Ich finde Sashaels Kritik gut und begründet dargebracht. Vieles davon teile ich. Ich weiß auch nicht, was die Old-Schooler mit ihren Fackeln und Rationen haben - das spielt wohl vor allem dann eine Rolle, wenn man wirklich Tage im Dungeon oder Wochen in der wildesten Wildnis verbringt. Ich denke auch, dass der Autor da zum Teil sehr einseitig und persönlich gefärbt drangegangen ist. Er beschreibt auch nicht die Szene als ganzes, sondern vor allem seine Sicht die offenbar ganz stark vom originalen D&D geprägt ist. Wenn ich das bewerte und kommentiere mache ich das ja auch vor meinem spezifischen Hintergrund.
Was die Besserspielerei angeht, so hat das m.E. zwei Seiten. Es gibt in der OSR Spieler, die ihren Stil als einen besseren deklarieren und sich somit als bessere Spieler, die eben etwas höherwertiges machen als andere Spieler. So wie es zu Storyteller-Zeiten Spieler gab, die ihr Spiel als "Kunstform" ansahen und sich über andere erhoben oder es zu Forge-Zeiten Spieler gab, die meinten, dass man nur Kickers, Bangs und Aggressive Scene Framing richtig geiles Rollenspiel betreiben kann. Da geht es oft dann auch darum, sich von anderen abzugrenzen und ein wenig Identitätsstiftung zu betreiben und sich nicht von anderen einschüchtern zu lassen. Positiv formuliert steckt dahinter der Enthusiasmus der Spieler, die endlich etwas gefunden haben, was ihnen entgegenkommt und ihnen mehr Spaß macht, als das frühere. Da kann man vergessen, dass das an der Kombination eigener Präferenzen mit dem Spiel liegt und nicht daran, dass alle Spieler universell auf die gleiche Art von dem Spiel angesprochen werden.
Es gibt aber noch eine andere Seite der Besserspielerei und ich denke, da werden OSR-Spieler gerne missverstanden. Das passiert dann, wenn es um das Verhältnis der Spielerfähigkeiten und der Charakterfähigkeiten geht. Ein Teil des Old-School-Spieles ist baut darauf auf, dass die Spieler herausgefordert werden - nicht die Charaktere. Wenn die Charaktere oder Spielerfiguren vor ein Problem oder eine Herausforderung gestellt werden, dann handelt es sich eigentlich um eine Herausforderung für die Spieler. Die müssen sich überlegen, wie sie am besten damit umgehen: Habe ich eine Fähigkeit auf dem Charakterbogen dafür? Wie gefährlich ist das? Welche anderen Wege gibt es? Wie könnte ich mich auf die Herausforderung am besten vorbereiten? Sollte ich erst weitere Informationen einholen? Das ist gemeint, wenn es um Spielerfähigkeiten geht. Ich finde das nicht verkehrt. Es gibt ja auch in Brett- und Videospielen bessere Spieler, warum nicht auch in Rollenspielen? Im OSR wird dabei eben die Problemlöse-Kompetenz der Spieler in den Vordergrund gerückt. Dies ist dort eine elementare Spaßquelle und das gilt es zu verstehen, da dann Charakterwerte an Bedeutung verlieren und man nicht mehr den Fokus auf komplizierte Regeln legen muss, sondern wichtiger auf einfache Grundmechanismen, die offen gestaltet sind, im Grundsatz aber immer noch simulativ, also den Gesetzen unserer Welt gehorchen oder zumindest für alle bekannten Gesetzen, da man sonst in diesem Rahmen nicht mehr angesprochen werden kann.
Ich bin fest davon überzeugt, dass dies nicht die einzige Kompetenz ist, die Rollenspieler erwerben können. Unterschiedliche Spielstile fokussieren andere Kompetenzen. So ist das Ausspielen und Darstellen eines Charakters ja durchaus auch eine Kompetenz, die man verbessern kann. Und ein Spieler der hier kompetent ist, sich super in eine Rolle versetzen kann, der richtig mit seiner Stimme arbeitet usw. ist in dieser Hinsicht ein besserer Spieler. Er ist nicht mehr wert als Spieler, das wird ja gerne missverstanden, aber er ist fähiger. In manchen Spielen verschiebt sich die Problemlöse-Kompetenz weg von den ich sage mal "realistischen Überlegungen" hin zu einem geschickten Einsatz der Regeln zugunsten eines anderen Ziels, zum Beispiel eine geile Story mit tollen Wendungen und coolen Momenten zu haben. Etwa in Fate, wenn da ein Problem auftritt kann man das ja schon mal durch Regeleinsatz "lösen", da ist der Spieler dann nicht so gefragt wie man diese Sache jetzt auflöst, sondern mittels der Regeln das Spiel in eine bestimmte andere Richtung laufen zu lassen. Das sind ja auch reale Kompetenzen, die da gefragt werden.
