Okay, ich versuche mal, eine halbwegs passende Antwort auf die letzte Seite Diskussion zu geben (mein ewiges Problem: Ich komme nicht so oft zum Schreiben durchdachter Beträge).
Mir scheint, hier liegt ein fundamentaler Unterschied vor, in welchem Maße man die Rolle des Bewusstseins im Allgemeinen sieht. Das wird nicht gerade leicht, aufzudröseln, aber ich versuche es mal.
Als man in Stockholm Brückenmaut einführte, war der Großteil der Bevölkerung dagegen. Ein Jahr später hatte sich die Verkehrslage dadurch massiv entspannt. In Folge dessen war der Großteil der Wähler nun für die Maut.
So und jetzt das Entscheidende: Die meisten dieser Befürworter waren ehrlich davon überzeugt, von Anfang an dafür gewesen zu sein.
Durch unsere Erfahrungen werden unser Urteil und unsere Erinnerungen und deren Bewertung immer wieder im Nachhinein verändert, ohne dass uns das bewusst wäre.
In ähnlicher Weise kann man zeigen, dass viele Studenten ökologisch denken, weil sie Rad fahren - und nicht etwa anders herum. Unsere Taten formen unseren Willen genauso wie unser Wille unsere Taten formt.
Weitere spannende Beispiele hier, auch wenn sie nicht ganz zum Thema passen:
1) Man kann Probanden darin beeinflussen, wie nett sie jemanden finden, indem man ihnen Getränken unterschiedlicher Wärme in die Hand drückt. Wer ein warmes Getränk in der Hand hat, findet den Gegenüber wärmer und freundlicher. Auch hier wieder entscheidend ist, dass keinem der Probanden bewusst war, woher ihr Unterbewusstsein dieses Urteil nahm.
2) MRT ist mittlerweile so gut, dass man mit einiger Sicherheit vorhersagen kann, welche Entscheidung ein Proband treffen wird, bevor es ihm selbst bewusst ist.
3) Wenn man das Gehirn eines Patienten direkt stimuliert, kann es dazu kommen, dass dieser plötzlich lacht. Wirklich spannend ist, dass das Bewusstsein dann einen Grund findet, was so lustig gewesen sei.
Fragt man sie, warum sie lachen, dann kommt z. B. die Antwort: "Weil Sie so lustig angezogen sind."
Und ganz wichtig, die Antwort lautet nicht: "Äh... äh... weil Sie so lustig angezogen sind?"
Der Sprecher ist fest davon überzeugt, sein Bewusstsein kenne den Grund. Und er liegt nachweislich falsch.
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Und hier liegt mein Problem mit Dingen wie X-Karten. Sie gehen entgegen den Tatsachen davon aus, Menschen wären fundamental bewusstseinsgesteuerte Wesen und dieses Bewusstsein wäre monolithisch.
Das ist aber nicht der Fall. Und Gefühle sind besser mit Empathie anzugehen als mit solchen Werkzeugen.
Wenn wir eine neue Runde bilden und ein Jahr zusammen spielen, dann werden wir einander Spiel deutlich formen und auch einander Geschmack deutlich formen. Das ist ganz normale Beeinflussung - sehr wertvoll in einer Freundschaft. Das gilt für die Taten aller Mitspieler.
Der Spielleiter hat jedoch noch einen erheblich größeren Einfluss. Seine Rückkopplungen in Form von Urteilen, Fokus, Zeitverwaltung (sehr viel wichtiger, als man denken mag), Erfahrungs- oder Gummipunktvergabe usw. werden das Spiel und den Geschmack der Spieler siginifikant verändern.
Und weil der SL in dieser Machtposition ist, halte ich den Begriff "erziehen" für berechtigt. Wobei ich ihn vor allem deshalb aufgriff, wie im Vortrag auch erwähnt, weil sich viele Leute dagegen wehren, man solle als SL erziehen. Es ist also nicht meine Begriffswahl, sondern ich stelle mich damit explizit gegen die Kritik, die jenen Begriff dafür verwendet, solches Verhalten des SLs zu kritisieren.
Nun halte ich diese Kritik eben für unrealistisch. Man kann nicht nicht erziehen.
Die einzige Wahl besteht darin, dies unkontrolliert zu tun oder es kontrolliert zu tun.
Ich halte die erste Option für schlecht und bei einer Machtposition ganz allgemein fragwürdig. Tatsächlich sah ich in meiner Karriere als Rollenspieler mehrfach Fälle von Spielern, die von ihrem SL geradezu traumatisiert wurden. Und das waren immer Fälle, in denen der Meister sich eben
keine Gedanken darüber machten, in welche Richtung er die Spieler formte.
Jetzt zu meinem "Erziehungsprojekt" für Vereine o. Ä.
Ich frage mich nicht, ob ein Spieler in seinem jetzigen Zustand Freude an ernsteren Themen hätte. Ich frage auch ihn nicht, denn dafür müsste ihm das bewusst sein. (Aus den oben genannten Gründen ist das unwahrscheinlich.) Natürlich tauscht man sich ein wenig aus, woran man Interesse hat. Aber ich nehme diese Themen auf und nicht deren Ernsthaftigkeit. Das funktioniert nämlich nicht gut. (Übrigens in beide Richtungen, Spieler können sich irren, was sie ertragen können, aber auch bezüglich dessen, was ihnen zu weit gehen wird.)
Deshalb leite ich einfach mit harmlosen Dingen los. Und dann steigere ich den Grad langsam und schrittweise mit den erwähnten Methoden. Und dabei achte ich auf ihre Reaktionen und schaue, wie weit ich gehen kann. Das Kunststück und die ideale Immersion ist dann erbracht, wenn es den Spielern eben nicht bewusst wird, dass ich Spiel und Spielwelt an sie anpassen und sie an Spiel und Spielwelt.
Am Ende habe ich Spieler, die froh sind, wie toll ich ihren Horizont erweitert habe (wie die zufriedenene Stockholmer).
Das ist kein hypothetisches Szenario. Ich machte das schon öfter und hatte am Ende jedes Mal eine begeisterte Runde. Alles dank bewusster Erziehung mittels unbewusster Methoden.