Nachdem gerade der nächste Railroading-Thread implodiert, möchte ich den Begriff hier in diesem Thread nicht lesen. Ich meine es ernst! Wer das R-Wort sagt, muss ohne Abendessen ins Bett!
Was die Gemüter bei jenem Thema so hoch schlagen lässt, ist der empfundene Mangel an Fairness und Aufrichtigkeit. Das ist das, worum es eigentlich geht, und dafür gibt es viele Beispiele, das kann nicht nur vom SL ausgehen, sondern auch von Mitspielern, und das kann auch andere Ziele haben, als einen bestimmten Handlungsverlauf durchzudrücken, z.B. (verbreitet) zu „gewinnen“, jemand anderem eins auszuwischen, das letzte Wort zu behalten, das eigene Ego zu pflegen, usw. usf.
Eine wirklich harmonische Runde hast du dann, wenn Fairness und Aufrichtigkeit ganz selbstverständlich vorhanden sind und auch von allen Beteiligten gleich empfunden werden. Dabei ist Aufrichtigkeit wichtiger als Fairness: Fehler passieren, d.h. nicht jede Entscheidung, nicht jeder Vorgang wird immer fair sein, aber wenn die Absichten dahinter gut und ehrlich sind und die Mitspieler das auch erkennen, oder sogar, ohne es im Einzelfall erkennen zu können, den Vertrauensvorschuss geben, wird ein Fehler im Einzelfall leicht vergeben.
Dann wird es auch möglich sein, dass ein SL eine Entscheidung widerruft, weil die ganze Gruppe sagt, nee, passt irgendwie nicht. Es wird möglich sein, dass ein Spieler mit einer SL-Entscheidung nicht einverstanden ist, der Rest der Gruppe ihm aber bestätigt, dass die SL-Entscheidung okay ist, und er a) seine Meinung ändert oder b) seine Meinung nicht ändert, sich aber trotzdem der Mehrheit beugt, ohne Groll. Oder es wird möglich sein, dass ein SL sagt, mea culpa, hab ich jetzt gerade schlecht gelöst aber will ich jetzt auch nicht zurück drehen, machen wir nächstes Mal besser, okay?
Ein Vertrauensvorschuss macht einem hier das Leben sehr viel einfacher, deshalb ist es m.E. sinnvoll, zu Beginn einer neuen Runde den Mitspielern zunächst einen Vertrauensvorschuss zu geben. Verlangt man hingegen anfangs für alles und jedes eine Erklärung/Rechtfertigung, wird das Spiel holprig und es drohen Konflikte in Bezug auf Geheimnisse, insbesondere SL-Geheimnisse. Deshalb müssen alle Beteiligten darauf achten, dass der Schaden von Geheimnissen nicht den Nutzen überwiegt, gerade in frischen Runden, wenn die Aufrechterhaltung der Geheimnisse droht, zu einem Vertrauensverlust zu führen.
Fairness hat immer auch etwas mit der Interpretation der Fiktion zu tun, man kann sie nie davon losgelöst betrachten. Eine Gruppe, die kein gemeinsames Verständnis dafür hat, was in der Fiktion gerade passiert und welche Dinge möglich, welche wahrscheinlich, welche unmöglich sind, wird nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen, was Fairness angeht. Das eine ist von dem anderen nicht zu trennen.
Aufrichtigkeit, gute Absichten, das bezieht sich zunächst mal ganz banal darauf, ein gutes Spielerlebnis für alle haben zu wollen. Insofern ist der Spielstil, das Spielziel, indirekt von großer Bedeutung, weil natürlich die besten Absichten nichts nützen, wenn man von unterschiedlichen Prämissen ausgeht. Das hat in der Vergangenheit zu vielen, verhängnisvollen Missverständnissen geführt. Aber darauf sollte man es nicht reduzieren, denn unabhängig vom Spielziel kann jemand unaufrichtig sein, kann sich auf Kosten anderer profilieren wollen, kann es auf eine Machtprobe anlegen, kann irgendwas beweisen wollen, was in der Runde eigentlich gar nichts zu suchen hat, kann es gar (aus welchen Gründen auch immer) darauf abgesehen haben, die Runde zu stören, Mitspieler zu kränken, zu provozieren oder vorzuführen, und alles, was die Palette schlechten menschlichen Benehmens noch so hergibt.
All das gilt wohlgemerkt für jeden Mitspieler, nicht nur für den SL, auch wenn der SL es natürlich am Leichtesten hat, den anderen die Runde zu versauen. Aber jeder andere Mitspieler schafft das auch, wenn er sich etwas anstrengt. Wenn man hingegen als SL aufrichtig und fair ist, dann ist es ziemlich egal, ob man ein Abenteuer leitet, das nur aus Orts-, Personen- und Monsterbeschreibungen besteht, oder eines, das wie ein linearer Handlungsverlauf aufgeschrieben ist.