Aber wie gesagt: Da ist nicht ein Spieler "besser" in dem Sinne, dass er jetzt ein besserer Mensch wäre oder dass er sich was drauf einbilden könnte. Er könnte sich vielleicht was drauf einbilden, wenn man gegeneinander spielen würde. Aber man spielt ja gemeinsam, da ist es eher so, dass wenn jemand etwas cooles macht, eine gute Idee hat um ein Problem zu lösen oder seinen Charakter mal genial ausspielt, dass ihm auf die Schulter geklopft wird und er von den anderen Bestätigung erhält. Niemand ist ein besserer Mensch, weil er eine Kompetenz in einem bestimmten Spiel weiter entwickelt hat und jetzt mehr wert. Aber ich finde es auch nicht hilfreich zu leugnen, dass es Kompetenzen gibt, die man als Rollenspieler pflegen kann.
Ich glaube dass jeder ein Spiel nennen kann, dass er selber spielt, wo irgendwas ganz wichtig ist. (Es ist dabei unerheblich, ob es auch andere Spiele gibt, wo das genauso ist.) Beherrscht man diese Dinge, wird man zu einem besseren Spieler. Das kann das Charakterspiel sein, das kann sein, die Regeln zu verstehen und sie zu benutzen eine tolle Story abzuliefern. Das kann sein, seinen Charakter zu optimieren.
Manche Spieler setzen aus Sicht von jemand anderem einen falschen Fokus. Da wird dann schnell jemand als Powergamer, Regelficker oder Taschenlampenfallenlasser beschimpft, weil man nicht verstanden hat, dass der andere Spieler eine andere Spaßquelle hat. Meiner Meinung nach ist das Problem aber nicht ein Unterschied in der Persönlichkeit und ich glaube auch nicht, dass ein Taschenlampenfallenlasser in einer herausforderungsorientierten Spielrunde ein schlechter i.S.v. inkompetenter Spieler ist. Meiner Meinung nach liegt da erstmal ein Missverständnis vor, was man überhaupt wie spielt.
Zurück zu den Spielerfähigkeiten im OSR-Spiel. Da geht es darum, dass Spieler gefordert werden. Gefordert wird man aber von allen Spielen, angefangen mit der Forderung, die Regeln zu verstehen. Aber nehmen wir mal Charakterspiel, das ist ja auch eine gewisse Forderung. Manche müssen sich da überwinden, manche können das richtig gut mit Stimme verstellen und Körperarbeit usw. Das spielt da auch rein. Manche Spiele fordern einen auch moralisch. Was bei OSR aber gemeint ist damit, dass man als Spieler gefordert werden möchte hinsichtlich seiner Problemlöse-Kompetenz oder intellektuellen Fähigkeit, die Herausforderungen zu überwinden. Man hat eine Situation - wie löse ich die? Wie kann ich diese Falle entschärfen, wenn ich nicht würfeln möchte, weil das zu gefährlich ist? Wie kann ich diesen Gegner besiegen, ohne dass meine Spielfigur stirbt? Diese Hindernisse möchte man nicht über Regeln lösen. Darum ist übrigens auch Ausrüstung wichtig. Etwa in Cortex+ sage ich vielleicht "Ich gebe einen Plot Point aus und erschaffe eine neue Ressouce"... Das ist auch eine Kompetenz, nämlich ein Problem durch geschickte Regelanwendung zu lösen, aber eben nicht die Kompetenz, die im Old-School-Spiel eine Rolle spielt, nämlich mit den gegebenen Mitteln in der konkreten Situation klar zu kommen. Daher ist es auf einmal auch wichtig, Fackeln nachzuhalten! Weil es relevant ist, ob man noch zwei oder drei Fackeln hat.
Ja, aber dieses ganze Gerangel um Spielerfähigkeiten - das ist erst einmal nur wichtig, wenn man über OSR spielt. Für alle anderen eh ohne Belang. Es kommt zwar in allen Rollenspielen vor, aber es liegt nicht in allen Rollenspielen der Fokus drauf.
So kommt es etwa auch im Old-School-Spiel zum Charakterspiel. Das kann sogar essentiell sein, zum Beispiel in einer Verhandlung wenn es relevant wird, was genau die Spielfigur eigentlich sagt. Darum ist Old-School-Rollenspiel eben auch immer noch Rollenspiel und kein "Descent in Dauerschleife" oder ein Wargame. Tatsächlich ist das eine häufige und m.E. falsche Kritik am Old-School-Rollenspiel, weil es eine sehr einseitige Lesart ist und die Reduktion auf einen einzigen Aspekt. Aber: Regeln geschickt einzusetzen kann natürlich auch wichtig sein. Wir spielen zum Beispiel mit den zwei Grundmanövern im Kampf, dass man auch aggressiv oder defensiv kämpfen kann und es ist eine wichtige Spielerkompetenz zu wissen, wann man eines und welches dieser Grundmanöver man einsetzt.
