2. Abenteuer:
Die Ratten von Hameln
6. Spielsitzung
Klara hat sich inzwischen etwas erholt und kehrt zur Gruppe zurück, um bei den Nachforschungen zu helfen. Die Analyse der Kleidung des "Rattenfängers" ergibt wenig Neues, aber Bernhard Feil stutzt über den Leichnam selbst. Zum einen ist das Skelett eigentlich zu groß und zu kräftig - der Knochenbau deutet auf jemanden hin, der in Kindheit und Jugend keinen Mangel leiden musste - untypisch für einen Spielmann des Mittelalters. Zum anderen findet er Spuren von Lehm und Holzsplitter an der Leiche, was Rudi zu der Vermutung veranlasst, dass es sich um die Reste eines Sarges handeln könnte. Wurde die Leiche schlicht irgendwo aus einem Grab geholt?
Weitere Erkundigungen in der Stadt bringen wenig Neues, aber ein Besuch beim Schneider ergibt, dass dieser das Kostüm für den Flötenspieler Wunsch nicht wie vermutet selbst kreiert, sondern schlicht aus dem Katalog bestellt hat. Ein Telegramm an den Hersteller wird abgesetzt mit der Frage, ob in letzter Zeit noch weitere Kostüme nach Hameln oder Umgebung geliefert wurden. Ach ja, und Gerhard Wenzel versackt zwar bei der Recherche in der Bibliothek ziemlich lange in der technischen Abteilung, bringt aber wenigstens die Originalsage nach den Gebrüdern Grimm mit. Diese ergibt weitere Erkenntnisse: So heißt der Spielmann in der Sage "Bundting", was ja irgendwie ähnlich klingt wie Bantinck. Und der Jahrestag des Auszugs der Kinder wäre der 26. Juni, der Johannes- und Paulustag. Und heute ist zwar erst der 21. Juni 1889, aber ebenfalls der Tag vor Johannes und Paulus...
Der Gruppe gehen langsam die Ideen aus, wo sie den neuen Rattenfänger suchen können oder was er eigentlich will. Da hilft es auch nicht, dass das Kirchenfenster mit dem Bild des Kinderauszugs zerbirst - ein weiteres schlechtes Omen, das Josephines chemisches Können aber schnell als neuen Anschlag entlarvt (jemand hat das Fenster mit einer Substanz eingestrichen, die sich in der Nachmittagssonne entzündet und das Fenster zum Splittern gebracht hat). Zwar kommt noch eine Depesche der Kostümfirma, die bestätigt, vor einer Woche zwei Spielmannskostüme der gesuchten Art an den Konditor Bantinck geliefert zu haben, doch auch diese Spur bestätigt schließlich nur, was man schon vermutet hat: Nämlich dass der Zuckerbäcker wohl der Übeltäter ist. Aber das ändert nichts daran, dass er wie vom Erdboden verschluckt ist (ein Wohnsitz konnte nicht ermittelt werden). Resigniert geht man zu Bett und nimmt sich vor, am nächsten Morgen in aller Frühe auf neue Untaten des Schurken zu lauern.
Tatsächlich wird gleich am nächsten Morgen das ganze Ausmaß seines Verbrechens offenbar: Überall in der Stadt sind Kinder über Nacht in tiefen Schlaf gefallen, aus dem sie nicht mehr zu wecken sind. Und jetzt endlich fällt bei unseren Detektiven der Groschen: Der Zuckerbäcker hat die Kinder mit Süßigkeiten vergiftet! Eine verwegene Theorie sieht so aus, dass er ein Gift aus zwei Komponenten benutzt hat. In der ersten Phase hat er so viele Kinder wie möglich mit präparierten Bonbons versorgt, und in der zweiten Phase hat er die zweite Komponente hinzugegeben. Man begibt sich also eilends zum neuen Wasserturm der Stadt, und in der Tat - im Wasserbehälter findet man eine Art Kartusche, die langsam eine chemische Substanz ins Wasser abgibt...
