Wenn ich etwa in dem sehr tödlichen System von Cyberpunk 2020 Wundstufen nehme, kann ich mich kaum noch wehren... meine Chance zu gewinnen sinken immer schneller, und dann bin ich tot - vielleicht wegen eines Patzers am Anfang des Kampfes, den ich "statistisch" hätte gewinnen sollen. Das ist etwas anderes, wenn ich dann noch andere Optionen habe, als "Kampf gewinnen" - etwa weglaufen, oder mich ergeben, oder die "Aufgeben"-Regel von Fate. Aber üblich erscheint mir, dass z.B. weglaufen oft auch keine Option ist, denn die Mali gelten ja auch hier.
Da war CP2020 auch in einer historisch recht unangenehmen Position.
Einerseits war damals Kampf im Rollenspiel in den meisten Köpfen noch ziemlich zwingend etwas, wo man sich gegenseitig die HP wegzieht und wer am Ende stehenbleibt, hat gewonnen. Andererseits fiel das über die Todesspirale nicht sonderlich spaßig aus und zum Dritten hatten weder Regelwerk noch Setting ausreichend Stellschrauben, um eine veränderte Perspektive zu unterstützen.
Ähnlich wie Grandala habe ich nämlich die Erfahrung gemacht, dass (starke) Todesspiralen sowohl die Haltung zum Kämpfen an sich verändern als auch den Blick auf HP/Wundstufen als Ressource.
Die gehen dann nämlich für Kampfzwecke nicht mehr bis 0, sondern eigentlich nur z.B. bis zur Hälfte und der Rest ist meist nur noch Überlebenspuffer.
Das bedeutet dann aber im Umkehrschluss, dass mir das Regelwerk ordentliche taktische Optionen zur Verfügung stellen muss, die über ein Erreichen einer günstigen HP-Verlustrate der eigenen Seite im Vergleich zur Gegenseite hinausgehen, und zweitens müssen mir Regelwerk und Setting relevante Entscheidungsmöglichkeiten geben, was ich mache, wenn ich faktisch nicht mehr kampffähig, aber noch nicht tot bin.
Daran ist CP2020 damals weitgehend gescheitert.
Es gab in meinem Umfeld die Tendenz, das entsprechend zu spielen, aber dafür musste man einige Settingaspekte ändern und mit den dahingehenden Unzulänglichkeiten des Regelwerks leben lernen.
Richtig gut funktioniert das nur da, wo Regelwerk und Setting Hand in Hand passende Entscheidungsmöglichkeiten für rationale Akteure zur Verfügung stellen.
Ein verletzter Ritter kann sich seinem ehrenhaften Gegner ergeben und sich (medizinische Aspekte mal außen vor) des eigenen Überlebens ziemlich sicher sein. Genau so gilt das für den angeschossenen Verbrecher, der sich zunächst in der Wohnung verschanzt hat und sich im weiteren Verlauf aus reinem Eigeninteresse von rechtsstaatlicher Polizei festnehmen lässt*.
Das geht natürlich nicht mehr, wenn man gegen den blutrünstigen Bergtroll kämpft oder von einer südamerikanischen Todesschwadron eingekesselt wird.
Deswegen sind diese Konstellationen in Systemen mit starker Todesspirale hauptsächlich als selten eingesetzter Kontrast gut zu gebrauchen. Dann werden solche Situationen um so bedrohlicher und schwerwiegender.
Wenn das aber der Standardfall ist, bringt mir die Todesspirale spielerisch nichts, weil man ihre interessanten Auswirkungen auf die Entscheidungsprozesse weitgehend aushebelt und nur ihre negativen Effekte auf die Leistungsfähigkeit der betroffenen SCs beibehält.
*Kleine Randbemerkung:
Noch besser ist es in meinen Augen, wenn schon die Drohung mit dem Einsetzen der Todesspirale relevant ist, wenn das Regelwerk also bereits vor dem ersten Schaden Situationen erzeugen kann, wo der weitere Verlauf recht deutlich absehbar ist und die relevanten Entscheidungen dann schon getroffen werden können.
Wenn ein Regelwerk hier regelmäßig recht abstruse Verläufe produziert, kann man das vergessen.
Gibt es Beispiele für ein innerliches "Aufgeben" von Spielern? (Mit dem Malus habe ich doch 'eh keine Chance mehr?) Beispiele für ein bemerkenswertes "Aufbäumen"? Wie? Ein Beispiel für Kreativitätsentfaltung, um den Malus zu umgehen?
Das sind ja die drei Richtungen, in die man als Spieler als Reaktion auf eine Todesspirale geht, von daher kommen alle drei ständig vor.
Ersteres vor Allem dann, wenn wie oben beschrieben die gesamte HP-Menge als zentrale Ressource angesehen wird und man dann im Kampf merkt, dass man trotz noch vorhandener HP faktisch nichts mehr machen kann. Dann schalten viele Spieler ab und sind oft frustriert.
Wenn man diese Gegebenheiten von Anfang an auf dem Schirm hat, ist das Aufgeben "nur" eine rationale Entscheidung und nicht ganz so frustrierend. Dann hat man die Wahl, ob man bestimmte Ausstiegsmöglichkeiten nutzt (Flucht, Kapitulation etc. - die müssen dann natürlich auch zur Verfügung gestellt werden und gerade Flucht nicht in Form eines Lippenbekenntnisses, das aber nicht regelkonform umsetzbar ist) oder die von dir genannte Variante Drei versucht:
Weiter Einfluss auf das Geschehen nehmen, ohne irgendwas würfeln zu müssen.
Das führt zwar manchmal zu recht schönen Ideen, aber andersrum gibt es unter Spielleitern die Tendenz, so was nur durchgehen zu lassen, wenn der jeweilige SC wirklich schon schwer verletzt ist.
Warum geht das nicht auch, wenn noch keiner verletzt ist?
Da wird oft mitten im Geschehen
für einzelne Teilnehmer von "combat as sport" auf "combat as war" umgestellt, was ich ziemlich unschön finde.
Variante zwei, das Aufbäumen, gibt es dann natürlich auch in eher unbewusster oder bewusster Form.
Unbewusst oft aus dem gleichen, jetzt schon altbekannten Grund: HP sind meine Ressource und Kampf besteht in offenem Schlagabtausch bis zum bitteren Ende, deswegen kann ich ja gar nichts anderes machen und muss trotz heftiger Abzüge weitermachen wie gehabt.
Kann natürlich noch klappen, ist aber als Spielerlebnis auch eher frustbelastet.
Anders kann das sein, wenn man in vollem Bewusstsein des Umstandes, dass man eigentlich den Ausstieg suchen sollte, noch einmal alles auf eine Karte setzt.
Das sind dann die Momente, in denen die ganze Gruppe den Atem anhält und wo ein Erfolg lange im Gedächtnis bleibt.