Etwas noch zu den Marvel-Filmen. Man versuchte nicht die Comics vorlagengetreu umzusetzen, sondern hat sie von anfang an in einem eigenen Universum innerhalb des Marvel-Multiversums angesiedelt. Diese Methode funktioniert aber nur bei Soft World Building. Und nicht bei Hard World Building.
Ich wäre mit diesem Dualismus vorsichtig, denn:
1. Hard Worldbuilding bedeutet nicht, dass
alles beschrieben ist und dass Leerstellen bedeuten, dass es Dinge nicht gibt. Im Nachbarthread über die Bevölkerungsdichte in Eriador wird trefflich darüber gestritten, dass Tolkien sich auch mal irren konnte.
2. Man kann "die Marvel Comics" nicht vorlagengetreu umsetzen, weil es "die Marvel-Comics" nicht gibt. Die Charaktere sind durch so viele Autoren gewandert, dass keine einheitliche Interpretation existiert, die Filme Versatzstücke aus verschiedenen Comic-Universen enthalten können.
3. Hard Worldbuilding ist eine Methode, ein Setting zu bauen: Nicht mehr und nicht weniger. Die erlegt Bearbeitern eines solchen Werkes nicht die Beschränkungen auf, es zu ändern. Zumal die Frage nach gelungenen Adaptionen sich bei Soft Worldbuilding genauso stellt: Ich meine, wie viele heftige Attacken gegen das super-woke Hollywood müssen auch Werke mit Soft Worldbuilding, die adaptiert werden, über sich ergehen lassen. Völlig egal wie die Welt letztlich gebaut wurde: Besetze Jet in "Cowboy Bebop" oder Arielle, die Meerjungfrau, mit schwarzen Schauspieler:innen und es ist die Hölle los. Und das sind Beispiele für (erstens) Soft Worldbuilding bzw. ein Märchen (was von sich aus bereits zur Interpretation offen ist).
Und oft hängen sie auch der wissenschaftlichen Realität hinterher... Du wirst wohl keinen historischen Roman finden, in dem eine historische verbürgte Person eine andere Hautfarbe oder sogar ein anderes Geschlecht hat.
Die Geschichtswissenschaft selbst hängt der Geschichtswissenschaft hinterher: Die Wahrheit ist, dass wir zwar viele Erkenntnisse über die Zeiten vor unserer gewinnen konnten... wir aber ganz sicher niemals sein können, weil schlicht und ergreifend einfach Zeugnisse wie Fotos, Videos oder Augenzeugenberichte fehlen. Besonders über das Alltagsleben, weil es nicht wert war, das aufzuschreiben. Ich sage nicht, dass es das nicht gibt. Aber mit welcher Selbstsicherheit hier historische "Fakten" wiedergegeben werden, die letztlich nur valide Hypothesen sind, erstaunt mich doch.
Unser eigenes, im 20. Jahrhundert sozialisiertes Geschichtsverständnis hat damit eine Menge zu tun. Rumpel hat es schon angedeutet: Wir denken in Nationalstaaten, also denken wir in festen Grenzen und einigermaßen kulturell und optisch homogenen Bevölkerungsgruppen. Es ist aber eben genau das: Eine Sozialisierung, ein Gewöhnungseffekt. Das römische Reich sah nicht aus wie ein moderner Megastaat.
Ich sage nicht, dass es keine relativ gesicherten, historischen Fakten geben kann oder gibt. Aber wir täuschen uns gerne darüber, wie die Leute damals wirklich gelebt haben. Überspitzt gesagt: Wenn wir wirklich wollen, dass historische Filme möglichst "originalgetreu" aussehen und sich anfühlen... dann sind alle Schauspieler am Set deutlich zu gepflegt unterwegs.
