alte Europa ab, was von Krisen und Konflikten, alten Eliten und politischen Verstrickungen gebremst wird. Um das ganze Wachstum zu ermöglichen, hat man seit Jahren millionen von Einwanderern aus Irland, Deutschland und Skandinavien angeworben.
In den 1870ern beginnt aber weltweit ein wirtschaftlicher Rückgang, der "Große Depression" genannt wurde und die USA weniger arg trifft als Europa und keinesfalls so vernichtend ist, wie es die "Große Depression" 1930+ sein wird. Richtung 1885 werden auch die Zuwanderer nicht mehr benötigt, gleichzeitig beginnt 1890 herum eine Einwanderungswelle aus den ärmeren und rückständigeren Ländern Süd- und Osteuropas, was vielen Amerikanern missfällt.

New York steht im Zentrum des Ganzen, einerseits ein Wirtschaftszentrum mit viel Reichtum, das es sich leisten kann, praktisch das Showcase des amerikanischen Fortschritts zu sein und dessen Bewohner stolz darauf sind, dass neue Erfindungen ihre Stadt ständig verändern. Andererseits das Haupteinfalltor für Einwanderer mit schrecklichen ungelösten sozialen Problemen.

Die positive Seite lässt sich gut mit dem Stand der Technik und Kultur zu der Zeit darstellen.
Was zum Alltag gehört (wenn auch nicht für jeden erschwinglich ist):
- Asphaltierte Straßen
- Wolkenkratzer mit Stahlskelett und Aufzug
- Stromversorgung durch E-Werk und elektrische Straßenbeleuchtung
- Effiziente Dampfmaschinen in allen möglichen Einsatzgebieten
- Nähmaschinen für jedermann
- Phonograph mit Wachszylinder
- Telefon
- Coca-Cola mit Strohhalm
- Bühnenstars (Lillian Russell etc.)
- Stadtparks (Central Park, Madison Square Park)
- Nichtmilitärische Festparaden

Was neu und hip ist:
- Freiheitsstatue
- Automobile (zu der Zeit eher Motorkutschen)
- elektrische und Dieselmotoren
- Solarstrom
- Schallplatten
- U-Boote
- Frühe Kinofilmtechnik
- Flugmaschinen und Luftschiffe
- Fahrräder (speziell New York erleidet eine monströse Radfahrwelle)
- Sportkleider für radfahrende Frauen
- Erdölförderung (in NY nicht die Förderung selbst, aber der Einfluss an der Börse)
- Verkehrsschilder
- Proto-Frühstücksflocken (eher so ein Weizenmüsli)
- Ragtime-Musik (Vorläufer des Jazz)
- Sportlicher, muskulöser Look des "arbeitenden Mannes", weg vom schlanken, feinen Bild des europäischen Aristokraten, Frackmode und Zylinder verschwinden im Alltag
- Bei Frauen wird die Wespentaille schick, akzentuiert mit weit fallendem Rock und aufgepufften Schultern ("hourglass-look")

Die Weltausstellungen zu der Zeit bieten auch einen ganz coolen Einblick darauf, was damals Hightech war.

Viele New Yorker haben allerdings nichts von den ganzen schönen Dingen, sie leben eingepfercht in grusligen Mietskasernen und arbeiten für einen Hungerlohn. 1890 wird das der New Yorker Öffentlichkeit durch das Buch "How The Other Half Lives" nahegebracht wird. Der Journalist Jacob Riis schreibt dort nicht nur über die Zustände, sondern präsentiert sie in Form einer modernen Fotoreportage (mittels supermoderner mobiler Blitzlichtkamera), weswegen das Buch auch noch heute eine Superquelle ist.

Riis ist für unsere Zeit eklig rassistisch, aber er führt die Probleme mit Slums wie "The Five Points" auf äußere Einflüsse wie Armut, Hunger und Wohnungsnot zurück, die zu Problemen wie Alkoholismus, Seuchen, Gewalt und Kriminalität führen.

