Fredi,
Innovation bringt nur was in Verbindung mit Tradition. Und gerade beim System haben wir in erster Linie versucht, das Spiel richtig einfach zu machen. Das war schon schwierig genug (denk nur daran, dass die Vorversion von Degenesis aus einem 120 Seiten Regelbuch praktisch ohne Weltbeschreibung bestand).
Beim Entwickeln des KatharSys Systems haben wir einen Haufen innovativer Ideen einfach in den Mülleimer geschmissen. Warum? Weil wir unsere Zielgruppe kannten. Die wollten einen Haufen Crunch, sind aber teilweise Umsteiger mit nur ein paar Jahren Rollenspielerfahrung und haben eine Vorliebe für Hausregeln.
Da war es schon schwierig genug ca 120 Seiten Regeln auf 40 Seiten oder so zu verkürzen und trotzdem bewährte und beliebte Elemente des alten Systems hinüberzuretten.
Ich bin ehrlich gesagt, sehr stolz auf meine Idee mit der unteren Schwelle für Schwierigkeiten. Im Endeffekt ist diese eine Idee der USP des gesamten Systems: Sie beschleunigt das Spiel und hat den gewünschten Effekt: Geringe Schwierigkeiten machen wenig aus, kommen mehrere Schwierigkeiten auf einmal, hat das katastrophale Folgen für die Erfolgswahrscheinlichkeit.
Der nächste Punkt, um den sehr gestritten wurde, war die Beibehaltung von Ausdauer- bzw. Aktionspunkten. So haben wir ein kleines Ressourcen-Management-System installiert, das aber dennoch den Spielleiter entlastet, weil er es gut hinfaken kann.
Und die Vereinfachung der Charaktererschaffung auf die 3 K und die Kreuzung von Archetypen ist bestimmt nicht innovativ (und ziemlich bekannt aus Werewolf oder Wraith), aber sehr passend und verdammt einfach: Endzeit-Shopping. Ich schlage das Buch auf, sehe die verschiedenen Kulturen und suche die aus, die mir am besten gefällt. Dadurch weiß ich, woher der Charakter stammt. Das Konzept beschreibt, was den Charakter geprägt hat. Und wenn ich mir einen Kult gewählt habe, weiß ich, wo der Charaker hinzugehört und wo er hin will...
Und auch die außerirdische (oder eigentlich außerirdisch-urzeitliche) Erklärung für Psi und die Psychonauten gefällt mir und hat eine gewisse Tragik.
Um was es in Degenesis wirklich geht?
Zum einen beschreibt es die Wortmarke(!) Primal Punk doch ganz gut: Zum einen Primal: Urtümlich, instinktiv, aus dem Bauch heraus, Angst, Hass, Wut, Überleben, der ganze Dinosaurierhirn-Scheiß. Und Punk: Die Zerstörung der Gesellschaft, die Betonung des Individuums, die Möglichkeit, seinen eigenen Weg zu gehen. Es ist ein Aufkleber, sonst nix.
Zum anderen geht es in Degenesis schlichtweg um Hoffnung. Die Zivilisation ist untergegangen. Der Mensch lebt noch mit allen seinen Fehlern und Hoffnungen. Nun aber steht er seinem Spiegelbild gegenüber: Eine andere Spezies, die mit dem Menschen verwandt ist und ihm gleichzeitig überlegen und unterlegen ist. Was tun? Den Homo Degenesis als Feind betrachten, als Parasit? Oder als den nächsten Schritt auf der Evolutionsleiter (aber wo steht dann der Mensch? Die Frage, die sich die Mutanten in X-Men stellen). Die Psychonauten sind nicht der Feind. Das bleibt immer noch der Mensch selbst (verkörpert beispielsweise durch die gottgleichen Marodeure).
Fredi, vielleicht willst du kein Lexikon mit genauer Beschreibung der Welt. Aber uns war klar, dass unsere Käufer genau das wollen.
Degenesis soll spielbar sein und ansprechend. Dadurch findet man auch viel Bekanntes im Regelwerk (erinnert euch an das Zitat von Mark Rein-Hagen: creativity means hiding your sources), aber dennoch unterscheidet sich das Spiel von allen anderen mir bekannten Endzeitspielen: Keine Dämonen, keine Engel, keine pseudo-mittelalterliche Welt. Ein Setting, das immer noch an das erinnert, was wir kennen. Und die Möglichkeit, als Spielleiter dadurch sein eigenes Ding zu drehen.
Ich schaue mir mit großem Vergnügen die Diskussionen um den 'Metaplot' und die Geheimnisse des Spiels im Degenesis Forum an. Und die Mutmaßungen und Gedanken, die die Leser haben, sind oft genauso gut - oder vielleicht besser - als die kanonische Wahrheit.
Ich bin stolz auf Degenesis. Wirklich. Ich bin selbst kein 'rabid fan-boy' aber ich finde, dass das Endprodukt überzeugen kann. Und einen oder mehrere Blicke verdient hat.