Die meisten historische Romane versuchen wissenschaftlich genua zu sein, selbst wenn die Handlung fiktiv ist. Gleiches muss daher auch für historische Serien gelten. Deshalb fallen Serien wie Viking: Valhalla, Die Musketiere oder auch das von Aktivisten so hoch gelobte Bridgerton wegen ihrer ahistorischen Besetzung auf diesen Gebiet durch.
Und
das halte ich eben für einen klassischen Fehlschluss. Die Conclusio folgt nicht aus den Prämissen. Du stellst hier eine Norm auf, wie bestimmte künstlerische Bearbeitungen gefälligst zu sein haben. Kunst scheißt aber auf Normen – das ist quasi ihr Job. Wenn ich etwas adaptiere, dann kann ich damit machen, was ich will... ich kann persiflieren, ich kann homagieren, ich kann kommentieren. Überhaupt nur so entwickelt Kunst sich weiter. Und ja, auch Unterhaltungskunst ist Kunst. Die Macher eines Unterhaltungsproduktes sind niemandem etwas schuldig. Entweder einem gefällt, was die gemacht haben... oder nicht. Da gibt es keine normierten Vorgaben und es soll auch keine geben. Ich meine bei all der berechtigten Kritik an mit Zwang arbeitenden Kravallo-Woken (die nicht repräsentativ für die Gesamtheit feministischer und queer-aktivistischer Bewegungen sind), das geht doch in genau die gleiche Richtung. Ich glaube nicht, dass du das so gemeint hast... aber ich will schon darauf hinweisen, wo sich das hinbewegt.
Und zu
Die Musketiere von der BBC muss ich jetzt ein bisschen hemdsärmeliger auftreten:
Howard Charles ist ein hervorragender Porthos. Viel besser als die blasse Besetzung aus der 2011er-Verfilmung. Außerdem ist, wie schon angeklungen ist, Dumas selbst eine Person of Colour gewesen, wahrscheinlich in etwa von derselben Herkunft und "complexion" wie der Porthos in der Verfilmung. Die Lebensgeschichte von Porthos nimmt sogar auf Dumas eigenen Werdegang Bezug. Es gibt effektiv
keine größere Verbeugung vor dem Autor und seinem Werk als das.
Und zu
Bridgerton muss ich auch fragen: Hast du das überhaupt gesehen?
Ich sagte es schon und ich sage es nochmal:
Bridgerton ist eine
alternate history-Geschichte!
Und selbst wenn es keine wäre: Die Schauspieler machen ihre Sache alle großartig. Lady Dunbury und die Königin sind der Knaller!
Abgesehen davon: Keine der von dir beschriebenen Serien ist irgendwie
"durchgefallen".
Bridgerton ist ein Bombenerfolg!
Die Musketiere war jetzt keine Hitserie, hat aber ein hohes Audience Rating bei Rotten Tomatoes (87%) und ich selbst fand, die Staffel davon, die ich gesehen hatte, auch solide bis gut. Die Stimmen, die da über die diverse Besetzung schimpfen, sind wahrscheinlich eine Minderheit. Den meisten dürfte es wirklich völlig egal sein, solange der Unterhaltungswert stimmt.
Wieso ist denn immer wieder dieses eine Merkmal der Stein des Anstoßes, der Lackmus-Test für Gültigkeit? Ich darf 20 Jahre der Geschichte in eins legen, Figuren zusammenlegen, frei erfinden usw, aber sobald da jemand weiblich oder schwarz ist, ist es ein grundlegender kategorischer Fehler?
Anscheinend.
Wobei das nur in die eine Richtung zu gehen scheint. Ich frage mich inzwischen schon, ob alle, die hier seitenweise versuchen, schwarze Elben zu verhindern mit demselben Verve gegen die Scarlet-Johansson-Kusanagi angeschrieben haben. Ich bezweifle es, kann mich aber natürlich auch irren. Zurückgezogen!
Die Vorstellung von "weiß" als "default skin color" steckt halt so sehr in uns drin, dass wir dieser speziellen Frabe gegenüber tatsächlich "farbenblind" sind.