Aaaalso, ich versuche mal, meine Erfahrung nach dem Lesen und Leiten einer Testrunde zusammenzufassen:
Zum Buch:
Das Grundregelbuch an sich ist eigentlich sehr schön geworden. Es hat ein ungewöhnliches Farbschema (viel Orange!), bleibt aber dabei gut lesbar und das Layout ist auch in Ordnung. Leider hat man sich aus irgendwelchen Gründen dafür entschieden, das Papier nicht lackieren zu lassen. Dadurch hat es Innen keine Glanzoptik und viele der dunkleren Illustrationen sind kaum zu erkennen. Außerdem sammelt es "Fettfinger" an ;-) Wer das PDF des Buchs besitzt, sieht, wie schön es am Ende optisch hätte werden können. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Setting ja aus einem Artbook entstanden ist, fand ich das ziemlich enttäuschend. Ne vertane Chance, etwas echt Schickes abzuliefern. Ansonsten fangen die Illustrationen das Setting und den Spielstil ganz gut ein, auch wenn es einen Stilbruch im Archetypen-Kapitel gibt, wo plötzlich Schwarzweiß-Zeichnungen in nem völlig anderen Stil die Charaktertypen vorstellen. Keine Ahnung, was da passiert ist...
Das Setting:
Simon Stalenhags Loop-Setting basiert auf der Idee, dass aufgrund sprunghafter, technologischer Entwicklungen in den 50er(?) Jahren eine rapide Zunahme von bestimmten Technologien (Computer, Roboter, schwebende Fahrzeuge) erfolgt ist. Das Spiel ist in den 80er Jahren angesiedelt, diese unterscheiden sich aber durch das Vorhandensein eben dieser Technologien stark von unseren bekannten 80ern. Es gibt zwar Walkmans, Dungeons&Dragons, Schulterpolster, etc., aber gleichzeitig gibt es schwebende Lastschiffe, Mikrochips, die Tiere kontrollieren und Haushaltsroboter.
Und gerade diese Aspekt sind es, die mir eigentlich nicht so recht gefallen wollen. Ein reines 80s-Setting mit Mystery-Elementen (wie z.B. bei Stranger Thrings) hätte mir gereicht. Der ganze Technik-Kram hat für mich wenig Mehrwert und wird im Buch auch nur unzureichend beschrieben, wenn es um die Frage geht, wie er den Alltag beeinflusst. Das Gute ist: Man kann ohne großen Aufwand auf diesen Aspekt des Settings verzichten. Die Regeln sind nicht daran gekoppelt.
Die Regeln:
Das System hinter TftL ist das von den schwedischen Fria Ligan entwickelte Regelsystem von Mutant: Year Zero, das hier (ähnlich wie bei Coriolis) in ner stark abgewandelten und vor allem deutlich abgespeckten Form zum Einsatz kommt. Im Prinzip bastelt man sich für Proben einen Würfelpool aus Attribut und Fertigkeit und würfelt auf 6en. Eine einzige 6 reicht in der Regel schon als Erfolg, alle weiteren 6en verbessern das Ergebnis. Das Regelwerk ist echt ein Leichtgewicht, man hat es ruckzug erklärt und kann losspielen. Die Charaktererschaffung dauert auch nicht lang, es gibt wenige Optionen und es wird viel Wert auf "Fluff" wie Verbindungen der Charaktere innerhalb ihrer Heimatstadt, Motivation und Ziele, etc. gelegt, um Charaktere auszugestalten. Da das Setting ja eigentlich sehr bodenständig ist, sind keine Magie-/Technik-Regeln notwendig. Auch ein Kampfsystem gibt es nicht, da kämpferische Auseinandersetzungen nicht zentral fürs Spiel sind und eher simpel über vergleichende Fertigkeitsproben abgehandelt werden.
