@YY: Cool, das ist spannend. Kannst du da mehr drüber erzählen?
Gern
Ganz abstrakt gesprochen hat Bewachung bzw. Bestreifung zwei Ziele, nämlich Abschreckung und Intervention - letzteres je nach Schutzobjekt auch gegen technische Schäden usw., da muss es nicht zwangsläufig um eine böswillige Absicht gehen.
Beide Ziele werden um so besser erreicht, je freier und unvorhersehbarer die Streifenwege und -zeiten sind.
Ein halbwegs abgebrühter Täter wird nämlich beobachten und schnell erkennen, wenn alle X Stunden der selbe Weg gegangen wird und kann sich dann leicht denken, wie viel Zeit er unter diesen Umständen für seine Aktion hat. Davon lassen sich also nur jene abschrecken, denen die bloße Anwesenheit eines Wachmanns auf dem Gelände schon zu viel ist.
Besser ist es da offensichtlich, wenn der Streifenweg variiert (je mehr, desto besser) und es so deutlich schwerer vorherzusehen ist, wann wo jemand auftaucht.
Noch mehr gilt das für die Intervention. Die kann gegen Menschen nur funktionieren, wenn man mehr oder weniger unentdeckt unterwegs ist und nicht schon von Weitem erkannt wird (was sowohl die direkte Wahrnehmung betrifft als auch die "logische Wahrnehmung" über das Wissen, wann welcher Weg genommen wird). Ebenso ist es wichtig - auch gegen technische Schäden -, dass man vom Streifenweg abweichen kann, wenn einem etwas komisch vorkommt (Geräusche, Gerüche oder sonstige Indikatoren, dass etwas nicht so ist, wie es sein soll). Es braucht also Pufferzeiten für Umwege, Horchhalte, punktuell intensivere Kontrollen und Abschnitte, die man wahlweise verdeckt durchquert (dauert dann eben etwas länger).
So weit die schöne Theorie...
Jetzt bekommt der Kunde oder auch der Vorgesetzte aber niemals Rückmeldung darüber, ob die Abschreckungsmaßnahme funktioniert oder ob nur niemand etwas versucht hat - unter dem Aspekt kann man Sicherheit eben nicht messen.
Also tut der Kunde etwas anderes: er verlangt quasi als Minimallösung einen Nachweis darüber, dass die Bestreifung auch tatsächlich durchgeführt wird.
Die Dokumentation erfolgt in der einfachsten Variante im Wachbuch und/oder mit ausgehängten Zetteln, auf denen man sich einträgt. Das ist dem Kunden natürlich zu manipulationsanfällig und es wird eine technisch etwas aufwendigere Lösung gewählt.
Früher waren das Konstrukte ähnlich einer Spieluhr, die bei Drehen eines Schlüssels die Uhrzeit und die Schlüsselnummer ausgedruckt haben. So konnte man entweder mit einem Schlüssel rumlaufen und an den Kontrollstellen die "Spieluhren" aufhängen oder umgekehrt mit einem Gerät X aufgehängte Schlüssel aufsuchen. Über die ausgedruckten Papierstreifen hatte man dann den Nachweis, wann wo jemand war.
Das ist mit etwas Nachdenken natürlich auch nicht wesentlich sicherer als die Variante mit Zettel - macht man heute auch nicht mehr.
Die aktuelle Variante sind RFID-Kontrollstellen, die mit einem Lesegerät erfasst werden (dem Namen des erfolgreichsten Anbieters nach oft "Deister" genannt). Das kann man dann am Rechner auslesen - relativ manipulationssicher und damit genau das, was der Kunde sich vorstellt.
Und der Wachmann hat ja insofern auch was davon, weil er im Zweifelsfall nachweisen kann, dass er tatsächlich kontrolliert hat.
Problematisch daran ist folgendes:
Gerade bei größeren Anlagen sieht der Kunde nach einiger Zeit beim Blick auf die Deisterprotokolle, dass die Wachleute ja einen gewissen Leerlauf haben - also wird entweder die Zahl der Streifengänge erhöht oder die Zahl der anzulaufenden Kontrollstellen. Das Spielchen wiederholt sich ein paar Mal, bis die Runde genau "voll" ist, d.h. man nur noch den effizientesten Weg laufen kann, um die Vorgabe einzuhalten.
