Die ganze Definitionsschlacht wird spätestens dann zum großen Spaß, wenn hippe Erzählspiele Dinge für sich beanspruchen (wie z.B. Konflikte schnell aufzulösen, wenig granulare Würfelproben und Fokus weg von Regeln auf Erzählung), die auch klassische Rollenspiele (z.B. große Teile der Old School Renaissance) für sich beanspruchen.
Am plausibelsten scheint mir bislang die Unterscheidung nicht anhand von Inhalten zu sein, sondern in der Voraussetzung einer Unterscheidung einer klassisch angenommenen Spielebene und einer Meta-Ebene. Die Spielebene ist dabei genau das, was einfach historisch als erstes da war in Spielen wie D&D, Traveller und den ganzen anderen Klassikern. Der Fokus lag auf der Geschichte durch das Mittel der Immersion, das Eintauchen in den Charakter. Das ist nicht falsch zu verstehen als Method Acting, sondern eher: Es gibt eine Spielwelt, aber die kann man nur durch den Charakter und seine Fähigkeiten wahrnehmen. Das sei demnach die "ursprüngliche" und damit "eigentliche" Spielebene des Rollenspiels.
Spätere Spiele haben das dann erweitert durch Werte und Spielregeln, durch die der Spieler Einfluss auf das Spiel hatte, die aber nicht mehr Charakterfähigkeiten entsprachen bzw. auf Grundlage der Immersion funktionierten. Das kann so etwas banales sein wie ein Plot Point, mit dem man eine Probe wiederholen kann, einfach weil dem Spieler gerade wichtig ist dass hier etwas nicht schief geht, es kann aber auch etwas sein wie der "Plot Twist", bei dem der Spieler gerade mal eine Szene beschreibt oder das Auftreten neuer NPC statt dass der SL das macht.
Es ist hoffe ich klar geworden, dass die Unterscheidung weniger systematisch ist als vor allem historisch. Denn die systematische Unterscheidung baut auf einem zufälligen historischen Fakt auf. Darum ist wichtig zu bemerken, dass die Unterscheidung keine Bewertung ist ("das ist kein Rollenspiel, sondern nur ein Erzählspiel" ist Quatsch, genauso wie "pft, der ist kein Rollenspieler, der spielt nur Tennis").
Oft verwechselt man "Erzählspiel" mit regelleicht und "Rollenspiel" mit regelschwer, aber das ist ein Irrtum. Es gibt auch regelschwere Erzählspiele (Spirit of the Century, Dresden Files) und regelleichte Rollenspiele (viele OSR-Spiele, D6 System). Manchmal verwechselt man auch "avantgardistisch" mit Erzählspiel.
Für manche Spieler wird sehr schnell eine harte Grenze gezogen, die mögen nicht auch nur den geringsten Anteil Erzählspiel. Dementsprechend scharf vollziehen sie die Trennung. Aber es können ja unterschiedliche Anteile an Erzählspiel und Rollenspiel vorhanden sein und viele mögen eine Mixtur aus beidem. Die vollziehen dann auch die Trennung anders und würden etwa wenn sie Beyond the Wall oder Firefly (Cortex+) spielen das als Rollenspiel bezeichnen und nicht als Erzählspiel. (Gerade zu Firefly habe ich neulich versucht ein Let's Play zu gucken, das absolut nichts erzählspieliges hatte.)
Dazu kommt noch was anderes. Oft wird Erzählspiel auch mit bestimmten SL-Techniken verbunden. Manche sind in Erzählspielen eingeführt worden, fanden dann aber auch schnell anderswo statt, wo sie nicht mehr explizit erläutert wurden. Etwa Aggressive Scene Framing. Folgt man diesem Ansatz, dann wären die Unterschiede jeweils bestimmte Sammlungen an SL-Techniken. Das wäre dann aber erst recht willkürlich.
Letzten Endes läuft es darauf hinaus:
Wir haben es mit einem kulturellen Phänomen und Szene-Bildung zu tun. Sehr viel ist einfach Abgrenzung voneinander zur Findung der Identität.