Gerade kriminelle Banden sind immer noch ein großes Problem und die Polizei liefert sich immer wieder Händel mit der "Five Points Gang" unter Paul Kelly (praktisch der Vereinigung all der Banden, die in "Gangs of New York", der 1862 spielt, eine Rolle spielen), die unter anderem in ein paar Jahren der "Ausbildungsbetrieb" von Al Capone und anderen Gangstern der Prohibitionsära werden wird. Größte Konkurrenz ist die "Eastman Gang", eine richtige Mafia mit Schutzgelderpressung, Prostitution, Glücksspiel, Drogenhandel und Auftragsmordservice unter dem Mafiaboss Monk Eastman, der die Einwandererslums an der Lower East Side von Manhattan fest im Griff hat.
Beide Gruppen haben Verbindungen zu korrupten Politikern und Verwaltungsbeamten, weswegen sie bis zum ersten Weltkrieg bestehen bleiben.

Andererseits sind die 1890er aber auch die Zeit, wo Wohltätigkeit in New York "in" wird. Die Reichen veranstalten Spendenevents und finanzieren Gesundheits- und Erziehungsprojekte besonders für Kinder. Besonders Kinderarbeit und die Wohnsituation in den "Tenement Houses" wird lange Zeit ein Problem bleiben. Aber eine weitere landesweite Wirtschaftskrise 1893 (die wieder mal "Große Depression" heißt) führt zu einer so radikalen Verschlechterung der Zustände, dass als Antwort die Wohltätigkeitsbewegung (zu der Zeit "Progressivimus" genannt) richtig anzieht und die Ärmsten der Armen mit Nahrung, Kleidung und Brennmaterial versorgt und z.B. Milchausgabestationen einrichtet, damit Kinder Zugang zu unverseuchter Milch haben.


Was ich als Quelle immer wieder interessant finde, sind Zeitungsarchive, z.B. das von Google, Kopien alter Zeitungsausgaben im Internet verfügbar sind. Die Archive der wichtigsten New Yorker Zeitschriften der Zeit liegen leider aus Gründen supernutzerfeindlich bei der Universität von Texas, aber es gibt zumindest einzelne Ausgaben anderer Blätter frei zu haben.

Außerdem bietet mir speziell zu New York dieses Blog immer wieder interessante Details quer durch die Geschichte. Mit "The Gilded Age in New York" haben sie auch ein ganz anschauliches Buch für die Zeit 1870-1910 im Angebot.

Offline LushWoods

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #4 am: 30.11.2016 | 13:06 »
Ein wirklich gute Ressource aus dem rollenspielerischen Bereich ist übrigens Private Eye.
Ich hab's (leider) nie gespielt aber schon oft als Unterstützung für andere Settings hergenommen.
Und das das System dem von CoC so gleicht, macht es nur noch nützlicher.

Offline Scimi

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #5 am: 30.11.2016 | 14:25 »
Ich dachte immer, Private Eye sei sehr auf Sherlock Holmes' London konzentriert. Gibt es da auch Material zu den USA und New York?

Offline LushWoods

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #6 am: 30.11.2016 | 14:39 »
Stimmt schon, das Spiel ist sehr London-zentrisch, allerdings gibt'sauch viel Infos zum Weltgeschen zu der Zeit.
Und Mode, Trends usw. in Ny haben sich damals noch sehr stark an London orientiert.

Online JohnnyPeace

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #7 am: 30.11.2016 | 15:28 »
Stimmt schon, das Spiel ist sehr London-zentrisch, allerdings gibt'sauch viel Infos zum Weltgeschen zu der Zeit.
Und Mode, Trends usw. in Ny haben sich damals noch sehr stark an London orientiert.