Was mir beim Lesen und anschließenden Spielen aufgefallen ist: Das Fertigkeitssystem wirkt irgendwie nicht durchdacht. Es gibt 12 Skills, bei denen mir aber häufig nicht klar war, wofür sie in Abgrenzung zu den übrigen Skills stehen: Es gibt 3 Technik-Skills (Calculate, Program, Tinker), die irgendwie zur Beeinflussung von Technologie gedacht sind (vermutlich wegen der vielen seltsamen Technik im Setting). Die hätte man gut zu einem Skill zusammenfassen können. Dann gibt es Skills wie "Investigate" und "Comprehend", wobei "Investigate" dazu dient, Puzzles zu lösen, Informationen zu interpretieren und "Comprehend" lediglich für Recherche in Bibliotheken genutzt wird. Manche Skills haben sehr breite Einsatzgebiete, andere sind massiv beschränkt auf eine Tätigkeit. Ich frage mich auch, ob Probleme mit der Übersetzung vom Schwedischen ins Englische entstanden sind. Bei "Comprehend" denke ich irgendwie nicht an Recherche...
Es gab einige Situationen am Spieltisch, wo ich als SL einfach nicht wusste, auf welchen Skill ich würfeln lassen. Das ist mir bisher so noch bei keinem RPG begegnet und ich spiele fast ausschließlich englisches RPGs.
Definitiv positiv bezüglich des Regelwerks ist aber zu sagen: Es fängt durch viele kleine Details das Besondere des Spielens eines Kindes/Teenagers ein und setzt dadurch sehr gut das Powerlevel / die Stimmung des Spiels ins Szene: Die Protagonisten werden z.B. kaum ernsthaft verletzt und negative Zustände lassen sich dadurch heilen, dass man Szenen ausspielt, in denen der Charakter Zeit mit seinen Bezugspersonen verbringt, sich trösten lässt, man sich gegenseitig ermutigt, etc. Auch spielen persönliche Lieblingsgegenstände (der eigene Walkman, das Skateboard, das Kuscheltier etc.) eine wichtige Rolle und erleichtern in kritischen Situationen Proben. Das System erlaubt hier sehr viel Gestaltungsspielraum und man kann eigene Ideen aufgrund der abstrakten Ausrüstungssystems (Items geben einfach Bonuswürfel auf Fertigkeitsproben) gut umsetzen.
Der Praxistest:
Eigentlich hatten alle Spaß beim Spielen. Die Charaktererschaffung ging flott und gerade das gemeinsame Überlegen der Charakterhintergründe und Verbindungen der Charaktere untereinander hat großen Spaß gemacht und gleich dafür gesorgt, dass einzigartige Spielfiguren entstanden sind - auch wenn diese sich rein von den Spielwerten wenig unterscheiden. Das Spiel an sich lief auch flüssig, der Probenmechanismus geht flott von der Hand. Einzig die schon beschriebene Unklarheit bei den Fertigkeiten ist allen aufgefallen. Der Schwerpunkt auf die Charaktere und die Story hat allen sehr gut gefallen, weshalb man über das Fertigkeitssystem hinwegsehen konnte. Es kam zudem die Idee auf, einfach ein paar der Skills umzubenennen, bzw. die Skillliste anzupassen, so dass die Technikskills etwas sinnvoller zusammengefasst werden. Das dürfte auch ohne große Schwierigkeiten machbar sein, da es z.B. keine abgeleiteten Werte aus den Skills gibt und keine Subsysteme existieren, die auf die bestehenden Skillliste aufbauen.
Fazit:
Tales from the Loop ist ein schönes schlankes System, das genau das gut umsetzt, was es sich auf die Fahnen schreibt: Mysteryabenteuer in den 80ern mit Kindern / Teenagern in der Hauptrolle. Das Regelsystem steht der Story nicht im Weg, hat ein paar Macken, funktioniert aber grundsätzlich für dieses Setting und diesen Spielstil gut. Die Besonderheiten des vorgestellten, alternativen 80er-Jahre-Settings haben mir nicht gefallen, lassen sich aber ohne Aufwand anpassen. Das Buch selbst ist hübsch, aber leider aufgrund des Papiers und der dunklen Illustrationen nicht das Schmuckstück geworden, das es hätte werden können. Wer gerne Abenteuer im Stil von Stranger Things, Goonies, TKKG und Co. spielen möchte, ist hier sehr gut bedient.
3,5/5 Punkten