Meine Geschichte mit Hillfolk beginnt eigentlich mit Fiasco. Nach langen Jahren, in denen ich ewige Midgard- und Ars Magica-Kampagnen gespielt habe, war Fiasco eines der ersten Spiele, die mir gezeigt haben, dass man auch ohne den ganzen crunchigen Regelklimbim aufregende Spielsitzungen haben kann. In der Regel haben mir die Runden sogar besser gefallen als die Midgardrunden (zu Ars Magica sage ich mal nichts... das ist eine spezielle Beziehung). Es gab nur ein Problem: Eigentlich mochte ich die Kampagnen-Idee. Fiasco war aber immer nach einem Abend vorbei. Umso interessierter war ich, als ich hier im Tanelorn lesen konnte, dass Hillfolk quasi ein System sei, das Fiasco im Kampagnenmodus biete.
Etwas später hatte ich auf einem Con für vielleicht zwei Minuten das Regelwerk in der Hand... und so ganz angemacht hat mich das Buch nicht. Ich habe das System damals nicht gekauft. Dann habe ich aber vom Drama System Reference Document gehört und gedacht, dass man nichts falsch machen kann, wenn man es sich wenigstens unentgeltlich mal ansieht. Ich habe mich da durch geackert... und das war nicht immer eine Freude und trotzdem war mein Eindruck positiv.
Danach haben mich allerdings erstmal eine ganze Weile kritische Meinungen und Details irritiert, die es im Netz zu lesen gibt. Neben dem schlechten Layout wurde die mangelnde Ausarbeitung des bzw. der Settings kritisiert. Es wurde erwähnt, dass das System auf der Regelseite zu wenige attraktive Ideen besäße. Es wurden Bedenken geäußert, ob das Spiel nicht für eine Gruppengröße gedacht ist, die sich in der Realität selten findet (die Empfehlung im Regelwerk lautet: "für 4 - 8 Spieler"). Vor allem wurde - aus verschiedenen Gründen - der Regelmechanismus für die prozeduralen Szenen kritisiert.
Es hat dann auch eine ganze Weile gebraucht, bis ich mir das Regelwerk zugelegt habe. Und noch etwas länger hat es gedauert, bis ich eine Gruppe zur Hand hatte, die das Spiel im Kampagnenmodus mit mir ausprobieren wollte. Jetzt ist es aber so weit. Ich habe mich eingearbeitet und eine erste Sitzung hinter mir. Zeit für eine erste einigermaßen begründete Beurtelung dieses Spiels.
Hillfolk heißt Drama System. Die Charaktererschaffung bietet daher alles, was das Herz einer Dramaqueen erfreut (Rolle in der Gruppe, Beziehungen untereinander, unerfüllte Wünsche, dramatische Potentiale, ein rudimentäres Fertigkeitensystem (inklusive einer Art Spezialität, die aber keine regeltechnische Relevanz besitzt), Fokussierung durch Schlüsselwörter und Merksätze. Die Charaktererschaffung ist nur in der Gruppe möglich, dauert eine ganze Weile, liefert dann aber auch eine Charakterkonstellation, die für viele Sitzungen Stoff bietet. Die relativ hoch angesetzte empfohlene Spielerzahl ergibt sich in meinen Augen vermutlich allein daraus, dass das soziale Netzwerk, in dem sich die Spielercharaktere befinden bei höherer Charakterzahl interessanter ist. Ob daraus auch Nachteile entstehen (längere Pausen für den einzelnen Spieler beispielsweise) weiß ich nicht. Mit fünf Spielern haben wir in unserer Runde jedenfalls schon ein ganz gehöriges Beziehungskuddelmuddel erzeugt, dass ich absolut ausreichend finde.
Spielablauf: Der Spielabend heißt Episode und ist in verschiedene Szenen unterteilt, die von den Spielern in Rotation geplant und gemeinsam ausgespielt werden. Fast immer, wenn irgendjemand etwas erzählt, was anderen missfallen könnte, gibt es die Möglichkeit zur Anfechtung, was über Dramapunkte funktioniert.
Szenen sind entweder dramatisch (es geht darum, dass die Charaktere durch die anderen Charaktere der Erfüllung ihrer emotionalen Bedürfnisse näher kommen) oder prozedural (hier geht es darum, dass die Charaktere andere, äußere Ziele verfolgen).
Bei den dramatischen Szenen werden Dramapunkte vergeben und eingesetzt. Mit ihnen kann man seine eigenen Wünsche verfolgen oder auch andere von der Erfüllung ihrer Wünsche abbringen. Das Spiel beinhaltet eine Dramapunkteökonomie. Wer oft zurückstecken musste, hat in der Regel ein paar Dramapunkte gesammelt, mit denen er sich zum Ausgleich in Zukunft ein paar Wünsche erfüllen kann.