In der Stadt ist derweil ein Erpresserbrief des Rattenfängers eingetroffen, der natürlich nicht ahnen kann, dass sein Plan gerade durchkreuzt wurde. 2 Millionen Mark fordert der Verbrecher für das Leben der Kinder, zu überbringen noch heute Abend und vom Bürgermeister persönlich an jenen Ort, an dem die Leiche des Rattenfängers gefunden wurde: Den "Hexenkessel" zu Koppenbrügge, ein alter germanischer Kultplatz und der Sage nach dem Ort, an dem die Kinder von Hameln einst in den Berg gingen. Die Gruppe beschließt, eine Lösegeldübergabe zu fingieren, um den Schurken endlich zu überwältigen. Der Koffer mit dem Geld wird präpariert, so dass er beim Öffnen ein Betäubungsgift sowie blaue Farbe freisetzt, um Bantinck außer Gefecht zu setzen. Derart gerüstet, begibt man sich mit dem äußerst nervösen Bürgermeister nach Koppenbrügge, wo sich unsere Helden im Gelände um den Hexenkessel verstecken und auf den Abend warten.
Als die Dunkelheit hereinbricht, offenbart sich wieder einmal die Genialität ihres Gegners. Er hat bestimmte Steine mit Phosphorfarbe bemalt, so dass sie den Weg weisen zu einer kleinen Höhle. Dort geht die Lösegeldübergabe gründlich schief - der "Rattenfänger" zwingt den Bürgermeister, den Koffer selbst zu öffnen, der daraufhin explodiert und Messerschmitt außer Gefecht setzt. Die Gruppe stürmt in die Höhle, und Doktor Feil schießt Bantinck nieder. Doch dieser hat (neben zwei ponygroßen Hunden) noch ein As im Ärmel: Er hat die Ausgänge der Höhle mit Sprengsätzen präpariert, die er nun zündet und die Höhle damit zum Einsturz bringt.
Durch die Explosion zerbricht auch der Höhlenboden, und alle stürzen in eine weitaus größere Kaverne, die darunter liegt. In der Mitte steht die Statue einer germanischen Göttin, und rings umher liegen unzählige Skelette in mittelalterlicher Tracht - klein genug, um von Halbwüchsigen zu stammen. Die Gruppe zweifelt keinen Augenblick daran, dass sie die Kinder von Hameln gefunden hat! Leider ist auch Bantinck mit abgestürzt und mit ihm ein Behälter des Gases, mit dem die Gruppe schon in seinem Labor Bekanntschaft machen durfte. Bald beginnen alle zu halluzinieren, wie sich die Kinder von Hameln erheben und mit hohlen Gesichtern und leeren Augen auf sie zukommen! Schon wird Josephine von den Gespenstern niedergerungen, als es Rudi und Doktor Feil endlich gelingt, den letzten Riesenhund zu besiegen und mit Bantincks letztem Dynamit einen neuen Ausgang aus der Höhle zu sprengen. Mit letzter Kraft retten sie sich und alle Überlebenden aus der Höhle, bevor diese endgültig einstürzt und das Geheimnis der Kinder von Hameln erneut unter sich begräbt.
Nachtrag: In den Verhören der nächsten Tage stellt sich heraus, dass Bantinck eigentlich Hinrich Braun heißt und ursprünglich tatsächlich aus Hameln stammt. Als Kind wurde der in sich gekehrte Einzelgänger und geniale, aber etwas verquere Kopf gehänselt und nicht selten auch verprügelt, bis er alt genug war, um an die Herzogliche Technische Hochschule Carolo-Wilhelmina zu flüchten, wo er Chemie studierte. Dort glänzte er durch sein Genie, doch am Ende wurde ihm bei der Besetzung der freigewordenen Professur Theodor Messerschmitt vorgezogen - ausgerechnet der Sohn des Hamelner Bürgermeisters! Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Braun beschloss, zurückzukehren und sich an der Stadt Hameln zu rächen...