Hatte auch schong gehört, daß sich das für die Epoche als gutes Quellenbuch anbietet. Falls ich das mal wo günstig (gebraucht) finde werd ich das auch mitnehmen.
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Re: Im Gaslicht
« Antwort #8 am: 30.11.2016 | 17:06 »
Ich bin kein Historiker...
Vielen Dank für den Post, da finde ich einiges. Wobei ich da aufpassen müssen werde, daß unter all den modernen Fortschritten nicht das Gefühl, daß es eben doch noch nicht die 20er sind verloren geht. Erstaunlich, daß es da schon Schallplatten gibt. Besonders großartig ist natürlich die Fotosammlung! Wunderbar, vielen Dank!
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Re: Im Gaslicht
« Antwort #9 am: 30.11.2016 | 18:01 »
Ich finde es spannend, dass New York damals so hypermodern war und gegenüber der Restwelt tatsächlich futuristisch wirkte. Das unter den Teppich zu kehren und New York nur als ein weiteres viktorianisches London auszugestalten fände ich verschwendet.

Was dabei für mich den Unterschied zu den 20ern ausmacht, ist so ein bisschen der Jules Verne-Faktor: Es gibt all diese tolle Technik, man hat davon gelesen, man kann sie vielleicht täglich auf der Straße sehen und in New York wird keiner aufschauen, wenn da etwas vorbeifährt, was in Europa oder auf dem Land noch als Wunderding bestaunt würde - so wie in Austin, Texas heute keiner mehr mit der Wimper zuckt, wenn Googles selbstfahrendes Auto mal wieder vor ihm an der Ampel steht.
Aber es wird noch lange dauern, bis die ganzen tollen Sachen erschwinglich sind und in jedem Haushalt stehen. Amerika ist noch ein paar Jahre von Ford und Fließbandarbeit entfernt und echte Massenprodukte sind vor allem Textilien und simple Dinge wie Knöpfe und Stecknadeln. und wer nicht gut verdient, kann zwar die elektrischen Lichter sehen, aber hat selbst nur Tranfunzeln und geflickte Lumpen.

Auf der anderen Seite kann es im Spiel bestimmt spannend sein, zu sehen, wie schnell sich manche Sachen durchsetzen, wie z.B. die Schallplatte oder dieser irre Fahrradwahnsinn. Ist bei uns ja auch so gewesen mit z.B. Smartphones gegenüber klassischen Handys, DVDs gegenüber VHS, Digitalkameras gegenüber Fotofilm - drei, vier Jahre und schwups! sah die Welt ganz anders aus.

Offline Cugel

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #10 am: 12.02.2017 | 23:30 »
Die Romane von Caleb Carr "Die Einkreisung" und "Engel der Finsternis" spielen ungefähr zu der Zeit an dem Ort.
Ein, von einem höheren Säugetier aus der Ordnung der Primaten, geplünderter Planet, auf seiner Himmelfahrt ins Nichts.

Online JohnnyPeace

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #11 am: 12.02.2017 | 23:46 »
Die Romane von Caleb Carr "Die Einkreisung" und "Engel der Finsternis" spielen ungefähr zu der Zeit an dem Ort.
Danke für den Tip! Sind die denn lesenswert?
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Offline D. M_Athair

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #12 am: 13.02.2017 | 08:23 »
Es gibt den Quellenband Five Points für die 1840er und 50er über das gleichnamige Armenviertel in New York. Das ist zwar für das Spiel "Dark Streets" geschrieben worden, da das aber auf dem RuneQuest-Abkömmling "Renaissance" basiert, sollte die Konvertierungsarbeit minimal sein, wenn sie überhaupt notwenidig ist.

Ich hab das Buch selbst noch nicht, weshalb ich nicht viel darüber erzählen kann. Steht momentan noch auf der Einkaufsliste.
"Man kann Taten verurteilen, aber KEINE Menschen." - Vegard "Ihsahn" Sverre Tveitan

Der Rote Baron

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Re: Im Gaslicht
« Antwort #13 am: 5.03.2017 | 11:49 »
Five Points ist nicht so recht der große Wurf.

Einfach einmal bei Amazon eingeben "New York City 1900" - da finden sich einige Fotobände von € 2,99 bis ca. € 25,00. Als optische Anregung vielelicht nützlich.