Das führt natürlich dazu, dass man an den jeweiligen Kontrollstellen nicht mehr viel Zeit hat. Und da man mit dem Lesegerät keine Möglichkeit hat, irgendwelche Verzögerungen zu dokumentieren, schaut man ständig auf die Uhr und muss einen Horchhalt (die nur noch sehr kurz ausfallen können) oder eine punktuell intensivere Kontrolle über den Rest des Streifenweges wieder "rauslaufen", was im Extremfall bedeutet, dass man nur noch die Kontrollstellen abscannt, aber gar nicht mehr das kontrolliert, wofür die Kontrollstelle eigentlich eingerichtet wurde.
Will heißen, wenn an so einer Stelle etwas auftritt, hat man unterm Strich dokumentiert, dass man da war und es nicht gesehen hat - denn wenn man jede normale Verzögerung eines ordentlich gemachten Streifenganges im Wachbuch dokumentieren wollte, um die Zeitabweichungen im Deister zu begründen, müsste das Wachbuch im A2-Format sein und die Eintragungen würden dem Prinzip widersprechen, nach dem ein Wachbuch geführt wird...
Im blödesten Fall reduziert man mit dieser Methode also die Effektivität der Streifengänge in mehrerlei Hinsicht und obendrauf kommuniziert man dem Wachpersonal mit engen Vorgaben: Euch Faulpelzen muss man auf die Finger schauen, dass ihr auch ja eure Arbeit macht.
Angesichts der Personallage im Sicherheitsgewerbe ist das ärgerlicherweise noch nicht mal so weit hergeholt, aber die intrinsisch motivierten Mitarbeiter ballen da jeden Tag die Faust in der Tasche und machen irgendwann auch nur noch Dienst nach Vorschrift - und der Kunde denkt sich oftmals "Endlich laufen die letzten Schluris auch in der Spur und halten die Kontrollzeiten ein"
Mit etwas Glück hat man in der Anlage irgendwo technische Gerätschaften, die öfter mal Probleme machen. Wenn man bei so was erfolgreich interveniert hat, kann man es dem Kunden möglicherweise verkaufen, die Vorgaben etwas zurückzufahren und die Leute freier agieren zu lassen.
Oft genug heißt es dann aber auch nur "Stimmt, da kleben wir auch noch eine Kontrollstelle hin!"
Meiner Erfahrung nach kann man diesen ganzen Sachverhalt dem Kunden entweder von Anfang an verständlich machen und im besten Fall ganz auf elektronische Dokumentation und ähnlichen Kappes verzichten oder man kann das nicht und es wird mit der Zeit immer schlimmer.
Wenn man den Kunden aber dahingehend überzeugen kann, das Ganze sinnvoll aufzuziehen, braucht man auch Mitarbeiter, die das ordentlich umsetzen und das in sie gesetzte Vertrauen nicht missbrauchen - was über kurz oder lang oft genug dazu führt, dass doch eines schönen Tages überall Deisterpunkte hinkommen...
Langer Beitrag, kurzer Sinn:
Wenn der SL in Sachen Ausarbeitung der Streifenwege faul ist und nur sagt "die laufen da halt irgendwie rum, wie und wo genau könnt ihr so auf die Schnelle nicht feststellen", dann ist das im Prinzip - wenn auch möglicherweise unbeabsichtigt - genau die Art, wie sich dem Beobachter eine gut funktionierende Wachmannschaft von außen darstellt, jedenfalls in der ersten Zeit der Beobachtung.
Anstatt solche Fitzelchen aus einzelnen Abenteuern zusammenzusuchen, würde ich speziell für moderne und futuristische Settings eher zum Quellenbuch Corporate Security für Shadowrun 2nd greifen. Vieles ist spezifisch für SR, aber die Erklärungen darin zu Zäunen/Mauern, Landschaftsgestaltung, Erste-Reihe-Wachen, Sensoren, Absicherung von Türen/Fenstern/HLK etc. und wie man das ganze zu einer brauchbaren, spielbaren und plausiblen Sicherheitsarchitektur zusammenfügt (und Möglichkeiten, trotzdem noch daran vorbei zu kommen) sind Gold wert.
Ja, in den etwas trockenen Büchern vom Boorberg-Verlag fehlt leider der Shadowtalk, was warum doch nicht so toll ist, wie der Hersteller erzählt