In meiner Solomon-Kane-Runde mit Savage-Worlds etwa ist die Problemlösekompetenz der Spieler eigentlich nur gefragt, wenn es um Überlegungen geht, wie man an Informationen gelangt.. Bricht man beim Inquisitor ein, sucht man Nichtspielercharaktere die etwas wissen könnten usw. Dazu moralische Probleme. Aber diese fokussierte Problemlösekompetenz, wie sie im OSR-Spiel vorkommt, haben wir eher nicht, weil das meiste eher über die Charakterfähigkeiten gelöst wird. Also wenn die Spieler sich irgendwo einschleichen wollen wird weniger wichtig, wie sie das machen und ob sie einen genialen Plan haben, sondern es wird wichtiger, dass sie gut auf Heimlichkeit würfeln...
Also da wären wir wieder bei der Besserspielerei im Allgemeinen. Ich mag diese Frontenbildung nicht und als ob ich mich jetzt für OSR oder New School oder Storygame entscheiden muss. Ich spiele das alles gern und kann mich darauf einlassen. Mir ist halt wichtig, wo ich dran bin. Als SL habe ich halt bestimmte Vorlieben, die auch danach gehen, was mir leicht fällt - wo ich also über Kompetenzen verfüge oder einfach die Ansprüche an den SL geringer sind. Ja, es gibt ja auch Spielleiter, die komplexe Storys entwerfen in mehreren Akten und einem super dramaturgischen Spannungsaufbau... Das könnte ich nicht und da mangelt es mir an Kompetenz, da bin ich also z.B. ein schlechterer Spielleiter. Ich habe für mich dann irgendwann entdeckt, dass es da eine andere Spielweise gibt, die mir besser liegt, mit der ich super klar komme und die mir als SL sogar noch mehr Spaß macht. Also spielleite ich jetzt halt viel ergebnisoffen und Old-School. Wobei das sooo Old-School ja auch nicht ist, was ich mache, ich nehm halt dieses OSR-Paket und schau, was die Leute dazu philosophieren und schreiben und mache dann am Ende ja doch mein eigenes Ding draus.
Ich spiele Rollenspiel lieber mit "Charakterskills", sodass auch ein durchschnittlicher Spieler einen brillianten Detektiv oder einen goldzüngigen Barden oder einen scharfäugigen Schurken spielen kann, indem er dann einfach auf den entsprechenden Skill würfelt.
Das ist auch vollkommen berechtigt! Das ist dann aber kein Old-School. Was ich aber ehrlich sagen muss ist, dass wir früher nie die Diskrepanz zwischen Spieler- und Charakterskills ganz auflösen konnten. Die Diskussionen werden ja seit Jahrzehnten geführt! Zum Teil meiner Meinung nach darum, weil vielen Spielern die gravierenden Unterschiede in dieser Sichtweise nicht klar sind und dann Old-School-Spielweisen in einem New-School-Spiel mit lauter positivistisch formulierten Regeln einbringt oder umgekehrt in einem Old-School-Spiel dann seine New-School-Sicht einbringt. Also zum Beispiel im Old-School-Spiel zu sagen "du kannst das nicht, weil in den Regeln steht nicht, dass du das kannst" halte ich für genauso verkehrt wie in einem New-School-Spiel zu sagen "in den Regeln steht zwar, dass du das kannst, aber ich finde das doof und deshalb kannst du das nicht". Ich habe das so oft als frustrierend erlebt. D&D 4 ist finde ich ein sehr schönes Beispiel, weil da viele Fähigkeiten genau definiert sind und mir macht D&D 4 super viel Spaß, wenn man die auch so benutzt wie sie da stehen und nicht alles hinterfragt. Für den Schurken ist es z.B. wichtig, dass der fast jede Runde oder jede zweite Runde oder so seinen hinterhältigen Angriff machen kann und es gibt klare Regeln die benennen, wann das wie möglich ist. Ich hatte mal einen SL erlebt, der vom Spieler immer wollte dass er das "ausspielt" oder "erklärt", der Spieler war damit überfordert und so war sein Schurke praktisch nutzlos und total entwertet. Und viele gehen einfach so rein mit ihren Ansichten und ihren Vorstellungen, wie man zu spielen hat und nehmen an, dass die eine Spielweise die in dem einen Spiel mit der einen Runde funktioniert hat, dass die in dem anderen Spiel mit der anderen Runde auch funktionieren wird. Das kann schon sein - es kann aber auch sehr gut sein, dass man grandios scheitert und eine Menge Frust erzeugt. Oder irgendwas dazwischen.
Da wären wir dann wieder bei Rollenspieltheorie 101 und der kreativen Agenda. Was die Old-School-Fibel letztlich macht ist nichts anderes, als eine mögliche kreative Agenda zu formulieren. Und ich finde und ich denke, dass ist ihr bester Einsatzzweck, man kann die OSR-Fibel nehmen, seinen Spielern zu lesen geben und darüber sprechen!