Rachendrachenrache
Sieben Bärte hingen drohend vor ihm. Sieben lange, weiße Bärte, die sich über bunten Roben ringelten. Roben, bedeckt mit Sternen, Monden, Blitzen und allerlei Symbolen, die unter Zauberern einfach zum guten Ton gehören. Über die Bärte ragten große Knollennasen, vielleicht ein wenig zu sehr gerötet vom guten Wein aus den Elbenlanden. Und über den Nasen schließlich sieben Paare kurzsichtiger Augen hinter runden Brillengläsern, beschattet von buschigen weißen Augenbrauen. Der Blick aus diesen Augen: stechend bei dem einen Paar, eher konsterniert beim nächsten, mit einem undefinierbaren Ausdruck beim dritten, und bei den übrigen wurde es nicht besser... kein einziges Paar, das dem hageren, bartlosen Lehrling in seiner viel zu weiten (mit bunten Sternen, Monden und Blitzen bestickten) Robe gewogen wirkte. Die sieben Herren schwiegen. Es war ein unheilverkündendes Schweigen, eines, das dem Lehrling Marek, seines Zeichens cand. Dipl.-Thaum., ein donnerndes: “Nun..?!“ zuzurufen schien.
Unbehaglich rieb er seine dürre Hakennase, die noch in die Respekt gebietende Knollenform des promovierten, habilitierten, exaltierten und arkanisierten Magisters mit einem entsprechenden Weinkonsum zu wachsen hatte. Ein ungeduldiges Hüsteln vom Magister für Thaumatostöchiometrie zur Linken. Die Magistres für Arkane Monstrologie und Zaubereigeschichte wechselten einen wissenden Blick, während der Kollege von der Fakultät für Raum-, Zeit- und Geistreisen nicht ganz anwesend schien. Schließlich beugte sich der Großmagister nach vorn und durchbohrte Marek mit einem Blick, wie er durchbohrender nicht hätte sein können. Er war es auch, der dem in der Luft hängenden “Nun..?!“ eine Stimme verlieh – eine tiefe Bassstimme: “Nun, Herr Studiosus – wie erklärt Ihr also dem hier versammelten Kollegium den Verlust Eures Zauberstabs..?“ Mit einem anklagend ausgestreckten Zeigefinger nach den Bruchstücken des Stabs stechend, erklärte der Hochkanzler: “...eines Errrrstsemösterstabs aus döm Bestand der Fakultääät, wohlgemörrrkt! Euch nur zu Studienzwecken geliehen, werter Hörrrr..!"
"Ihr habt also,“ stellte der Großmagister mit einem Nicken in Richtung des Hochkanzlers fest, “Euren Zauberstab zerbrochen..."
"...Fakultäääätseigentum!“ schrie der empörte Hochkanzler, während Marek unglücklich dreinschaute und dann heftig den Kopf schüttelte.
"Ah, also nicht Ihr? Wer denn dann, bitteschön?!"
Er machte wedelnde Bewegungen mit den Armen, und die Magister rieten wild durcheinander: “Fledermaus?“ – “Albatros?“ – “Geflügelter siebendimensionaler Schrecken?“ Marek spitzte die Lippen und pustete aus Leibeskräften. Ratlose Blicke. “Ein...eh... Drache vielleicht..?“ Sein Zeigefinger fuhr herum und deutete mit Inbrunst auf den Magister für Arkane Monstrologie, der sich mit triumphierender Miene unter seinen Kollegen umsah.
Der Großmagister räusperte sich. “Ein Drache also, aha... und WIE genau kam es, dass Euer Stab zerbrach? Versuchtet Ihr das Ungeheuer mit den entfesselten Kräften unserer Kunst zu bändigen? Ein kühnes Unterfangen, doch durchaus ehrenvoll und für einen Eleven unserer Einrichtung absolut angemess-...wie?“ Das Kopfschütteln war eindeutig, die goldene Brücke demontiert. Wiederum Schweigen unter den Zauberern. Dann, nach einem langen, polternden Räuspern, der Großmagister: “’Ähem... ah ja. Wie ist es dann passiert..?"
Marek seufzte tief und sah noch unglücklicher drein als zuvor. Langsam hob er die Hand zum Gesicht, presste Zeigefinger und Daumen aufeinander, als hielt er etwas, und machte einige Bewegungen vor seinen gebleckten Zähnen: auf und ab und auf und ab...
"Er hat..?!“ – “Soll das etwa heißen..?!“ – “Sehe ich das richtig? Er hat.. sein ZÄHNE..?!"
Ein trauriges Nicken. Die zweite Hand des Lehrlings hob sich. Seine Daumen und Zeigefinger schienen etwas Unsichtbares zu greifen und unbarmherzig in der Luft zu zerbrechen. Knick! Er vergaß auch nicht die obszöne Geste, die der Drache danach noch gemacht hatte. Betretene, lähmende Stille. Dann brach es unter den sieben Bärten hervor:
"Unvörrrschämtheit..!!“ – “Wie konnte er es wagen, Drache hin oder..?!“ – “Meine Herren, es gilt ein Exempel zu statuieren!“ – “Ganz Eurer Meinung, Collega! Man sollte ihm einen magischen Blitz in seinen geschuppten Hintern-!“ – “Es wäre jedoch zu bedenken, Collegae, dass Draco Draco für gewöhnlich eine Spezies von immenser Macht...“ – “Fakultäääätseigentum..! Ein Skandal..!!“ – “Meine Herren, bitte! Ich muss um Ruhe...“ – “...in den Hintern, dass er vorn wieder rauskommt, jawohl..!“ – “Zumindest sollte man um Erstattung der Kostenpauschale für einen Stab aus seinem Hort nachsuchen und...“ – “...habe damals zehn von diesen schmerbäuchigen Eidechsen an der Uhrkette getragen, im zweiten Semester! Aaaaber die Magier von heute..!“ – “...sollten eine offizielle Protestnote...“ – “Meine Herren...! Silencium..! SILÄÄÄÄÄNCIUM..!!!"
Ganz, ganz langsam schlüpfte Marek durch die Tür aus dem Dekanatssaal. Hinter ihm hallten die Wände von den Stimmen der erbosten Magister wider. Immerhin: Wenn er sich beeilte, würde er in der Mensa vielleicht noch eine Portion Reispudding mit Feenstaub bekommen. Der sollte auch gegen den Frosch in seinem Hals helfen. Wirklich, hätte er gewusst, welche gemeinen Zauber solch ein Rachendrache beherrscht, er hätte sich dieses alberne Wortspiel mit dem Rachedrachen wohl doch verkniffen...