Mein klassisches Beispiel für ein nicht passendes Regelwerk ist Trinity: Es wird beschrieben, dass die Chars schon am Anfang high-power sind und Psi ganz tolle Effekte kann, dann ist aber die Wahrscheinlichkeit bei 5-10%, dass bei einer Probe einer in der Gruppe patzt, so dass sie gefühlt ständig auf die Nase fallen — selbst sehr starke Chars noch. Durch die Wahrscheinlichkeitsverteilung ist außerdem zu erwarten, dass einer der Chars bei jedem 5ten bis 10ten Wurf einen Patzer hat aber selbst bei einfachsten Würfen nur 60% Erfolgswahrscheinlichkeit — dass also einer der Mitspieler seinen Char als sehr schwach erlebt, obwohl er die gleichen Werte hat wie die anderen.
Allgemein halte ich die meisten Pool-Systeme für unpassend, wenn das System eine starke Progression in der Charakterstärke abbilden soll, weil Pool-Systeme bei schwachen Chars nur wenig Variation bieten (statt einem Würfel zwei zu haben macht statistisch gesehen einen riesigen Unterschied) aber bei starken Chars unhandlich werden (für jede Probe 12 Würfel zu werfen bremst das Spiel deutlich aus). Da hat übrigens Shadowrun — bei all der Kritik, die ich hier lese — mit Abzügen auf die Anzahl der Würfel (statt erhöhtem Mindestwurf) einen sinnvollen Schritt vorwärts gemacht.
Das Problem von Trinity ist aber mehr als das: Es nutzt ein Pool-System auf eine Art, die die Kerngeschichte nicht sauber abbildet. Starke Charaktere, die ständig Patzen, passen nicht zu der Vorstellung, die ich von der Welt bekommen hatte. Das geht auch mit Pool-Systemen deutlich passender.
(Was der grundlegende Mechanismus bewirkt habe ich im Artikel
Auswirkungen verschiedener Würfelsysteme bzw. dem
Thread
[Würfelsysteme] Sind wir schon da? aufgearbeitet — ein Regelwerk ist allerdings mehr als sein Grundmechanismus, und eine gute Ausarbeitung kann viele Probleme wettmachen, z.B. durch explizite Mook-Regeln, die es ermöglichen, schwache NSCs zu haben, ohne sie mit den SC-Regeln gut abbilden können zu müssen).
Ich fand Exalted verdammt cool zu spielen (in dem einen 16h-Spiel, das ich damit bisher hatte, bei einer tollen SL), habe es aber auch nur gespielt ohne viel vom Hintergrund zu kennen, d.h. mir hat sich die Welt durch die Linse der Regeln gezeigt. Ist also kein Widerspruch
Mein persönlichstes Beispiel von nicht zum Regelwerk passenden Setting habe ich selbst gebaut:
Erynnia mit Gurps. Große Magie, Wächter halten die meisten Schrecken der Äußeren Lande draußen, … — aber unsere Geschichten verloren sich immer weiter im staubigen Tagesgeschäft. Bis ich ausgebrochen bin und das
EWS dafür geschrieben habe. Die Erynnia-Runden mit dem EWS wurden endlich so mystisch, wie ich sie mir vorgestellt hatte, aber auch stärker high-power als geplant. Das Problem habe ich dann allerdings nicht gelöst: es hat uns so gefallen (meine Ansprüche an Geschichten hatten sich zwischenzeitlich geändert…). Ich denke, ich weiß inzwischen, warum es high-power fördert: Um 80% Erfolgsquoten zu haben und keine Wunden davonzutragen, muss man mindestens 6 Punkte besser sein als die Gegner, und das erreicht man verlässlicher durch Steigern als durch Planung. Dafür sind auch verzweifelte Aktionen sinnvoll, weil sie zwar oft heftig schief gehen, aber gleichzeitig eine ausreichend große Chance auf wichtige Erfolge haben, dass es sich lohnt, dass mehrere etwas versuchen. Bei Gurps ist das gerade umgekehrt: Aktionen, die du normalerweise nicht machen würdest, sind auch im Notfall nicht sinnvoll, dafür kannst lassen sich mit guter Planung viele Risiken vermeiden.
Aber zum Anfangen war Gurps toll, weil es eben schon für alle Ideen was enthält. Und die Detailregeln teilweise verdammt gut sind (dank seinem Fokus auf Vor- und Nachteilen lässt sich damit sehr viel abbilden — bis hin zu Gurps Voodoo, das ich hoffe, irgendwann leiten zu können). Und Gurps funktioniert für schwache Charaktere. Auch wenn in Gurps 4 die Beispielcharaktere Weltenspringende Mächtige sind.