Die prozeduralen Szenen sind nicht gerade der Kern des Spiels. Trotzdem finden sich für diese Szenen im Grundregelwerk ein Basissystem und im Hillfolk-Companion "Blood on the snow" ein "advanced procedural system". Beide Systeme lesen sich vielleicht ein bisschen sperrig, wenn man sich aber die Beispiele dazu anschaut, wird man schnell erkennen, dass es sich um sehr allgemeine Mechanismen zur Konfliktlösung handelt, die auf eine einzige Entscheidung pro Szene hinauslaufen, trotzdem aber Hilfestellungen dafür bieten, derartige Entscheidungen detailliert und spannend auszuschmücken. Nach zwei oder drei Anwendungen ist kein Nachschlagen mehr erforderlich. Im "advanced procedural system" sind die Fertigkeiten der Charaktere sinnvoll in das System eingebunden, im Basissystem ist das vernachlässigt. Ich empfehle daher die Regeln aus "Blood on the snow" (die auch nicht komplizierter als das Basissystem sind). Auch in den prozeduralen Szenen ist für ein ökonomisches Gleichgewicht gesorgt. Es gibt prozedurale Tokens verschiedener Güte, die dazu führen, dass jeder Spieler abwechselnd mit mehr oder weniger guten Voraussetzungen in Konfliktresolutionen startet.
Am Schluss eines Spieleabends werden die beiden dramatischsten Spieler des Abends ermittelt, die einen Bennie bekommen, mit dem sie beim nächsten Mal einen kleinen Vorteil erkaufen können.
Hillfolk spielt sich freeformig. Es gibt zwar einen Spielleiter, der aber im Wesentlichen das Setting vorstellt, das Spiel organisiert, hin und wieder mal eine Szene ausruft und Nichtspielercharaktere führt. An einigen Entscheidungen ist er wie die Spieler auch beteiligt. Wichtig ist: der Spielleiter plottet nicht. Das Abenteuer ergibt sich aus der Erzählung der Spieler. Der Spielleiter hat außerdem kein Monopol auf das Beschreiben von Örtlichkeiten oder das Einführen neuer Nichtspielercharaktere. Hillfolk enthält ziemlich starkes Player Empowerment und wenn ein Spielleiter als gleichberechtiger Partner ins Geschehen eingreifen will, muss er sich gut über seine Möglichkeiten im Klaren sein (und eine wohlmeinende Runde ist außerdem von Vorteil).
Durch die dramatische Ausgangssituation und das Hin und Her in den Dramaszenen dürften die Rivalitäten innerhalb einer Spielergruppe bei Hillfolk größer sein als üblich. Dadurch, dass zu jedem unerfüllten Wunsch eines Charakters ein Mitspieler eine Begründung dafür entwirft, warum der Wunsch nicht (sofort) erfüllt werden kann, entsteht ein starkes Spannungsgeflecht, das das Drama in Gang bringt. Es sorgt aber glücklicherweise gleichzeitig dafür, dass ein Charakter nie ins Abseits gerät.
Nach ein paar Spieltipps folgen im Grundregelwerk dann noch 30 Settingskizzen (...und in "Blood on the snow" finden sich weitere 33). Aufgrund der freeformigen Regeln ist Hillfolk wie Fiasco universell verwendbar. Dass es sich bei den Settings nur um Skizzen handelt, ist aufgrund des offenen Ansatzes völlig einleuchtend. In Hillfolk ist es kaum anders denkbar, als dass sich das Setting erst während des Spiels allmählich ausdifferenziert. Ich muss allerdings gestehen, dass mich relativ viele der Settingskizzen kalt gelassen haben. Auf der anderen Seite bietet der skizzenhafte Ansatz einen tollen Anreiz für eigens gestaltete Hintergründe. Immer dann, wenn ich einen Einfall für ein Spiel habe, das keinem festgeschriebenen Plot folgt und offen für eine Menge Spielerinput ist, denke ich inzwischen an Hillfolk.
Alles in allem: Hillfolk lohnt sich. Die anfangs erwähnte Kritik hat sich in meinen Augen in den allermeisten Punkten nicht bestätigt (das schlechte Layout allerdings ist eine Schande). Das Spiel braucht allerdings eine Gruppe, die bereit ist (ein nicht allzu hartes) PvP auf Kampagnenbasis zu betreiben und ohne Plot und festgeschriebene Probenmechanismen frei zu erzählen. Solche Runden können mit Hillfolk wirklich so etwas wie "Advanced Fiasco" im Kampagnenmodus erleben, was ich prinzipiell eine tolle Sache finde. Die wenigen Abstriche sind angesichts dieser Aussichten in meinen Augen nicht der Rede wert. Daher vergebe ich guten Gewissens 5 Punkte.
(Wenn ich ein bisschen Zeit habe, werde ich mich vielleicht mal an einen Hillfolk-Hack setzen, der mit rotierendem Spielleiter funktioniert. Das könnte in meinen Augen noch eine Verbesserung des Spiels darstellen).